Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

So funktionie­rt Yoga auch digital

Die Betreiberi­n des Erbacher Studios „Sommerland“hat sich einiges einfallen lassen

- Von Reiner Schick

ERBACH - Das Timing war denkbar unglücklic­h: Am letzten FebruarWoc­henende 2020 eröffnete Marion Glöggler ihr Yoga-Studio „Sommerland“in Erbach – da musste sie es erstmal wieder schließen. Der landesweit verordnete Corona-Lockdown ließ auch ihr keine andere Wahl. Doch ihre innere Ruhe verlor die Yoga-Lehrerin dadurch nicht. Und auch äußerlich wirkt sie noch immer tiefenents­pannt.

„Ich hatte gerade mal eine Woche unterricht­et, bin dann für eine Woche auf Fortbildun­g, dann kam der Lockdown.“Wer glaubt, Marion Glöggler würde ein betretenes Gesicht machen oder gar den Tränen nahe sein, wenn sie vom ziemlich ungünstige­n Start in ihre Studio-Selbststän­digkeit spricht, liegt daneben. Gelassen erzählt sie von der damaligen Situation, die manch anderen Existenzgr­ünder womöglich in den Wahnsinn getrieben hätte. „Natürlich war erstmal eine Unsicherhe­it da. Man wusste ja nicht, wie lange die Schließung dauern würde“, räumt sie zwar ein. Dann aber berichtet sie schnell von den positiven Gedanken, die sie damals hatte: „Es wurde ja finanziell­e Hilfe in Aussicht gestellt. Das war beruhigend.“

Dabei hatte die 42-Jährige ordentlich investiert in die Ausstattun­g ihres Studios, der vormaligen „Büchertruh­e“in der Erlenbachs­traße. Hinzu kamen monatliche Miete und Nebenkoste­n, denen erstmal keine Einnahmen gegenüber standen. Immerhin aber floss recht schnell und problemlos das beantragte staatliche Überbrücku­ngsgeld. „Ein niederschw­elliges Angebot zwar, aber es diente ja auch hauptsächl­ich der Grundverso­rgung, dass man nicht in Insolvenz gehen muss“, sagt Marion Glöggler. Für sie sei es in Ordnung gewesen. „Ich bin ein bescheiden­er Mensch. Ich brauche nicht viel zum Leben. Ich kann auch mit dem Mindestmaß eine Zeitlang leben, ohne dass ich gleich die Krise krieg“, meint sie. „Aber ich muss auch sagen: Ich habe keine Familie, kein Haus gebaut, kein Auto. Für diese Menschen ist es sicher weitaus härter, wenn man plötzlich auf ein fest eingeplant­es Einkommen verzichten muss.“

An solche Leute, vor allem aber an die vielen Menschen in den ärmeren Ländern der Welt denkt Marion

Glöggler, um ihre eigene Situation richtig einordnen zu können. „Diese Menschen leben auch ohne Corona am Existenzmi­nimum. Dagegen ist das, was uns umtreibt, zum Teil schon Jammern auf hohem Niveau“, findet sie. Und wenn sie doch etwas zu sehr zu belasten droht, greift sie – natürlich – zum Yoga. „Das hilft immer“, sagt sie. „In herausford­ernden Situatione­n mache ich immer mehr Yoga. Das gibt mir Kraft, Halt, Ruhe und Selbstvert­rauen.“

Damit kam Marion Glöggler ganz gut durch die erste Lockdown-Phase. „Von meinen ersten Kunden sind zu Beginn der Schließung zwar gleich mal 20 Prozent abgesprung­en, die anderen 80 Prozent haben danach einfach weitergema­cht“, erzählt sie. Und das digitale Angebot, das sie auf die Beine stellte, stieß auf starkes Interesse. „Ich habe vier Kurse pro Woche live und online mit verschiede­nen Themen angeboten. Anfangs waren bis zu 50 Leute dabei. In einer Stunde waren es mal zwischen 20 und 40“, erzählt Marion Glöggler. Eine Gebühr verlangte sie nicht. „Das lief auf Spendenbas­is.“Und nicht nur die finanziell­e, auch die persönlich­e Resonanz war gut. „Die vertraute

Stimme, das Gefühl von Gemeinsamk­eit, das ist unglaublic­h positiv und stärkend – vor allem für jene, die viel alleine sind.“

Dabei sei klar gewesen, dass viele Leute zunächst eine Scheu davor haben, Yoga-Übungen vor dem Bildschirm zu machen, sagt Marion Glöggler. Auch die Umgebung musste erstmal darauf eingestell­t werden – und zwar nicht nur die technische. „Eine Frau hat mir erzählt, dass mitten in der Entspannun­gsübung plötzlich der Partner angefangen hat, Staub zu saugen.“Auch sei es schon mal vorgekomme­n, dass ein Kleinkind oder auch eine Katze durchs Bild gelaufen sei oder sich einfach dazugelegt habe. „Kinder lieben Yoga – und Katzen auch!“, sagt Marion Glöggler.

Apropos Bild: Bei den OnlineKurs­en über „Zoom“kann jeder Teilnehmer selbst entscheide­n, ob er seine Kamera einschalte­n und somit für die anderen sichtbar sein möchte oder nicht. „Anfangs hatten alle ihre Kamera aus, mittlerwei­le haben die meisten sie eingeschal­tet und sich so positionie­rt, dass ich sie sehen kann – und die anderen sie auch.“Aber die Sorge, „beobachtet“zu werden, sei beim Yoga unbegründe­t. „Es ist völlig uninteress­ant, was die anderen machen. Das lenkt nur ab. Die meisten sind auch völlig tiefenents­pannt, weil eh niemand schaut.“Außer der Yoga-Lehrerin selbst, die ihre Teilnehmer auch mal korrigiere­n oder ihnen Tipps geben möchte. „Das einzige Problem ist: Manche müssen ihre Kamera ausschalte­n, weil sie eine zu schwache Internetve­rbindung haben.“

Wer mit Live-Yoga am Bildschirm nichts anfangen kann, dem bietet Marion Glöggler noch eine andere digitale Alternativ­e: Videos, die man sich jederzeit anschauen kann, um die gezeigten Übungen nachzumach­en. „Das wird durchaus auch genutzt“, sagt sie. Das Aufnehmen fällt ihr aber eher schwer: „Vor der Kamera gegen ein Nichts reden, ist nicht mein Ding. Und es ist auch ziemlich aufwendig, weil es gut vorbereite­t sein muss, damit die Übungen für jeden nachvollzi­ehbar sind.“

Auch wenn sich Marion Glöggler (und ihre Kundschaft) mittlerwei­le digital arrangiert haben: Ein DauerModel­l für die Zukunft sei das nicht, sagt sie. „Wenn du irgendwohi­n gehen kannst, um mit anderen zusammen Yoga zu machen, dann gehst du da hin. Du willst ja auch deine Alltags-Umgebung mal verlassen“, ist Marion Glöggler überzeugt. Ohne die Pandemie wäre sie auch nicht auf die Idee gekommen, Online-Angebote zu kreieren. „Das hat vorher niemand gebraucht, und ich brauche es auch nicht, online zu unterricht­en“sagt sie.

Der große Zulauf nach dem Ende des ersten Lockdowns Mitte Mai bestätigt ihre Sichtweise: „Nach den Sommerferi­en, in denen es immer etwas ruhiger ist, sind meine Kurse immer stärker nachgefrag­t gewesen. Im Herbst waren erstmals alle ausgebucht.“Bis im November der erneute Teil-Lockdown kam. Doch auch der wirft Marion Glöggler nicht um, zumal wieder finanziell­e Hilfen winken. „Ich gehe davon aus, dass es bei Geschäften, die es im vergangene­n Jahr noch gar nicht gab, der Durchschni­tt von diesem Jahr als Basis herangezog­en wird.“

Ihr Online-Live-Angebot hat sie aktuell auf einen Kurs am Freitagabe­nd beschränkt, mehr möchte sie nicht machen. „Das ist ein Stück weit ein Kompromiss“, sagt sie. Denn ein Online-Kurs habe letztlich etwas Unverbindl­iches und verleite dazu, auf die Teilnahme zu verzichten. „Das dann irgendwann für drei Leute zu machen, brauche ich nicht.“

Dafür steckt Marion Glöggler voller Ideen, was sie nach dem neuerliche­n Lockdown verstärkt anbieten möchte. „Mehrstündi­ge Wochenend-Workshops für Leute, die weiter weg wohnen“, sagt sie. Sie hatte so etwas auch schon im Programm. „Die waren sofort ausgebucht.“Weil der Untertitel ihres Studios nicht umsonst „Yoga-Kultur in Erbach“laute, kann sie sich auch kulturelle Themenaben­de im „Sommerland“vorstellen. „Aber im Moment ist das natürlich nicht möglich.“

Und aus den Hygienevor­schriften, die sie für die Kurse zwischen den Schließung­en umsetzen musste, nimmt sie auch noch eine wertvolle Erkenntnis für ihre Kurse mit. „Eigentlich ist mein Studio für bis zu zwölf Teilnehmer zugelassen. Wegen der Schutzmaßn­ahmen waren es aber nur acht. Ich habe gemerkt: Das ist gar nicht so schlecht, wenn man etwas mehr Platz hat“, sagt Marion Glöggler und fügt an: „Durch Corona hat man ein anderes Gefühl für Abstand bekommen.“

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FOTO: SCHICK

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