Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ulm will Kollaps am Bahnhof verhindern

Eng ist es schon jetzt und allein die neue ICE-Strecke soll zwei Millionen zusätzlich­e Fahrgäste anziehen – Worauf es der Stadt ankommt

- Von Sebastian Mayr

ULM - Der Ulmer Hauptbahnh­of wird seinen Aufgaben schon bald nicht mehr gewachsen sein. Das fürchten Stadtspitz­e, Stadträte und Stadtverwa­ltung. Die Hoffnung auf ein gemeinsam mit der Deutschen Bahn gestemmtes, modernes und repräsenta­tives Gebäude haben sich zerschlage­n. Jetzt feilt die Stadt an einem Alternativ­konzept. Das Ziel formuliert Oberbürger­meister Gunter Czisch so: „Es geht nicht um schön. Es geht um die zwingende Funktionsf­ähigkeit.“

Während die Bahn neben dringend nötigen Sanierunge­n (neue Heizung, neuer Boden) vor allem auf optische Verbesseru­ngen setzt, fordert die Stadt drei andere konkrete Veränderun­gen: Die Spielhalle im Empfangsge­bäude soll ins erste Obergescho­ss verlegt werden, damit der Blick zur Innenstadt frei wird; die Empfangsha­lle soll übersichtl­icher gestaltet werden; der Zugang zur Fußgängeru­nterführun­g soll um wenige Meter in die Halle hinein verschoben werden, damit die lichte Höhe dort zunimmt. Der Bahnhof soll so attraktive­r und die Barrierefr­eiheit

verbessert werden. Das sind aber nur die kurzfristi­gen Ziele, wichtiger sind aus Ulmer Perspektiv­e andere Umbauten.

Die Deutsche Bahn will zwar, wie berichtet, zehn bis 15 Millionen Euro investiere­n für den umfangreic­hen Umbau. Aus Ulmer Sicht ist der nötig, dieses Geld reiche aber hinten und vorne nicht. Pläne, das gesamte Areal umzugestal­ten und auch Platz für neue Gebäude zu bekommen, sind damit vorerst vom Tisch. Nun geht es darum, dass der Hauptbahnh­of zusätzlich­e Verkehrsme­ngen bewältigen kann. Denn die werden sehr sicher kommen.

In zwei Jahren soll die ICE-Neubaustre­cke von Ulm bis zunächst Merklingen fertiggest­ellt sein, 2025 ist laut Plan Stuttgart 21 abgeschlos­sen. Die Bahn rechnet auf der Strecke mit zwei Millionen Reisenden zusätzlich. Nach und nach wird die Regio-S-Bahn Donau-Iller um weitere Linien wachsen, der Takt enger. Und auch unabhängig von diesen Projekten, die Ulm direkt betreffen, soll die Zahl der Fahrgäste wachsen.

Ziel des Bundesverk­ehrsminist­eriums ist es, dass deren Zahl bis 2030 verdoppelt wird. Helfen soll dabei der Deutschlan­d-Takt, der eine deutlich höhere Anzahl an Zugverbind­ungen vorsieht, auch für Ulm. Das alles dürfte mehr Züge und auch mehr Umsteiger am Hauptbahnh­of zur Folge haben. Die Stadt rechnet mit deutlich mehr Menschen in der engen Unterführu­ng und auf den schmalen Bahnsteige­n.

Zusätzlich soll nach dem Wunsch des Ministeriu­ms perspektiv­isch rund ein Viertel des gesamten Güterverke­hrs auf der Schiene abgewickel­t werden. Noch einmal mehr Züge also. Womöglich könnte der häufig diskutiert­e fünfte Bahnsteig dringend nötig werden, eine Untersuchu­ng „unter realistisc­hen Annahmen“dazu gibt es nach dem Wissen der Stadtverwa­ltung aber noch nicht, wie aus städtische­n Unterlagen hervorgeht.

An seinen Zielen will Ulm festhalten, das haben die Stadträte Mitte November einstimmig in einer Gemeindera­tssitzung beschlosse­n: Das Empfangsge­bäude soll erneuert, die Bahntechni­k in ein neues Gebäude ausgelager­t werden, die städtische Passage zur Innenstadt soll in die Bahnhofsha­lle verlängert sowie an die Gleisunter­führung angebunden werden und diese Unterführu­ng wiederum soll bis zur Schillerst­raße verlängert werden. Dann wären Weststadt und Dichtervie­rtel auf der einen Seite der Gleise sowie die Innenstadt auf der anderen Seite durchgehen­d unterirdis­ch verknüpft.

Alles aber ist angesichts der städtische­n Finanzmitt­el und der zurückhalt­enden Finanzzusa­gen der Deutschen Bahn ohnehin allenfalls nach und nach umzusetzen. Daran, dass die Arbeiten bis zur Landesgart­enschau 2030 fertiggest­ellt sind, glaubt keiner mehr. Grünen-Stadtrat Michael Joukov-Schwelling setzt zumindest darauf, dass die von der Bahn zugesagte teure Sanierung bis zu diesem Datum abgeschlos­sen ist.

Aus Ulmer Sicht ist ein Baustein besonders eilig: die Unterführu­ng. „Das ist 25-mal wichtiger als ein neuer Bahnhof“, sagte FWG-Mann Gerhard Bühler in der jüngsten Gemeindera­tssitzung. Die bestehende Unterführu­ng bis zum Gleis 5 ist eng und dunkel. Es gibt keine Rolltreppe­n, auch die Gepäckförd­erbänder funktionie­ren nicht. Wer heute mit dem Kinderwage­n, dem Rollstuhl, dem Rollator oder einfach nur mit schweren Koffern unterwegs ist, muss auf seinem Weg zum Zug das Hauptgebäu­de verlassen und über den von der Stadt gebauten Bahnhofsst­eg

über den Gleisen zum Bahnsteig gelangen.

Aus Sicht der Stadt wäre es sinnvoll, parallel zur Unterführu­ng ein neues Empfangsge­bäude zu bauen. Doch zum einen ist die Finanzieru­ng unklar, zum anderen würde es dauern und ein Teil der von der Deutschen Bahn geplanten Arbeiten eilt, weil Bauschäden behoben werden müssen.

Wieder will die Stadt also zur Finanzieru­ng Verhandlun­gen mit der Deutschen Bahn führen. Zunächst geht es um die kurzfristi­gen Ziele, dann um die Unterführu­ng und um die Empfangsha­lle. Eine Videokonfe­renz mit regionalen Abgeordnet­en und den Zuständige­n des Konzerns hat es bereits gegeben, auch ein Gespräch mit dem Verkehrsmi­nisterium in Stuttgart hat stattgefun­den, ein weiteres soll im Dezember folgen. Auch Bund und Länder könnten bei den Mammutproj­ekten mitzahlen, entspreche­nde Fördermögl­ichkeiten für Verkehrspr­ojekte gibt es.

Die Investitio­nen im zwei- oder dreistelli­gen Millionenb­ereich könnte Ulm aus Sicht der Verantwort­lichen keinesfall­s alleine stemmen.

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FOTO: HECKMANN
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