Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Frauen im Kriegsdienst bei Altbierlingen
Otmar Gotterbarm aus Münsingen hat die Erfahrungen von Frauen zusammengetragen
MÜNSINGEN/EHINGEN - Mit beinahe kriminalistischem Ermittlungsgeschick hat Autor Otmar Gotterbarm aus Münsingen Zeitzeuginnen aufgespürt, die von 1943 bis 1945 in Altbierlingen in der Funkmessstellung im Kriegshilfsdienst waren. Viele Jahre hat der Autor nach dem Standort der einstigen Radarstation gesucht. Lange allerdings auf der falschen Seite der Donau.
Die historische Nachtjagdkarte der deutschen Luftwaffe mit den vielen Tiernamen hat Otmar Gotterbarm schon einige Jahre. Er hatte sie bei Recherchen für eines seiner anderen Bücher erhalten. Hecht, Auerochse, Erpel oder eben Laubfrosch sind scheinbar wahllos als Namen in die Karte eingetragen. Es handelt sich um Tarnnamen für Radaranlagen.
Ergebnislos suchte Gotterbarm den einstigen Standort entlang der Bundesstraße 465 in Richtung Münsingen. In den angrenzenden Dörfern wusste auch niemand etwas von einer einstigen Funkmessstellung. Erst ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1966 mit der Überschrift „Keiner will die Bunkerreste“führte ihn auf die richtige Spur: Er hatte auf der falschen Seite der Donau gesucht. Mutmaßlich war der Standort absichtlich falsch eingetragen worden, um „den Feind“in die Irre zu führen, falls ihm die Karte in die Hände gefallen wäre.
Doch nur mit der Karte und Hinweisen in Altbierlingen, wo sich noch Reste des Bunkers und ein alter dazugehöriger Brunnen befinden, wäre das entstandene Buch „Tarnname Laubfrosch – Die Funkmessstellung Altbierlingen 1943 - 1945 und die Erfahrungen junger Frauen im Kriegshilfsdienst“nur eines über Militärtechnik
geworden, sagte Gotterbarm jüngst bei der Buchpräsentation im Franziskanerkloster. Dokumente in Archiven über den militärischen Standort gibt es nicht. Franz Blersch aus Ehingen habe jahrelang das Gebiet abgesucht und Überbleibsel der Radarstation fotografiert und dokumentiert, ergänzt der Autor, der selbst aus Unterwilzingen stammt.
Er wollte mehr als nur eine Auflistung dessen, was sich im Krieg dort befand und abspielte. „Ich musste die letzten Zeitzeugen finden.“Doch das Leben der etwa 150 Frauen, auch „Blitzmädels“genannt, und der 50 Männer, die dort lebten und arbeiteten, schien ihm „hermetisch abgeschirmt zu sein“, wie er im Nachwort des Buches schreibt. „Kein Sterbenswörtchen, nicht einmal der Tarnname Laubfrosch, durfte bekanntlich nach draußen dringen. (...) Doch dann kam die Stunde der Frauen. Es waren zwei schon betagte Ordensschwestern, Vinzentinerinnen, die, bildlich ausgedrückt, das Drahtgeflecht aufrissen.“Ihr Schicksal hat er ins Zentrum des Buches gestellt. Eine der beiden, Schwester Flamina Herzog, kam aus Altbierlingen und hat die Frauen, die jeden Morgen zur Funkmessstellung marschierten, beobachtet. Die andere war Schwester Ilga Kneer, die aus Schelklingen kam und dort kaserniert war. Sie hat Otmar Gotterbarm in vielen Stunden langsam erzählt, was es mit der Radarstation auf sich hatte. Eine weitere Zeugin, die namentlich nicht genannt werden will, „fühlte sich noch an den Eid an den Führer gebunden“, erzählt der Autor von der mühsamen Recherche. Doch auch sie erzählte irgendwann. Sicherlich habe es damals Geflüster im Dorf gegeben, was da auf den Feldern an riesiger moderner Technik entstand, doch darüber sprechen wollte keiner, bestätigt auch Stadtarchivar Ludwig Ohngemach.
Unübersehbar waren die modernen Anlagen aber auf jeden Fall. Sie verteilten sich weitläufig rund ums Dorf und waren teilweise viele Meter hoch. Maria (später Ilga) Kneer leistete ihren Dienst meist am Freya-Gerät und im Wassermann, die den Luftraum großräumig überwachten. Über schmale Metallleitern des Wassermanns gelangte sie nahezu senkrecht in die Höhe des über fünfzig Meter hohen Stahlgitter-Kolosses, wie Gotterbarm schreibt. Auf halber Höhe befand sich die Bedienungskabine, die sich drehte, um sich auf anfliegende Bomberströme auszurichten. Um sich verteidigen zu können, hatten alle Frauen unhandliche Karabiner.
Um die Funkmessstellung verteidigen zu können, gab es eine leichte Vierlingsflak, deren Standort sich immer wieder änderte. Sie soll nur ein einziges Mal, kurz vor Ende des Krieges, gegen einen Tiefflieger in Aktion getreten sein, was aber auch die Stellung der Radarstation verriet.
Welchen Stellenwert die Station in Altbierlingen hatte, lässt sich nur noch schwer rekonstruieren, heißt es im Buch. Verbrieft seien nur wenige Abschüsse, die in keinem Verhältnis zur Anzahl der Flugzeuge der Briten und Amerikaner stehen, die das Gebiet an der Donau überflogen haben müssen. Doch Abschüsse von Nachtjägern könnten von Altbierlingen aus initiiert worden seien. „Gegenüber der totalen Luftüberlegenheit der Alliierten, wie sie sich ab dem Frühjahr 1944 abzeichnete, war sie jedoch ebenso wirkungslos wie die gesamte Reichsverteidigung der deutschen Luftwaffe“, schreibt Gotterbarm. Geblieben sind heute nur noch vereinzelte Gesteinsbrocken, Kabel und Relikte, die heute einem ganz anderen Zweck dienen.
Für das Ehinger Stadtarchiv sei das Buch dadurch umso wertvoller, macht Stadtarchivar Ohngemach klar: „Die Untersuchung ist bedeutend für ganz Süddeutschland und noch nichts Vergleichbares ist erschienen.“
„Die Untersuchung ist bedeutend für ganz Süddeutschland und noch nichts Vergleichbares ist erschienen.“Ludwig Ohngemach
Das Buch ist unter anderem bei Osiander in Ehingen zum Preis von 16 Euro erhältlich.