Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Ausflugsziele werden abgesperrt
Neue Details zu Corona-Regeln im Land – Wann über Schulen und Kitas entschieden wird
STUTTGART - Mehr Homeoffice, weniger Ausflüge, Lockerungen für Kinder: Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat am Freitag im Stuttgarter Landtag den CoronaKurs seiner Regierung verteidigt. Die Regeln, die ab Montag gelten sollen, muss das Land noch in einer Verodnung festhalten. Wie Baden-Württemberg die Pandemie bekämpfen will und welche Kritik es daran gibt:
Homeoffice
Kretschmann will mehr Menschen als bisher ins Homeoffice schicken. „Dieser Punkt wird leider noch immer unterschätzt“, sagt er. Auf dem Weg zur Arbeit und am Arbeitsplatz gebe es zu viele vermeidbare Kontakte. Tags zuvor hat er in einem Brief an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) darum gebeten, einen Homeoffice-Gipfel mit Vertretern von Kammern, Arbeitgeberund Arbeitnehmerverbänden einzuberufen. Er verweist darin auf eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wonach 13 Prozent der Beschäftigten Homeoffice nicht nutzten, obwohl dies ihre Tätigkeit zuließe.
„Wir sind uns alle einig, dass ein verstärkter Einsatz von Homeoffice ein ganz wichtiger Faktor ist, um die Infektionsrisiken abzusenken“, erklärt Hoffmeister-Kraut. Ein OnlineSpitzentreffen am Dienstag werde sie nutzen, um erneut eindringlich für Homeoffice zu werben. Der Gipfel soll eine Woche später folgen. Laut ihrer Erfahrung würden Spielräume aber schon großzügig genutzt.
Das betont auch der Arbeitgeberverband. „Mobile Arbeit wird schon umfassend genutzt“, erklärt eine Sprecherin. Um betriebliche Abläufe am Laufen zu halten, gehe es nicht ganz ohne Präsenz. Durch umfangreiche Arbeitsschutzvorschriften gehöre der Betrieb zu den sichersten Umgebungen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt den Gipfel. Landesvorsitzender Martin Kunzmann mahnt aber: „Mobiles Arbeiten bedeutet nicht automatisch gute Arbeitsbedingungen.“Auch zu Hause hätten Beschäftigte ein Recht auf Arbeitszeiterfassung und darauf, auch mal nicht erreichbar zu sein.
Einkaufen
Ab Montag ist auch im Südwesten das „Click & Collect“möglich. Das heißt, dass Kunden ihre online gekauften Produkte beim Einzelhändler abholen dürfen. Andere Bundesländer haben dies während des Weihnachtsgeschäfts ermöglicht. Das kritisiert die Opposition im Landtag scharf. „Es ist eine späte, vielleicht eine zu späte Einsicht“, mahnt SPD-Fraktionsschef Andreas Stoch. Seine Fraktion und die FDP hatten für diese Möglichkeit im Dezember geworben. Während des Weihnachtsgeschäfts hätte das zu großen Menschenansammlungen führen können, entgegnet Kretschmann. Das habe man verhindern wollen.
Lockerung für Kinder
Bundesweit sollen sich Menschen ab Montag nur noch mit einer Person jenseits des eigenen Haushalts treffen. So haben es die Regierungschefs von Bund und Ländern diese Woche beschlossen. Kinder bis 14 Jahren sind aber in Baden-Württemberg ausgenommen. „Das ist schon sehr gewagt“, räumt Kretschmann ein. „Das ist natürlich nicht ganz im Sinne der Kontaktbeschränkungen.“Alle anderen angedachten, feingliedrigeren Ausnahmen für Kinder wären aber zu kompliziert gewesen. Auch andere Länder scheren aus der Abmachung aus. So soll in RheinlandPfalz die Altersgrenze bei sechs Jahren liegen.
Schul- und Kitaöffnung
Kommenden Donnerstag will die Landesregierung entscheiden, wann Schulen und Kitas wieder öffnen.
Dann herrsche mehr Klarheit über das Infektionsgeschehen – noch seien die Zahlen wegen der Weihnachtsund Feiertage nicht verlässlich, so Kretschmann. Er und Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatten bereits erklärt, Grundschulen und Kitas ab dem 18. Januar wieder öffnen zu wollen – entgegen der Bund-Länder-Beschlüsse, die Schließungen bis Ende Januar vorsehen. Ältere Schüler sollen aber weiter von zu Hause aus lernen.
Es gibt Ausnahmen. Für Schüler, die 2021 ihren Abschluss anstreben, dürfen Schulen ab Montag Unterricht vor Ort anbieten. Diese Wahlfreiheit hat eine andere Schulart nicht: Sonderpädagogische Bildungsund Beratungszentren, die Kinder mit Behinderungen beschulen, müssen Montag öffnen. Die Opposition kritisiert die Kultusministerin scharf. „Seit Beginn der Pandemie im Frühjahr vergangenen Jahres haben wir von der Kultusministerin keine Lösung gesehen“, sagt SPDFraktionschef Andreas Stoch. Sein
FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke wirft Eisenmann vor, Wahlkampf auf dem Rücken von Kindern, Eltern und Lehrern zu machen. Eisenmann ist Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl am 14. März. „Das ist das Problem: Sie verkündet Dinge, die sie selbst nicht glaubt“, so Rülke über Eisenmann. „Die Schulpolitik in Baden-Württemberg ist vollkommen unberechenbar geworden.“
Die AOK Baden-Württemberg warnt derweil vor zu hohen Belastungen für die Krankenkassen. Bund und Länder hatten beschlossen, die Zahl der Tage zu erhöhen, an denen Eltern Kinderkrankengeld beziehen können. „Wenn nun den gesetzlichen Krankenkassen allein die Finanzierung der Kinderbetreuung bei Schulund Kitaschließungen aufgebürdet wird, geht das erneut ausschließlich zulasten der gesetzlich Versicherten und ihrer Arbeitgeber“, erklärt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der Südwest-AOK, und fordert Steuerzuschüsse.
Ausflüge
Lob erntete die Landesregierung von der Opposition für ihren Weg, die Mobilität der Menschen einzuschränken. Bund und Länder hatten einen 15-Kilometer-Radius für Menschen beschlossen, die an einem Ort mit mehr als 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche wohnen. Das soll hierzulande zunächst nicht gelten. Im Südwesten sollen hingegen beliebte Ausflugsziele abgeriegelt werden – und zwar bereits am Wochenende.
Impfzentren
Kritik hagelt es für die Impfkampagne des Landes. „Natürlich ruckelt es am Anfang bei einem Projekt dieser Art auch mal“, räumt Kretschmann ein. Die Hotline zur Terminvergabe funktioniere aber. FDP-Fraktionschef Rülke spricht hingegen von „Impfchaos“, AfD-Fraktionsvorsitzender Bernd Gögel von „Impfversagen“. Gögel forderte, niemanden zum Impfen zu zwingen. Das habe niemand vor und alle verantwortlichen Politiker hätten das bereits mehrfach erklärt, betonte Kretschmann. Die neun Zentralen Impfzentren arbeiten, der Start in den 50 Kreisimpfzentren wurde um eine Woche auf den 22. Januar verschoben. Grund sei mangelnder Impfstoff vom Bund. Justizminister Guido Wolf (CDU) macht seinem Ärger in einem Brief an Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) Luft. „Hier geht es nicht nur um eine Verzögerung um eine Woche“, schreibt der Abgeordnete aus Tuttlingen, „sondern um den Verlust politischer Glaubwürdigkeit in einer hochsensiblen Frage.“Derlei Kritik weist Lucha von sich. Täglich würden 5000 Impfdosen verabreicht. Die Quote entspreche dem Schlüssel der Bundesländer. „Die Mär, dass wir ein Impfchaos haben, die stimmt einfach nicht.“