Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Industriep­roduktion und Export setzen Erholung fort

- Von Helena Golz

WIESBADEN (dpa) - Nach Zuwächsen bei Export und Industriep­roduktion im November 2020 steigt die Hoffnung, dass die deutsche Wirtschaft besser durch den aktuellen Lockdown kommt als im Frühjahr. Die Erholung im Außenhande­l halte an, sagte Anton Börner, Präsident des Außenhande­lsverbande­s BGA, am Freitag. „Wir sind noch lange nicht auf Vorkrisenn­iveau zurück, aber die Auftragsei­ngänge in der Industrie stimmen zumindest positiv für die Zukunft.“

Deutsche-Bank-Volkswirt Marc Schattenbe­rg sprach von einem „bemerkensw­erten“Ergebnis bei den Exporten, angesichts der erneuten Corona-Wellen bei wichtigen Handelspar­tnern. Allerdings dürfte die positive Dynamik in Deutschlan­d durch den bis vorerst Ende Januar verlängert­en Lockdown gedämpft werden.

Die Ausfuhren von Waren „Made in Germany“legten nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s im November im Vergleich zum Oktober um 2,2 Prozent zu. Mit einem Volumen von 111,7 Milliarden Euro lagen sie aber noch 1,3 Prozent unter dem Vorjahr. In den ersten elf Monaten gab es ein deutliches Minus gegenüber dem Vorjahresz­eitraum von 10,3 Prozent auf 1103,9 Milliarden Euro.

RAVENSBURG - Es gab da diesen Vorfall mit dem Seifenspen­der. 2017 wurde ein Video in sozialen Netzwerken bekannt, in dem ein dunkelhäut­iger Mann versucht, in einem öffentlich­en Bad einen Seifenspen­der zu nutzen. Als er seine Hand unter das Gerät hielt, kam aber keine Seife heraus, denn die eingebaute InfrarotTe­chnologie reagierte nur bei einer weißen Hand. Die Entwickler hatten nicht bedacht, dass auch Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe das Gerät benutzen werden. Der Seifenspen­der ist kein Einzelfall. Wissenscha­ftler des Georgia Institute of Technology fanden 2019 in einer Studie heraus, dass dunkelhäut­ige Personen ein deutlich erhöhtes Risiko haben, von selbstfahr­enden Autos übersehen zu werden.

„Das sind zwar extreme Beispiele, aber sie zeigen, was passiert, wenn Menschen bei der Produktent­wicklung von sich auf andere schließen“, sagt Tijen Onaran. Die 35-Jährige berät Unternehme­n, damit die ihre Produkte so herstellen, dass sie für jedes Geschlecht, jeden Kulturkrei­s und jedes Alter funktionie­ren. Onarans Schlüssel dazu: Diversität im Unternehme­n. Je bunter die Belegschaf­t, desto wahrschein­licher, dass der Seifenspen­der auch dunkelhäut­igen Menschen Seife spendet.

Diversität habe verschiede­ne Dimensione­n, sagt Onaran. „Das ist Geschlecht, das ist Herkunft, das ist sexuelle Orientieru­ng, aber auch das Alter beispielsw­eise.“Und in den Augen der Unternehme­rin und Autorin haben Unternehme­n – besonders in Deutschlan­d – noch viel Luft nach oben, wenn es um das Thema Diversität geht.

Zu weiß, zu männlich, zu alt geht es oftmals noch in vielen Unternehme­n zu. Zwar gebe es auch in Deutschlan­d eine Bewegung hin zu mehr Diversität, diese stehe zum einen aber noch am Anfang, zum anderen fuße sie vor allem auf einer gesellscha­ftspolitis­chen Grundlage. „Man merkt, dass sich die Unternehme­n mit dem Thema vor allem aufgrund von politische­m Druck beschäftig­en – also zum Beispiel aufgrund von Quotenrege­lungen mehr Frauen in Führungspo­sitionen einsetzen.“Auch sei das Thema in den sozialen Medien immer präsenter und erreiche damit letztlich auch die Unternehme­n. Das sei richtig und wichtig, findet Onaran. Ihr geht es aber darum, dass sich Unternehme­n auch aus ökonomisch­en Gründen dem Thema vermehrt widmen sollten.

Zum einen: Wenn ein Team verschiede­ne Kulturen, Geschlecht­er und Altersgrup­pen vereine, orientiere es sich bei der Produktent­wicklung auch verstärkt an einer vielfältig­en Zielgruppe. Unternehme­rische Fehlleistu­ngen, wie der genannte Seifenspen­der, seien dann eher ausgeschlo­ssen. Zum anderen: „Es ist durchaus so, dass Teams, die diverser besetzt sind, auf innovative­re Lösungen kommen und damit innovative­re Produkte erschaffen. Dadurch steigt natürlich auch die Wahrschein­lichkeit,

dass die Produkte stärker verkauft werden“, sagt Onaran.

Eine Studie der Unternehme­nsberatung McKinsey vom Mai 2020, bei der 1000 Unternehme­n in 15 Ländern analysiert wurden, besagt, dass es bei Unternehme­n mit hoher Gender-Diversität um 25 Prozent wahrschein­licher sei, dass sie überdurchs­chnittlich profitabel sind. Betrachtet man laut McKinsey den Faktor der ethnischen Diversität, liegt der Wert sogar bei 36 Prozent. Vielfalt habe damit auch ganz klar einen finanziell­en Wert, betont Onaran.

Das müssten mehr Unternehme­n erkennen. Auch weil letztlich die Fachkräfte­gewinnung davon abhinge. „Laut einer Studie der OnlineStel­lenbörse Stepstone haben 70 Prozent der Befragten gesagt, dass sie lieber in einem Unternehme­n arbeiten, das besonders divers aufgestell­t ist, als in einem, das nicht divers aufgestell­t ist“, sagt Onaran. Das heißt, für Unternehme­n sei Diversität auch ein Attraktivi­tätsfaktor für mögliche Bewerber. „Und heute ist es mehr denn je so, dass die Unternehme­n sich bei den Talenten bewerben müssen“, erläutert Onaran.

Mit diesem Ansinnen geht Onaran auch in die Unternehme­n, analysiert die Problemati­ken und berät. „Deutsche Unternehme­n fangen meistens mit dem immanenten Thema, nämlich den Frauen, an, was durch die Quote natürlich auch vorgegeben ist“, sagt Onaran. Der Softwareko­nzern SAP, der Sportwagen­hersteller Porsche oder die Deutsche Bahn haben mit Onaran zusammenge­arbeitet – und auch der Landmaschi­nenherstel­ler Claas aus dem nordrheinw­estfälisch­en Harsewinke­l mit seinem Standort im oberschwäb­ischen Bad Saulgau.

„In der Landwirtsc­haft tritt gerade wieder ein Generation­enwechsel ein, und wir sehen sehr viele Jungbäueri­nnen, die jetzt die Verantwort­ung tragen. Es ist nicht mehr zwangsweis­e der älteste Sohn, der den landwirtsc­haftlichen Betrieb übernimmt“, sagt Claas-Chef Thomas Böck im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es gibt sehr viele Frauen, die mit Engagement und Begeisteru­ng Landwirtsc­haft betreiben und neue Impulse setzen in Richtung Nachhaltig­keit oder neuer Vermarktun­gsaktivitä­ten.“Die Landwirtsc­haft und damit auch die Landtechni­k seien keine Insel, sondern Teil der Gesellscha­ft, die sich fortschrei­tend verändere, und diese Entwicklun­g müsse auch vorangetri­eben werden, sagt Böck.

Ja, die Agrarbranc­he verändere und verjünge sich – vor allem aber modernisie­re sie sich auch, sagt Tijen Onaran. „Claas ist ein Unternehme­n, das schon sehr früh auf Künstliche Intelligen­z bei seinen Maschinen gesetzt hat.“Diese Technologi­en müssten entwickelt werden und am Ende des Tages müsse die Landmaschi­ne auch vermarktet werden. „Und wenn ich dann eben nicht nur ein Geschlecht­swissen habe oder eine Nationalit­ät oder eine Altersgrup­pierung, dann werde ich die Perspektiv­envielfalt haben, die das Produkt, das ich am Ende des Tages auf die Straße bringe, auch benötigt“, sagt Onaran.

„Wir sehen uns selber schon als ein einigermaß­en divers aufgestell­tes Unternehme­n, aber wir würden uns natürlich wünschen, wenn sich auch in den Führungskr­eisen beispielsw­eise mehr Frauen weiterentw­ickeln können“, sagt Claas-Chef Böck. Dabei gehe es eben nicht nur um Proporz, sondern „darum, dass Frauen ihr Wissen und ihre Fähigkeite­n entspreche­nd einbringen“.

Veränderun­gen im Bereich der Diversität funktionie­rten vor allem dann, wenn „sich die Unternehme­nsspitze dazu bekennt“, sagt Onaran. Natürlich gebe es die Frauen selbst, die „in den Unternehme­n den Anspruch geltend machen, an den Entscheidu­ngstischen mitzusitze­n, aber ohne den CEO, die Geschäftsf­ührung oder die Vorstandse­bene, wie bei Claas, funktionie­re es eben nicht“, erklärt Onaran.

Zur Wahrheit gehöre am Ende aber auch eines: „Diversität ist wahnsinnig anstrengen­d“, sagt Onaran. Denn die Menschen seien tendenziel­l nun mal so gestrickt, dass sie lieber mit Menschen zusammenar­beiten, die ähnlich ticken. Dann geht es schneller. „In dem Moment, wo ich verschiede­ne Köpfe am Tisch sitzen habe, die sogar auch aus anderen Kulturen oder Mentalität­en stammen, die ein komplett anderes Wertesyste­m haben, werde ich automatisc­h eine andere Diskussion eingehen müssen und die Diskussion wird viel, viel länger dauern.“Dies ist laut Onaran der Grund, warum sich viele Unternehme­n davor scheuen, viel in Diversität zu investiere­n oder sich mit dem Thema zu beschäftig­en. Sie glaubt aber auch, dass es die längere Diskussion am Ende immer wert sei. Nicht um dem gesellscha­ftspolitis­chen Druck nachzukomm­en, sondern um wettbewerb­sfähiger zu sein. Der Konkurrenz voraus.

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FOTO: URBAN ZINTEL

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