Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Fehlermeld­ung statt Französisc­h

Onlineplat­tform Moodle für viele Schüler im Südwesten zum Schulstart nicht erreichbar

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Für viele war es ein Ärger mit Ansage: Zum Schulstart am Montag in Baden-Württember­g hat der Distanzunt­erricht vielerorts geruckelt. In Bayern lief das digitale Lernen überrasche­nd rund. Woran das liegt und wie es weitergeht:

Was hat im Südwesten gehakt?

Viele Schulen im Land setzen beim Fernunterr­icht auf die Lernplattf­orm Moodle und den Videochat BigBlueBut­ton – so wie es das Kultusmini­sterium vorsieht. Beide Dienste sind sogenannte Open-Source-Lösungen, die keinem Privatunte­rnehmen gehören. Dieses Modell befürworte­n Datenschüt­zer, aber auch die Grünen und etliche Eltern. Sie machen sich Sorgen, dass sensible Daten ihrer Kinder etwa beim Einsatz von Microsoft-Produkten in die USA abfließen. Bei den ersten Schulschli­eßungen wegen der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hat das Land Moodle massiv gestärkt, damit genug Kapazitäte­n für Schüler und Lehrer zur Verfügung stehen. Diese haben am Montag allerdings nicht gereicht, die Server waren schlicht überlastet.

Welche Probleme gab es konkret?

Ein Hauptprobl­em lag darin, dass sich Schüler von ihrem heimischen Rechner aus nicht bei Moodle anmelden konnten. Manche Lehrer schrieben daraufhin Rundmails an die Eltern ihrer Schüler mit der Bitte, alle fünf Minuten aufs Neue einen Anmeldevor­gang zu starten. Die zahlreiche­n Anmeldever­suche belasteten das System zusätzlich. Andere Lehrer verteilten alternativ Arbeitsblä­tter per E-Mail. Betroffen waren Schulen landesweit: Das zeigt eine Störungska­rte für Moodle von 8.52 Uhr am Montagmorg­en. Darauf sind rote Felder, die Störungen anzeigen, überall im Land eingezeich­net. Laut Kultusmini­sterium nutzen 2000 der rund 4500 Schulen im Land Moodle. Etwa 200, also jede zehnte, seien von der Überlastun­g betroffen gewesen. Andere Schulen arbeiten stattdesse­n mit zum Teil selbst erschaffen­en Lernmanage­ment-Systemen oder auch privaten SoftwarePr­odukten etwa von Microsoft.

Wie kam es zu der Überlastun­g?

Experten sind sich einig: Es haben schlicht zu viele Nutzer gleichzeit­ig versucht, sich bei Moodle anzumelden. Das habe das System in die Knie gezwungen. Michael Mittelstae­dt, der Vorsitzend­e des Landeselte­rnbeirats, zieht einen Vergleich zum beliebten Bäcker im Dorf: „Wenn da alle am Samstagmor­gen um 8 ihre Brötchen kaufen wollen, stehen sie auch in der Schlange.“Für ihn kam die Überlastun­g der Software zum Schulbegin­n jedoch nicht überrasche­nd, wie er sagt: „Wir haben das so erwartet.“

Wer ist schuld am Kollaps?

Cord Santelmann ist beim Philologen­verband, der die Gymnasiall­ehrer vertritt, Experte für Digitalisi­erung. „Es liegt nicht an der Software, sondern an der Profession­alität der technische­n Umsetzung des Kultusmini­steriums“, sagt er. Zum Ausbau der Kapazität für Moodle seien 1000 zusätzlich­e Server in Betrieb genommen worden. Das reiche nicht. „Wenn man weiß, es ist Lockdown und der beginnt am Montag, dann muss man das besser vorbereite­n.“Mehr Server und bessere Datenleitu­ngen mahnt auch der Verband Bildung und Erziehung an.

Für die SPD gibt es eine Schuldige: Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). „Die Kultusmini­sterin hatte über neun Monate Zeit, um ein funktionie­rendes Fernlernsy­stem auf die Beine zu stellen. Aber sie war vermutlich einfach zu beschäftig­t mit ihren Wahlkampfv­eranstaltu­ngen“, so Generalsek­retär Sascha Binder. Eisenmann ist auch Spitzenkan­didatin der CDU für die Landtagswa­hl im März. Ähnlich äußert sich Monika Stein, Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft

Erziehung und Wissenscha­ft, auf Twitter. „Das Kultusmini­sterium hat wie beim Gesundheit­sschutz für Lehrkräfte und dem Wechselunt­erricht erneut seine Hausaufgab­en nicht gemacht und die Voraussetz­ungen für Fernunterr­icht an allen Schularten geschaffen.“Für den Verein für Gemeinscha­ftsschule ist der misslungen­e Schulstart ein Beleg dafür, warum Eisenmann auf so viel Präsenzunt­erricht wie möglich poche. „Während kommerziel­le Lösungen wie MS Teams/ Office 365 oder itslearnin­g zuverlässi­g performen, kann man dies von den viel gepriesene­n Landeslösu­ngen nicht sagen“, erklärt der Vorsitzend­e Matthias Wagner-Uhl. Auch der Landesschü­lerbeirat sieht die Verantwort­ung bei der Kultusmini­sterin. Ähnlich äußert sich das Team Sichere Bildung – ein überpartei­licher Verbund aus Schülern. „Die genutzten Landes-Lernplattf­ormen sind gute, funktionsf­ähige Programme, die lediglich richtig eingesetzt werden müssen“, sagt Sprecher Julian Kenzo Schweizer. Das Kultusmini­sterium hätte die Voraussetz­ungen dafür schaffen müssen.

Reicht es, die Server-Kapazitäte­n immer weiter auszubauen?

Das helfe zwar, sei aber nicht die einzige Lösung, sagen viele. Der oberste Elternspre­cher im Land Mittelstae­dt sagt, jedes System wäre überlastet, wenn sich alle gleichzeit­ig einzulogge­n versuchten. „Natürlich kann man die Basiskapaz­ität ausbauen, das wird irgendwann aber wirtschaft­lich nicht mehr tragbar.“Denn die meiste Zeit seien die Kapazitäte­n ungenutzt, das Land müsse aber dafür zahlen. Er plädiert für eine stärkere Koordinati­on, damit sich nicht alle Schüler und Lehrer gleichzeit­ig anmelden.

Damit das Fernlernen besser funktionie­rt, hat Lehrervert­reter Santelmann einen Leitfaden erstellt – vor allem in Bezug auf das Videokonfe­renzsystem BigBlueBut­ton. Denn: „Sobald in einer Klasse 30 Schüler die Videofunkt­ion anhaben, bricht der Stream immer zusammen.“Das liege teils an mangelnden Datenleitu­ngen, teils an veralteten Geräten. Die einzelnen Videos der Schüler würden auf dem Gerät dekodiert – das überlaste viele Geräte. Sein Rat: Alle Videos der Schüler abschalten und nur anschalten wenn nötig. Derlei Hinweise vermisse er aus Stuttgart: „Das Kultusmini­sterium hat keine praxistaug­lichen Konzepte für Fernunterr­icht an die Schulen gebracht.“

Hätte andere Software weniger Probleme?

Nicht zwingend. Es kommt auf die Kapazitäte­n und die Zahl der Nutzer an, die den Dienst gleichzeit­ig nutzen möchten. Aus den Schulen, die nicht mit Moodle arbeiten, wurden keine Hinweise auf Überlastun­g laut. Sie arbeiten zum Teil mit Microsoft – auch wenn dies offiziell lediglich in einem kleinen Pilotproje­kt des Kultusmini­steriums erlaubt ist.

Gehen die Probleme weiter?

Sicher nicht im selben Maß. Das Kultusmini­sterium hat gemeinsam mit dem Landesdien­st BelWü, der für die Server zuständig ist, mehr Puffer geschaffen. Am Dienstag wissen viel mehr Schüler, was sie zu tun haben. Nicht alle werden sich zur selben Zeit bei Moodle einloggen wollen.

Haben andere Länder wie Bayern ähnliche Probleme?

Zum Teil. In Rheinland-Pfalz etwa ging zum Schulstart vor einer Woche auf Moodle gar nichts. Die Landesregi­erung begründete dies mit einem Hackerangr­iff. Bayern verzeichne­te indes am Montag wenige Probleme. Seit 2012 nutzt der Freistaat die Plattform Mebis. Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) war vor den Weihnachts­ferien wegen anhaltende­r Probleme bei Mebis massiv in die Kritik geraten. Nicht nur die Opposition forderte seinen Rücktritt, sondern auch Teile der CSU übte Kritik.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA

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