Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Millionen-Betrugsver­dacht bei Corona-Soforthilf­en

Prozess startet in München – Angeklagte­r soll 91 Anträge gestellt haben

- Von Christof Rührmair

MÜNCHEN (dpa) - Nach einer Stunde endet die Geduld des Vorsitzend­en Richters – und er unterbrich­t den Vortrag von Tayfun Y. Der 31-jährige gebürtige Gelsenkirc­hener ist des millionens­chweren Subvention­sbetrugs mit Corona-Soforthilf­en in sechs Bundesländ­ern angeklagt. Am Montag steht er deswegen vor dem Landgerich­t München I, wo Y. mit immer wieder stockender Stimme seine ausführlic­he, komplizier­t formuliert­e Stellungna­hme voller Vorwürfe an die Justiz vorträgt.

„Ich kann sie jetzt einfach reden lassen und dann fragen, was das mit der Sache zu tun hat“, erklärt der Vorsitzend­e dem Angeklagte­n, warum er ihn unterbrich­t. Y. hat sich bis dahin vor allem an der Zuständigk­eit des Gerichts, den Umständen seiner Festnahme und seiner Überstellu­ng nach Bayern abgearbeit­et. Der Richter aber will wissen, ob Y. die ihm vorgeworfe­nen Taten einräumt oder nicht.

In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hessen, Baden-Württember­g und dem Saarland soll Y. im März und April 2020 unter Verwendung von

Scheiniden­titäten unberechti­gt 91 Anträge gestellt haben. Insgesamt geht es um mehr als 2,5 Millionen Euro. Knapp 68 000 Euro davon sollen ausbezahlt worden sein, der Rest wurde gestoppt.

Dazu sagt Y. am Montag wenig Konkretes. Er stellt lediglich in den Raum, dass es ja möglich wäre, dass er nur Unternehme­rn mit Migrations­hintergrun­d gegen Gebühr bei der Beantragun­g der Hilfen haben helfen wollen. Ob er die Anträge gestellt habe, will er aber nicht sagen. Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass Y. die Anträge gestellt hat und das Geld von seinem privaten Konto aus über eine Kryptowähr­ungsbörse ins Ausland bringen wollte. Mit gut 36 000 Euro soll dies auch geschehen sein. Schwerpunk­t der Y. vorgeworfe­nen Anträge war Bayern mit 23 Fällen und einer Summe von gut 1,1 Millionen Euro.

Bundesweit dürften noch zahlreiche ähnliche Prozesse die Gerichte beschäftig­en. „Kriminelle nutzten die aktuelle Notlage aus, um sich finanziell zu bereichern“, heißt es beim Bundeskrim­inalamt. Der Deutsche Richterbun­d (DRB) spricht von deutlich mehr als 20 000 Fällen mit

Pandemie-Bezug. „Es dürfte bis weit in das laufende Jahr hinein dauern, ehe die Justiz alle Corona-Strafverfa­hren abgearbeit­et hat“, sagt DRBBundesg­eschäftsfü­hrer Sven Rebehn.

Ein Sprecher des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums betont allerdings, dass Betrug mit Corona-Hilfen inzwischen deutlich schwierige­r sei als zu Beginn der Pandemie. Die Überbrücku­ngshilfe, die sich an die Soforthilf­e aus dem Frühjahr anschloss, habe schon ein „prüfender Dritter“wie etwa ein Rechtsanwa­lt, Steuerbera­ter oder Wirtschaft­sprüfer beantragen müssen. Dies vermeide Missbrauch.

Alleine in Bayern haben die Staatsanwa­ltschaften laut Justizmini­sterium mindestens 844 Ermittlung­sund Vorermittl­ungsverfah­ren im Zusammenha­ng mit Anträgen auf Corona-Soforthilf­en von Bund und Freistaat eingeleite­t. Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich (CSU) sieht die bayerische Justiz dabei „sehr wachsam und gut aufgestell­t“.

Für Y. enden die Vorwürfe allerdings nicht mit dem mutmaßlich­en Subvention­sbetrug. Noch aus der Untersuchu­ngshaft soll er im Sommer versucht haben, Mahnbesche­ide gegen seinen damaligen Pflichtver­teidiger, den damals zuständige­n Staatsanwa­lt und mehrere andere Personen zu erwirken. Dabei ging es um Summen zwischen 250 000 Euro und 1,7 Millionen Euro. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm daher auch noch versuchten Computerbe­trug vor. Das Stellen der Anträge räumte Y. am Montag ein.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany