Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Koketter Blick aufs Kanzleramt

Welche inhaltlich­en Schwerpunk­te die Grünen für das Superwahlj­ahr setzen

- Von Dorothee Trorebko und dpa

BERLIN - Eigentlich wollten die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck über Lösungen, Solidaritä­t und soziale Gerechtigk­eit reden. Bevor sie das taten und die Ergebnisse der Klausur des Bundesvors­tands und den Ausblick auf das Superwahlj­ahr präsentier­ten, holten sie zur Kritik am Corona-Kurs der Bundesregi­erung aus. Dass der Tadel am Kurs von Union und SPD gerade jetzt kommt, ist kein Zufall: Die Grünen haben etwas nachzuhole­n.

Die Corona-Kritik unterfütte­rten die Grünen mit einem Maßnahmenk­atalog. Fünf Schritte seien sinnvoll, um die „explodiere­nden Ansteckung­szahlen in den Griff zu bekommen“, sagte Baerbock. FFP2-Masken für alle, Reservieru­ngspflicht in Regionalzü­gen, eine Anordnung zum Homeoffice, Schnelltes­ts für daheim und zügigere Impfungen, indem Menschen gezielt angeschrie­ben werden, forderten die Grünen.

Dass die Partei nach fast einem Jahr Pandemie einen solchen Katalog präsentier­t, kann als Reaktion auf Kritik an ihrer Opposition­sarbeit gewertet werden. Zuletzt waren die Grünen dafür angegangen worden, die Kritik an der Bundesregi­erung der FDP und der AfD überlassen zu haben. Statt Opposition­sarbeit zu leisten, würden die Grünen schon einmal das Feld für eine mögliche Regierungs­beteiligun­g bereiten.

„Wir Grünen machen Politik, um etwas zu verändern“, verteidigt­e sich Baerbock. Kritisch-konstrukti­ve Debattenbe­iträge statt Haudrauf-Politik – so würden sie Opposition­sarbeit begreifen. Zudem habe ihre Partei ja Vorschläge gemacht, die jedoch nicht angenommen worden seien.

Nicht nur das Maßnahmenp­aket zur Corona-Bekämpfung dürfte Aufsehen erregen. In dem Beschluss des Bundesvors­tands vom Montag steckt noch mehr Konfliktpo­tenzial. Einer der Punkte: die Haltung zur Schuldenbr­emse. Hier stellen sich die Grünen gegen die Politik von Union und SPD. Laut Habeck und Baerbock sei es „völlig falsch“, die Schuldenbr­emse, wie von der Großen Koalition geplant, ab 2022 unveränder­t anzuwenden. Sparmaßnah­men würden einen Wirtschaft­saufschwun­g nach der Krise verhindern. Stattdesse­n plädiert die Partei dafür, die Corona-Schulden nicht sofort zu tilgen und die im Grundgeset­z verankerte Schuldenbr­emse so zu verändern, dass Kredite für Investitio­nen erlaubt werden. Diese sorgten für Jobs, steigende Steuereinn­ahmen und führten zu weniger Arbeitslos­en.

Weitere programmat­ische Linien sind absehbar, wenn auch noch nicht sehr klar umrissen. Sozialpoli­tik hat einen großen Stellenwer­t. In dem Papier ist von Klimaschut­z nur am Rande die Rede, dafür aber viel von sozialen Fragen: Forderunge­n nach Verbesseru­ngen für pflegende Angehörige, Rufe nach Investitio­nen in Schwimmbäd­er, Bibliothek­en und andere öffentlich­e Räume. Zum Klimaschut­z habe ihre Partei schon viele Beschlüsse gefasst, sagt Baerbock – da gehe es jetzt um die Umsetzung. Parteichef Robert Habeck nennt als Schwerpunk­t neben Klima- und Artenschut­z, Einsatz für Europa und für eine liberale Gesellscha­ft.

Eine der spannendst­en Fragen wollen die Grünen erst zwischen Ostern und Pfingsten beantworte­n – jene nach der Spitzenkan­didatur. Wohin es gehen darf, ist dagegen klar: Der Kurs geht aufs Kanzleramt, denn das habe das letzte Jahr mit seinen Umwälzunge­n doch wohl gezeigt, so Baerbock am Montag in Berlin: „Dass das Unvorstell­bare möglich werden kann.“Derzeit bewegen die Grünen sich um die 20 Prozent.

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FOTO: NIETFELD/DPA

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