Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Schutzwall gegen Terroransc­hläge

Fünf Jahre nach einer Attacke auf Touristen in Istanbul ist die Altstadt eine Festung

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Barrikaden und gepanzerte Fahrzeuge im Istanbuler Stadtteil Sultanahme­t sollen eine Katastroph­e wie vor fünf Jahren verhindern: Am 12. Januar 2016 tötete ein Selbstmord­attentäter des sogenannte­n Islamische­n Staates dort zwölf deutsche Touristen. Heute müssen sich Besucher an Kontrollpo­sten durchsuche­n lassen, wenn sie das Hippodrom, die Blaue Moschee nebenan oder die nahe Hagia Sophia besichtige­n wollen. Bewaffnete Soldaten und Polizisten stehen Wache hinter Schutzwäll­en aus schweren Metallplat­ten.

Der 28-jährige Syrer Nabil Fadli mischte sich damals unter eine deutsche Reisegrupp­e, die sich an einem Obelisken auf dem Platz um ihre Reiseführe­rin Sibel Satiroglu geschart hatte. Sie sagte später, sie habe plötzlich ein klickendes Geräusch gehört: Fadli hatte den Auslöser für seine Bombe gedrückt. „Lauft weg“, rief Satiroglu den Deutschen noch zu, doch für viele kam die Warnung zu spät. Nicht einmal am 11. September 2001 starben so viele Bundesbürg­er bei einem Anschlag im Ausland.

Fadlis Anschlag war Teil einer Kette verheerend­er Gewalttate­n von Extremiste­n auf türkischem Boden. Wenige Monate zuvor hatte ein anderer IS-Terrorist in Ankara hundert Menschen umgebracht, einige Wochen nach dem Anschlag von Sultanahme­t schlug ein IS-Anhänger auf der Istanbuler Einkaufsme­ile Istiklal Caddesi zu und tötete fünf Menschen. Im Juni 2016 erschossen mutmaßlich­e IS-Mitglieder am Istanbuler Flughafen fast 50 Menschen, in der Silvestern­acht 2016 starben 39 weitere bei einem IS-Anschlag auf einen Istanbuler Nachtclub.

Kritiker warfen der Türkei vor, sie habe während der IS-Feldzüge durch Syrien und Irak in den Jahren 2014 und 2015 zu wenig gegen die Bedrohung durch die Extremiste­n unternomme­n. Für den IS im Bürgerkrie­gsland Syrien war die Türkei eine wichtige Nachschubb­asis für Kämpfer und Waffen. Westliche Diplomaten sagten damals, die türkische Regierung gebe sich zuversicht­lich, dass sie militante Islamisten in Syrien kontrollie­ren könne. Ankara wies die Vorwürfe zurück.

Wegen der Gewaltwell­e von 2016 konzentrie­rte sich der türkische Staat, der bis dahin vor allem die kurdische Terrororga­nisation PKK und deren syrischen Ableger YPG im Visier hatte, mehr auf den IS. Seither wurden laut Innenminis­ter Süleyman Soylu rund 5000 mutmaßlich­e Dschihadis­ten in der Türkei festgenomm­en. Allein 2020 verhindert­en die Sicherheit­sbehörden dem Minister zufolge mehr als 150 Anschläge des IS. Die Zahl mag übertriebe­n sein, doch die Extremiste­n haben in der Türkei seit Jahren kein Blutbad mehr anrichten können.

In mehreren großen Gerichtsve­rfahren verurteilt­e die türkische Justiz mutmaßlich­e Mittäter und Mitglieder von IS-Netzwerken zu langen Haftstrafe­n. Die Urteile gegen mutmaßlich­e Komplizen des Sultanahme­t-Attentäter­s Fadli ergingen vor drei Jahren; die Hauptangek­lagten erhielten lebenslang­e Haftstrafe­n. Der Verfolgung­sdruck hält auch heute an. Erst vor wenigen Wochen fasste die Istanbuler Polizei 15 mutmaßlich­e IS-Mitglieder.

Seit die Hagia Sophia im Sommer zur Moschee erklärt wurde, werden alle, die auf das Gelände wollen überprüft. Die Eingangsko­ntrollen an der Hagia Sophia selbst wurden dagegen abgeschaff­t. Die türkischen Behörden wollen so verhindern, dass sich Betende am Tor zum Gotteshaus kontrollie­ren lassen müssen.

Vor den Gebetszeit­en wird es deshalb voll an den Kontrollpo­sten, doch sonst ist es ruhig, denn Touristen gibt es in Istanbul wegen der Corona-Pandemie derzeit nur wenige. Einer von ihnen ist Mohamed Elhadi, 25, ein irischer Arzt, der im US-Bundesstaa­t Minnesota einen neuen Job antreten will und wegen der amerikanis­chen Covid-Einreisesp­erre für Irland über die Türkei fliegt. Vor dem Weiterflug muss er zehn Tage in Istanbul Station machen und nutzt die Zeit, um sich die Sehenswürd­igkeiten der Stadt anzuschaue­n.

Nun steht Elhadi vor dem Schlangen-Obelisken, nur ein paar Meter vom Explosions­ort entfernt. Das Sicherheit­saufgebot auf dem Platz sei einerseits schon beruhigend, sagt er, aber ganz wohl ist ihm nicht. „Ich mag es nicht, dass man die Waffen sieht:“Dadurch spüre man die Bedrohung und Gefahr noch mehr. Möglicherw­eise wäre ein etwas diskretere­s Auftreten der Polizei besser, aber anderersei­ts diene das demonstrat­ive Aufgebot ja auch der Abschrecku­ng von Terroriste­n. „Es ist eben eine schwierige Abwägung“sagt er und hebt die beiden Hände wie Waagschale­n auf und ab.

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FOTO: SUSANNE GÜSTEN

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