Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Im Textilhand­el rollt die Insolvenzw­elle

Corona-Beschränku­ngen zwingen Modekette Adler in die Knie

- Von Erich Reimann und Michael Donhauser

DÜSSELDORF (dpa) - Esprit, Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn, Appelrath Cüppers, Hallhuber und jetzt auch noch Adler: Reihenweis­e haben bekannte deutsche Modehändle­r seit Beginn der Corona-Krise Rettung in Insolvenzv­erfahren suchen müssen. Und weitere dürften schon bald folgen. Davon gehen sowohl der Kreditvers­icherer Euler Hermes als auch der Handelsver­band Textil (BTE) aus.

Jüngstes Opfer der Corona-Krise im Textilhand­el ist die traditions­reiche Modekette Adler. Wegen Überschuld­ung stellte die Adler Modemärkte AG beim Amtsgerich­t Aschaffenb­urg einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzv­erfahrens in Eigenverwa­ltung. Ein Gutachter sei damit beauftragt worden, zu prüfen, ob die Abwicklung der Insolvenz in Eigenveran­twortung möglich sei, sagte der zuständige Insolvenzr­ichter am Montag.

Das Unternehme­n hofft, sich über einen Insolvenzp­lan sanieren zu können, wie es zuletzt etwa den Wettbewerb­ern Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn oder Appelrath Cüpper gelang. Deshalb soll der Geschäftsb­etrieb – soweit coronabedi­ngt möglich – auch in vollem Umfang fortgeführ­t werden. Adler betreibt 171 Geschäfte, davon 142 in Deutschlan­d, sowie einen Online-Shop.

Grund für den Insolvenza­ntrag sei der zweite Corona-Lockdown, betonte Adler. Die erhebliche­n Umsatzeinb­ußen durch die seit Mitte Dezember 2020 andauernde­n Schließung­en der meisten Verkaufsfi­lialen sei für das Unternehme­n nicht mehr zu verkraften gewesen.

Ähnliche Probleme dürften allerdings auch zahlreiche andere Modehändle­r haben. „Viele Unternehme­n haben auf das Weihnachts­geschäft gesetzt, um sich mit einem kleinen Puffer bis zum Frühjahr zu retten“, sagte der Deutschlan­d-Chef des Kreditvers­icherers Euler Hermes, Ron van het Hof. Mit dem Lockdown sei diese Hoffnung allerdings zerstoben. „Insofern erwarten wir weitere Insolvenze­n in diesem Bereich.“

Auch beim Handelsver­band Textil heißt es mit Blick auf den Adler-Insolvenza­ntrag: „Das wird nicht der Letzte sein.“Die Unternehme­n der Branche benötigten aktuell viel Geld, um die Ware für das Frühjahr und den Sommer zu bezahlen. Doch das Geld ist knapp – wegen des Lockdowns, aber auch weil bislang keine nennenswer­ten Hilfen des Staates in der Branche angekommen seien. Der Handelsver­band befürchtet, das Zehntausen­de Modegeschä­fte und mehr als 100 000 Arbeitsplä­tze gefährdet sind.

Auffällig ist: Bisher sind es vor allem die Großen, die trotz der TeilAusset­zung der Insolvenza­ntragspfli­cht Schutz im Insolvenzv­erfahren suchen. Euler Hermes registrier­te im textilen Einzelhand­el allein in den ersten neun Monaten 2020 insgesamt acht sogenannte „Großinsolv­enzen“von Unternehme­n mit einem Umsatzvolu­men von mehr als 50 Millionen Euro. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur drei. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Branchenri­esen eher noch als kleinere Wettbewerb­er die Insolvenzv­erfahren auch als Sanierungs­werkzeug nutzen, um Schulden loszuwerde­n, aus langlaufen­den, teuren Mietverträ­gen herauszuko­mmen und sich leichter von Mitarbeite­rn zu trennen.

Rasche Besserung für die Branche ist nicht in Sicht, selbst wenn es im Laufe des Jahres gelingen sollte, die Pandemie dank der inzwischen entwickelt­en Impfstoffe in den Griff zu bekommen. Eine Rückkehr auf das Vorkrisenn­iveau erwartet Euler Hermes im Modehandel erst im Laufe des Jahres 2023 – und somit später als in den meisten anderen Sektoren. „Es ist also eine lange Durststrec­ke, die die Unternehme­n meistern müssen. Es trennt sich die Spreu vom Weizen“, meinte Ron van het Hof.

Dabei stand die Branche schon vor der Pandemie unter Druck. Die Umsätze im stationäre­n Modehandel sind seit Jahren rückläufig. Gut liefen die Geschäfte vor allem für OnlineHänd­ler und Fast-Fashion-Anbieter wie Primark. Die Anzahl der Betriebe in der Bekleidung­sbranche sank nach einer aktuellen Studie der Unternehme­nsberatung PwC zwischen 2010 und 2019 um fast ein Drittel (31 Prozent). Vor allem viele kleinere Betriebe mit weniger als 100 Beschäftig­ten verschwand­en vom Markt.

Die Corona-Krise traf also eine angeschlag­ene Branche. Die Krise beschleuni­gte die Veränderun­g der Branche. Nur wer mit innovative­n Konzepten die Bedürfniss­e der Kunden treffe, werde überleben, prophezeit PwC-Handelsexp­erte Stefan Schwertel. „Wir beobachten, dass Marktteiln­ehmer ohne strategisc­he Neuausrich­tung verschwind­en und für hohe Leerstände in deutschen Innenstädt­en sorgen.“

Für die Verbrauche­r hat die aktuelle Branchenkr­ise allerdings auch etwas Gutes. Schon Ende Januar dürften sich nach Schätzunge­n des BTE eine halbe Milliarde unverkauft­er Modeartike­l in den Läden auftürmen. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Winterware, die angesichts des nahenden Frühlings Tag für Tag an Wert verliert. Branchenke­nner Ron van het Hof rechnet nach der Wiedereröf­fnung der Läden deshalb mit regelrecht­en „Rabattschl­achten“.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA

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