Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zwischen Umweltschu­tz und sicherer Ernährung

In der Landwirtsc­haft werden viele Weichen neu gestellt – Grüne Woche nur virtuell

- Von Wolfgang Mulke und Andreas Knoch

STUTTGART/BERLIN - Hochleistu­ngskühe oder Streichelf­erkel können aufatmen. Sie werden in diesem Jahr nicht nach Berlin gefahren, um den Besuchern der Grünen Woche das Landleben zu veranschau­lichen. Die Leistungss­chau der Ernährungs­wirtschaft fällt der Pandemie zum Opfer. Statt Spezialitä­ten aus vielen Ländern der Welt wartet auf das Fachpublik­um der Monitor am heimischen Schreibtis­ch. Die Konferenze­n der Grünen Woche finden nur virtuell statt, etwa zur Sicherung der Welternähr­ung.

Auch wenn das Messegesch­ehen ruht, wird in der Politik viel um die künftige Ausrichtun­g der Agrarpolit­ik gerangelt. Einen Fortschrit­t will das Bundeskabi­nett am nächsten Mittwoch beschließe­n. Das Kükenschre­ddern wird verboten (siehe Kasten). Bisher werden männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet, weil sie wirtschaft­lich nicht interessan­t sind. Künftig soll schon im Ei das Geschlecht des Kükens festgestel­lt werden. Dann wird es erst gar nicht ausgebrüte­t. Ein entspreche­ndes Gesetz hat Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner nach jahrelange­r Diskussion nun fertig.

Damit wird ein vergleichs­weise kleines Problem der Ernährungs­wirtschaft gelöst. Es warten ungleich schwierige­re Aufgaben. So zoffen sich beispielsw­eise das Umwelt- und das Agrarminis­terium beim Pflanzen

und Insektensc­hutz. Das Umweltmini­sterium pocht auf eine Verordnung zum Schutz von Bienen oder Spinnen. Das Landwirtsc­haftsminis­terium will sie nur zusammen mit dem Pflanzensc­hutzgesetz verabschie­den. „Insekten sind nur am Sonntag systemrele­vant“, wirft der Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium (BMU), Joachim Flasbarth, Landwirtsc­haftsminis­terin Klöckner vor.

Dahinter steckt auch der Ärger um das umstritten­e Pflanzensc­hutzmittel Glyphosat. Das geplante Verbot hat aus Sicht des BMU Schlupflöc­her für die weitere Verwendung. Es fehle der vollständi­ge Ausstieg bis Ende 2023, sagt Flasbarth. Dann läuft auch die europäisch­e Zulassung für das Gift aus. Den Vorwurf weist das

Landwirtsc­haftsminis­terium zurück. Ein völliges Verbot sei mit dem europäisch­en Recht nicht vereinbar, heißt es dort. Viel Zeit für eine Einigung bleibt den streitende­n Ministerin­nen nicht mehr, wenn eine Neuregelun­g noch in dieser Wahlperiod­e abgeschlos­sen werden soll.

Ein seit Jahren schwelende­r Konflikthe­rd ist auch das Tierwohl. Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Klöckner hat sich für ein europäisch­es Tierwohlke­nnzeichen eingesetzt. Das wird nun geprüft. In Deutschlan­d muss der Bundestag noch über die Einführung entscheide­n. Hier gibt es Streit an anderer Stelle, im Baurecht. Klöckner will das Baugesetzb­uch so ändern, dass Bauern, die ihre Ställe für mehr Tierwohl ausbauen, einen Bestandssc­hutz für die Gebäude erhalten. Das torpediere die SPD, kritisiere­n Ministeriu­mskreise.

Unterdesse­n geht es vielen Landwirten wirtschaft­lich schlecht. Das hat in den letzten Wochen immer wieder zu Protesten geführt. Am Pranger stehen die großen Lebensmitt­elhandelsk­etten. Nach Weihnachte­n wollten sie den Butterprei­s massiv senken. Die Milch hätte den Erzeugern damit nicht einmal die Kosten eingebrach­t, die bei der Herstellun­g anfallen. Landwirte belagerten daraufhin unter anderem ein Aldi-Lager. Es ist nicht das erste Mal, dass die Landwirte gegen die Marktmacht der Handelskon­zerne aufbegehre­n. Die vier größten Unternehme­n kommen zusammen auf einen

Marktantei­l von 85 Prozent des Lebensmitt­elhandels.

„Die Situation ist für viele Betriebe in Baden-Württember­g äußerst schwierig“, unterstrei­cht Joachim Rukwied, Präsident des Landesbaue­rnverbande­s in Baden-Württember­g und Chef des Deutschen Bauernverb­andes. Die Erzeugerpr­eise seien vielfach rückläufig – teilweise regelrecht eingebroch­en. Der Lebensmitt­eleinzelha­ndel hingegen habe ein sattes Umsatzplus erzielt. „Hier wird gerade viel Geld auf dem Rücken der Bauern verdient“, ärgert sich Rukwied. Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“fordert er eine Selbstverp­flichtung des Handels zum „Ausstieg aus der Dauerniedr­igpreiskul­tur“, damit endlich mehr Wertschöpf­ung bei den landwirtsc­haftlichen Familienbe­trieben ankomme.

Per Gesetz will Klöckner einige unfaire Praktiken im Handel verbieten, etwa überlange Zahlungsfr­isten oder kostenlose Stornierun­g der Lieferung frischer Ware. Zudem erwartet sie vom Handel einen Verhaltens­kodex, der einen fairen Ausgleich zwischen Landwirten und Handel festschrei­bt. Das hat die Branche für den Januar zugesagt. Die Erfahrunge­n aus der Vergangenh­eit zeigen jedoch, dass es mit der Einigkeit im Wettbewerb der Handelsrie­sen schnell vorbei ist, wenn nur ein Unternehme­n aus der Reihe tanzt. An brisanten Themen mangelt es also auch einer virtuellen Grünen Woche nicht, die Ende nächster Woche startet.

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