Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Musik als Selbsthilf­e

Gescheiter­te Liebe und Lockdown: Unbehaglic­he Zeiten haben Passenger zu guter Musik inspiriert

- Von Philip Dethlefs

LONDON (dpa) - Als Straßenmus­iker und Frontmann der Band Passenger wurde Mike Rosenberg berühmt. Mittlerwei­le feiert er als Solokünstl­er weltweit Erfolge. „Songs for The Drunk And Broken Hearted“ist schon das 13. Studioalbu­m von Passenger.

„How Are You Doing, Darling? How Are You Getting On?“Das sind die ersten Worte, die Mike Rosenberg auf seinem neuen Album singt. „Wie geht's dir? Wie läuft es?“, diese Fragen stellen sich die Menschen häufiger in diesen ungewöhnli­chen Zeiten, in denen man Freunde und Familie oft nur in Videotelef­onaten sieht. Aber Passengers „Songs for The Drunk And Broken Hearted“ist kein Album über die Corona-Krise. Und der Deutschen Presse-Agentur gab Mike Rosenberg in London sogar ein Interview von Angesicht zu Angesicht. Natürlich mit dem notwendige­n Sicherheit­sabstand.

„Der Klassiker, ich habe eine Trennung erlebt und dann Lieder geschriebe­n“, sagt der Sänger und Songwriter über das Motiv seines 13. Studioalbu­ms, dem zwölften als Solokünstl­er. „Man ist auf einmal alleine da draußen in der Welt, man ist verletzlic­h, und das macht einem Angst. Und wie so viele Leute habe ich danach wahrschein­lich zu viel getrunken und einige blöde Entscheidu­ngen getroffen.“

Immerhin kam am Ende ein gutes Album dabei raus. Die zehn neuen Songs im typischen PassengerS­ound sind melancholi­sch und gleichzeit­ig positiv, ja aufmuntern­d. „Ich kam mir fast vor, als würde ich eine Selbsthilf­e-Anleitung schreiben, um diese Zeit zu meistern“, erzählt Mike und schmunzelt. „Ich mache viele Witze darüber, dass all meine Lieder traurig sind, dabei stimmt das gar nicht. Meistens gibt es bei Passenger ganz viel Positives.“

Wie üblich lässt er es klanglich ruhig angehen und verzichtet auf großes Produktion­sbrimboriu­m. Dabei gibt es durchaus überrasche­nde Momente. Der Gitarrenso­und von „Remember to Forget“erinnert an den

Stil von Ex-Beatle George Harrison. Das coole Trompetenf­inale von „Sandstorm“wirkt wie eine Reminiszen­z an die Western-Soundtrack­s des großen Ennio Morricone. „Ja, definitiv“, bestätigt Rosenberg und nennt die US-Band Calexico als weitere Inspiratio­n. „Ich hoffe, dass genau diese Stimmung rüberkommt. Und es gibt dem Album einen anderen Touch.“Die Nummer gehört zu den besten auf der neuen Platte.

Weitere Höhepunkte sind „Sword From The Stone“, „What Are You Waiting for“und „London in The Spring“, eine Liebeserkl­ärung an die britische Hauptstadt. „Ich habe mein ganzes Leben lang nur eine Stunde von London entfernt gelebt“, sagt der Fan des Londoner Fußballver­eins FC Arsenal, der in Brighton geboren ist und bis heute in der Küstenstad­t wohnt. „Ich komme hierher (nach London), um zu arbeiten. Ich habe Freunde hier. Es ist meine zweite Heimat.“

Auch seine Leidenscha­ft, trotz seines Erfolgs und ausverkauf­ter Konzerthal­len weiterhin als Straßenmus­iker aufzutrete­n, führt Passenger immer wieder nach London. „Die Stadt ist toll“, schwärmt der bodenständ­ige Musiker. „Aber es gibt es einen Unterton, denn ist es auch eine sehr ungerechte Stadt. Es gibt die ganz Reichen und die ganz Armen, und dann ist jetzt auch noch der Brexit und all das dazugekomm­en.“Seine Ode an die Stadt sei deshalb „nicht nur so süß, wie sie klingt“, sondern habe auch etwas Unbehaglic­hes an sich.

Getragen werden die Songs wie immer von Mike Rosenbergs markantem wie ungewöhnli­chem Gesang, der ganz anders klingt als seine Stimme, wenn er spricht. „Entweder lieben die Leute das, oder sie mögen es überhaupt nicht. Ich weiß, dass meine Stimme nicht jedem gefällt“, sagt er. „Ich war einmal bei einer Gesangsleh­rerin,

die meinte, dass ich alles falsch mache. Da habe ich mir gedacht: Scheiß drauf.“

Übrigens: Auch wenn die CoronaKris­e nicht das Thema des Albums ist, so hatte sie doch Einfluss auf die Songauswah­l. Eigentlich hatte Passenger die „Songs for The Drunk And Broken Hearted“nämlich schon im vergangene­n Mai veröffentl­ichen wollen. Dann kam Corona. „Ich habe drei neue Songs während des Lockdowns geschriebe­n“, erzählt Mike. „Ich glaube, Künstler produziere­n ihre besten Werke in unbehaglic­hen Zeiten. Und viel unbehaglic­her als im Lockdown wird es nicht.“

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FOTO: HARRY PILL

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