Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Die Mauer vor der Kliniktür
Die dritte Staffel der „Charité“: DDR-Nostalgie und interessante Biografien
Die Geschichte um Deutschlands berühmtestes Krankenhaus geht in die dritte Runde. Schon die ersten beiden Staffeln der TV-Reihe „Charité“waren ein großer Erfolg, eine Emmy-Nominierung bestätigte diesen auf internationaler Ebene. Die dritte Staffel unter der Regie von Christine Hartmann spielt nun in der Zeit des Mauerbaus. Die Charité war unmittelbar davon betroffen. Sie liegt direkt an der Zonengrenze im Herzen Berlins. Am 13. August 1961 wurde die Klinik über Nacht zum Schauplatz der historischen Grenzschließung. Diese aufregende Zeit genau 60 Jahre später noch einmal lebendig werden zu lassen und sie zu verknüpfen mit den Biografien berühmter Ärzte der Charité, das ist der dritten Staffel gelungen. Doch manchmal legt sich der Sepia-Schleier allzu gnädig über die hässlichen Seiten des Einparteienstaats. DDR-Nostalgie lässt grüßen.
Die Zusammensetzung des Filmpersonals hat sich in allen drei Staffeln bewährt: Eine junge Frau, selbstbewusst und fachlich kompetent, kämpft um die Anerkennung durch honorige Männer in weißen Kitteln, die an der Charité forschen und heilen. Die Leipzigerin Nina Gummich ist die Idealbesetzung für die Rolle der fiktiven Ella Wendt. Unerschrocken bis respektlos fordert die junge Frau aus der Provinz, dass die Charité sie nicht nur als Ärztin auf Station Lücken füllen lässt. Viele Fachkräfte setzen sich gen Westen ab, die Schichten auf den Stationen der Charité können kaum mehr besetzt werden. Doch Ella will auch forschen, und zwar beim berühmtesten Serologen und Gerichtsmediziner seiner Zeit, Professor Otto Prokop (Philipp Hochmair). Sie überzeugt ihn, er fördert sie und lässt sie gar an seiner Stelle an einem Kongress in Westberlin teilnehmen. So steht am Ende der letzten der sechs Folgen die große Frage im Raum, ob Ella vielleicht doch den wissenschaftlichen und privaten Verlockungen des Westens erliegt.
Während diese fiktiven Sequenzen eher an gut gespielte Seifenoper erinnern, ist der Film da stark, wo historische Fakten die Dramatik vorgeben. Die dritte Folge, in der in der Nacht zum 13. August 1961 vor den Toren der Charité die Stachelzäune ausgerollt werden, ist absolut sehenswert. Die Ungläubigkeit der Menschen – „das funktioniert nicht, der Zaun ist in zwei Wochen wieder weg“– mutet mit unserem heutigen Wissen erschütternd an. Denn die Schließung der Sektorengrenze hat fatale Folgen für die Charité: Schwestern und Ärzte, darunter viele OstWest-Pendler, erscheinen nicht mehr zum Dienst, das Material wird knapp, von der Mullbinde bis zum Penicillin. Der Idealismus einiger Ärzte mag etwas pathetisch daherkommen. Doch wenn ein ausgewiesener Dandy wie der gebürtige Österreicher Prokop sagt: „Die Charité ist das erste Krankenhaus des Landes. Wenn wir aufgeben, geht hier das Licht aus – und das nicht nur wegen eines Stromausfalls“, dann spiegelt das doch die Überzeugung einer Ärzteschaft, die ihr Berufsethos ernst nimmt.
Überhaupt sind die Geschichten der realen Figuren auch in dieser Staffel die interessanteren. In der ersten Staffel 2017 wurden Mediziner wie Robert Koch, Emil Behring, Paul Ehrlich und Rudolf Virchow, die Ende des 19. Jahrhunderts an der Charité arbeiteten, vorgestellt. Die zweite Staffel handelte vom berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch zur Zeit des Nationalsozialismus.
Dagegen dürften die Namen der Mediziner, die in den 50er- und 60erJahren in der Charité wirkten, zumindest im Westen Deutschlands weniger bekannt sein. Weniger interessant sind ihre Biografien deshalb nicht. Wie die von Ingeborg Rapoport (1912-2017). Problemlos hätte die Lebensgeschichte dieser in Hamburg geborenen Tochter einer jüdischen Konzertpianistin Stoff für eine eigene Serie geliefert. 1938 in die
USA geflüchtet, wurde sie dort als bekennende Kommunistin in der McCarthy-Ära verfolgt. Ihre dritte Heimat, wie sie selbst es nannte, fanden sie und ihr Mann, der berühmte Biochemiker Samuel Mitja Rapoport, 1952 in der DDR – an der Charité.
Nina Kunzendorf spielt diese intelligente, liebevolle Kinderärztin, die später, gegen alle Widerstände, an der Charité den ersten Lehrstuhl für Neonatologie (Neugeborenenmedizin) in Europa innehat. Für mediales Aufsehen sorgte die Verteidigung ihrer Doktorarbeit im Jahr 2015. 77 Jahre, nachdem die Nazis ihr als Halbjüdin den Doktortitel verweigerten, holte Ingeborg Rapoport dies im Alter von 102 Jahren nach. Damit ist sie der älteste Mensch, der jemals ein Promotionsverfahren abgeschlossen hat. Wer mehr über das außergewöhnliche Leben des Ehepaars Rapoport – überzeugte Parteigänger der SED bis zum Schluss – erfahren möchte, dem sei die Dokumentation „Die Rapoports – Unsere drei Leben“ans Herz gelegt (ARD Mediathek).
In einer ungewohnten Rolle ist Uwe Ochsenknecht zu sehen. Er spielt den berühmtesten Gynäkologen der DDR, Helmut Kraatz – und Ochsenknecht macht sich gut als knorriger Professor. Als einer der wenigen geht Kraatz offen mit seiner NSDAP-Vergangenheit um, möchte sich auf keinen Fall noch einmal von der Politik vereinnahmen lassen, was natürlich nur teilweise gelingt.
Viele typische Ost-West-Themen sind in die tägliche Klinikarbeit eingeflochten: ein Ausbruch der Kinderlähmung im Westen Berlins, einer Krankheit, die der Osten mithilfe eines sowjetischen Impfstoffs (!) ausgerottet hat. Aber auf der anderen Seite auch das endlose Warten auf Medikamentenlieferungen aus den kommunistischen Bruderländern.
Das Drehbuch zur dritten Staffel der „Charité“wurde nicht mehr wie die vorigen von den Ravensburger Autorinnen Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann verfasst. Was schade ist, denn die jetzigen Autoren Stefan Dähnert, Regine Bielefeldt, John-Hendrik Karsten und Christine Hartmann verlieren sich manchmal in unnötigen Erzählsträngen wie dem um einen Serienmörder, dessen Opfer in der Pathologie bei Professor Prokop landen. Da waren die Folgen der vorigen Staffeln stringenter komponiert.
Dennoch: Als Einstieg zu „60 Jahre Mauerbau“eignet sich diese „Charité“-Staffel. Und sei es nur, um dem Westen klar zu machen, dass auch der Osten herausragende Wissenschaftler in seinen Reihen halten konnte. So führte die von Ingeborg Rapoport aufgebaute Neugeborenenmedizin im Osten zunächst zu einer niedrigeren Säuglingssterblichkeit als im Westen. Ein Fakt, der nicht unter DDR-Nostalgie läuft.
Die ARD
„Charité“in Doppelfolgen ab Dienstag, 12. Januar, 20.15 Uhr. Im Anschluss an die ersten beiden Folgen läuft die Dokumentation „Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“, 21.50 Uhr. Alle Folgen stehen auch in der ARD Mediathek zur Verfügung.
zeigt die neue Staffel