Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Im Winter radeln wie die Finnen
Eine sinnvolle Infrastruktur, gute Beleuchtung und wetterfeste Kleidung sind wichtig
DARMSTADT/BERLIN (epd) - Im Sommer Fahrrad fahren – das kann jeder. Jetzt ist es aber draußen kalt und nass. Experten meinen: Ohne bessere Infrastruktur wird sich das Winterradeln kaum durchsetzen.
Xavier Marc vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club ADFC Darmstadt fährt auch bei Schnee, Regen und Matsch mit dem Fahrrad zur Arbeit. „Die Bewegung setzt den Kreislauf in Gang und ist gut für die innere Stimmung“, sagt er. Auf der Arbeit sei er „von der ersten Sekunde an hellwach“. Da er mit dem Rad nicht im Stau steht, kann er die Zeit für die Strecke zuverlässig kalkulieren. Momentan ist er allerdings im Homeoffice: „Ich habe schnell gemerkt, dass mir die 150 Kilometer pro Woche fehlen.“
Im Corona-Jahr 2020 haben viele Deutsche das Fahrradfahren für sich entdeckt. Manch einer holte das verstaubte Bike aus dem Keller, Händler erlebten einen Ansturm. Doch nun ist der Winter da, es ist kalt, es ist nass, manchmal glitschig auf den Straßen, die Tage sind kurz. Ob die Leute weiterhin Rad fahren?
„Schwer zu sagen“, meint Ragnhild Sörensen vom Verein „Changing Cities“in Berlin, der sich für mehr Radverkehr starkmacht. „Manche werden es tun, weil es für sie zur Gewohnheit geworden ist, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.“Einige versuchten, die Saison auszudehnen. „Doch oft höre ich von den Leuten: Ich habe mir ein tolles Bike gekauft, aber jetzt ist es mir zu gefährlich zu fahren.“
Das bestätigt eine Online-Umfrage des Verkehrsclubs ADAC von Anfang 2020. Danach benutzen 61 Prozent der Bevölkerung im Winter überhaupt kein Fahrrad. Die Daten wurden allerdings vor der CoronaPandemie erhoben. Die größte Sorge der Winterradler war, auf glattem Untergrund womöglich mit dem Rad zu stürzen. Das Potenzial für Radfahren im Winter sei groß, erklärte der ADAC. Radwege müssten aber besser geräumt und gestreut werden.
Auf der Videoplattform Vimeo gibt es einen kurzen Film vom „Winter bike to work day“2020. Er wirbt jedes Jahr am zweiten Freitag im Februar dafür, auch im Winter mit dem Rad zu fahren: Kinder aus den finnischen Städten Oulu und Joensuu radeln über eine schneebedeckte Brücke. Dick eingepackt fahren sie auf einem winterlichen Platz herum, man sieht ein fröhliches Gewirr aus Kindern und bunten Rädern. Die Kinder könnten die Welt inspirieren, sich auf eine bessere Weise fortzubewegen, schreibt Autor Anders Swanson.
Die Stadt Oulu sei „ein echtes Unikum“, erklärt Verkehrsexpertin Stephanie Krone vom ADFC. „Trotz großer Kälte und über 160 Tagen geschlossener Schneedecke fahren dort pro Jahr auch im Winter mehr Menschen Rad als in vielen deutschen Städten.“Allerdings stimmt die Infrastruktur: Die 200 000-Einwohner-Stadt im Norden Finnlands wirbt mit 600 Kilometern Rad- und Gehwegen – Winterdienst inklusive. Oulu gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte weltweit.
In Deutschland funktioniere das Ganzjahresradfahren dort, wo es breite, gepflegte Wege gebe und „wo eine gewisse Selbstverständlichkeit der Fahrradnutzung herrscht“, sagt Krone. Deshalb radelten in Münster und Oldenburg mehr Leute auch bei ungemütlichem Wetter als in Stuttgart oder Würzburg, wo die Bedingungen „sehr schlecht“seien.
„Ohne sichere Infrastruktur auf den Straßen ist der derzeitige Boom nicht nachhaltig“, stellt Ragnhild Sörensen fest. In Berlin stünden dem Radverkehr drei Prozent der Straßenfläche zur Verfügung – „ein klitzekleiner Teil“. Sörensen argumentiert: „Wir haben es ja gemerkt: Je mehr Straßen gebaut wurden, umso mehr sind die Leute Auto gefahren.“Mehr Radwege – mehr Radfahrer, so lautet ihre Rechnung.
Vielfahrer Xavier Marc kennt jede Menge Tipps fürs Winterradeln. Besonders wichtig sei eine gute Beleuchtung. „Das ist eine Investition, die sich lohnt.“Ein Nabendynamo funktioniere bei jedem Wetter und produziere beständig Strom. Auch an wetterfester, sichtbarer Kleidung sollte man nicht sparen, rät er.
Es gelte, immer vorausschauend zu fahren und damit zu rechnen, nicht gesehen zu werden: „Oft fahren die Autofahrer auch mit eingeschränkter Sicht und haben frühmorgens die Windschutzscheibe nicht freigekratzt.“Räder mit Spikes für Schnee und Eis haben sich für Marc nicht bewährt. „Für die wenigen Tage im Jahr, an denen es glatt ist, findet man vielleicht eine andere Lösung.“