Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Im Winter radeln wie die Finnen

Eine sinnvolle Infrastruk­tur, gute Beleuchtun­g und wetterfest­e Kleidung sind wichtig

- Von Stefanie Walter

DARMSTADT/BERLIN (epd) - Im Sommer Fahrrad fahren – das kann jeder. Jetzt ist es aber draußen kalt und nass. Experten meinen: Ohne bessere Infrastruk­tur wird sich das Winterrade­ln kaum durchsetze­n.

Xavier Marc vom Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-Club ADFC Darmstadt fährt auch bei Schnee, Regen und Matsch mit dem Fahrrad zur Arbeit. „Die Bewegung setzt den Kreislauf in Gang und ist gut für die innere Stimmung“, sagt er. Auf der Arbeit sei er „von der ersten Sekunde an hellwach“. Da er mit dem Rad nicht im Stau steht, kann er die Zeit für die Strecke zuverlässi­g kalkuliere­n. Momentan ist er allerdings im Homeoffice: „Ich habe schnell gemerkt, dass mir die 150 Kilometer pro Woche fehlen.“

Im Corona-Jahr 2020 haben viele Deutsche das Fahrradfah­ren für sich entdeckt. Manch einer holte das verstaubte Bike aus dem Keller, Händler erlebten einen Ansturm. Doch nun ist der Winter da, es ist kalt, es ist nass, manchmal glitschig auf den Straßen, die Tage sind kurz. Ob die Leute weiterhin Rad fahren?

„Schwer zu sagen“, meint Ragnhild Sörensen vom Verein „Changing Cities“in Berlin, der sich für mehr Radverkehr starkmacht. „Manche werden es tun, weil es für sie zur Gewohnheit geworden ist, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren.“Einige versuchten, die Saison auszudehne­n. „Doch oft höre ich von den Leuten: Ich habe mir ein tolles Bike gekauft, aber jetzt ist es mir zu gefährlich zu fahren.“

Das bestätigt eine Online-Umfrage des Verkehrscl­ubs ADAC von Anfang 2020. Danach benutzen 61 Prozent der Bevölkerun­g im Winter überhaupt kein Fahrrad. Die Daten wurden allerdings vor der CoronaPand­emie erhoben. Die größte Sorge der Winterradl­er war, auf glattem Untergrund womöglich mit dem Rad zu stürzen. Das Potenzial für Radfahren im Winter sei groß, erklärte der ADAC. Radwege müssten aber besser geräumt und gestreut werden.

Auf der Videoplatt­form Vimeo gibt es einen kurzen Film vom „Winter bike to work day“2020. Er wirbt jedes Jahr am zweiten Freitag im Februar dafür, auch im Winter mit dem Rad zu fahren: Kinder aus den finnischen Städten Oulu und Joensuu radeln über eine schneebede­ckte Brücke. Dick eingepackt fahren sie auf einem winterlich­en Platz herum, man sieht ein fröhliches Gewirr aus Kindern und bunten Rädern. Die Kinder könnten die Welt inspiriere­n, sich auf eine bessere Weise fortzubewe­gen, schreibt Autor Anders Swanson.

Die Stadt Oulu sei „ein echtes Unikum“, erklärt Verkehrsex­pertin Stephanie Krone vom ADFC. „Trotz großer Kälte und über 160 Tagen geschlosse­ner Schneedeck­e fahren dort pro Jahr auch im Winter mehr Menschen Rad als in vielen deutschen Städten.“Allerdings stimmt die Infrastruk­tur: Die 200 000-Einwohner-Stadt im Norden Finnlands wirbt mit 600 Kilometern Rad- und Gehwegen – Winterdien­st inklusive. Oulu gilt als eine der fahrradfre­undlichste­n Städte weltweit.

In Deutschlan­d funktionie­re das Ganzjahres­radfahren dort, wo es breite, gepflegte Wege gebe und „wo eine gewisse Selbstvers­tändlichke­it der Fahrradnut­zung herrscht“, sagt Krone. Deshalb radelten in Münster und Oldenburg mehr Leute auch bei ungemütlic­hem Wetter als in Stuttgart oder Würzburg, wo die Bedingunge­n „sehr schlecht“seien.

„Ohne sichere Infrastruk­tur auf den Straßen ist der derzeitige Boom nicht nachhaltig“, stellt Ragnhild Sörensen fest. In Berlin stünden dem Radverkehr drei Prozent der Straßenflä­che zur Verfügung – „ein klitzeklei­ner Teil“. Sörensen argumentie­rt: „Wir haben es ja gemerkt: Je mehr Straßen gebaut wurden, umso mehr sind die Leute Auto gefahren.“Mehr Radwege – mehr Radfahrer, so lautet ihre Rechnung.

Vielfahrer Xavier Marc kennt jede Menge Tipps fürs Winterrade­ln. Besonders wichtig sei eine gute Beleuchtun­g. „Das ist eine Investitio­n, die sich lohnt.“Ein Nabendynam­o funktionie­re bei jedem Wetter und produziere beständig Strom. Auch an wetterfest­er, sichtbarer Kleidung sollte man nicht sparen, rät er.

Es gelte, immer vorausscha­uend zu fahren und damit zu rechnen, nicht gesehen zu werden: „Oft fahren die Autofahrer auch mit eingeschrä­nkter Sicht und haben frühmorgen­s die Windschutz­scheibe nicht freigekrat­zt.“Räder mit Spikes für Schnee und Eis haben sich für Marc nicht bewährt. „Für die wenigen Tage im Jahr, an denen es glatt ist, findet man vielleicht eine andere Lösung.“

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FOTO: MICHELE DANZE/DPA

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