Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wenn Krise selbst Kunst wird

Ein Gartenzwer­g zieht ins Homeoffice – Wie die Corona-Krise Künstler der Region inspiriert

- Von Dagmar Hub

NEU-ULM/SENDEN - Zwei breitbeini­ge Gesellen stehen da, mit Jacke, Mütze und Gepäck. „Wir wollen weg“, nennt der Sendener Künstler Werner Fischer die beiden kleinen Figuren. „Wir hauen ab“, konkretisi­ert seine Frau Anneliese den Gesichtsau­sdruck der Skulpturen. „Aber wohin auf der Welt? Es ist ja überall gleich“, sagt Werner Fischer.

In Negativism­us gerät das

das in Gerlenhofe­n lebt und sein Atelier betreibt, dennoch nicht. „Ich glaube, dass kreative Menschen sich mit der Pandemie und den Restriktio­nen leichter tun, weil man in die Kreativitä­t eintaucht und deshalb die Probleme für eine Weile weiter weg sind“, sagt Anneliese Fischer. Vielleicht sei das auch der Grund, warum sich die Pandemie bislang wenig im Schaffen bildender Künstler spiegelt.

Bei Anneliese Fischer tut sie das in zwei Arbeiten – wenn auch nicht ausschließ­lich, denn beide beziehen sich (wie die beiden Zwergenmän­ner von Werner Fischer) auch auf andere globale Problemati­ken.

„Corona“-Schlagzeil­en prangen auf einem Rettungssc­hirm aus Zeitungssc­hlagzeilen, den Anneliese Fischer über der Weltkugel aufgespann­t hat. Sie verarbeite­t derzeit in ihrem Schaffen häufig Zeitungspa­pier – die Rolle der Medien in Fragen der Lösung von Problemen oder der gesellscha­ftlichen Spaltung beschäftig­t sie. Und weil für sie zu wenig passiert, zu langsam Lösungen gesucht werden, schuf auch sie einen Zwerg, der auf einem Wägelchen und auf Rollbrette­rn seine analogen und veralteten Arbeitsmat­erialien wie ein Telefon der 70er-Jahre, einen Abakus und eine alte Schreibmas­chine samt Kaffeetass­e und dem obligatori­schen Büro-Kaktus hinter sich her ins Homeoffice zieht.

Fischer, Ehepaar

Zum Thema Pandemie arbeitet auch die Neu-Ulmer Künstlerin

Sie kreiert derzeit vor allem Collagen. Auf „Die Büchse der Pandora“befinden sich drei Männer distanzier­t in einer Landschaft, die an Gemälde des 19. Jahrhunder­ts erinnert. „Abstandsre­gelverstöß­e“nennt sie ein Werk, in dem Menschen mit Schutzmask­en im Gesicht dicht gedrängt und seriell Schlangen bilden hinter einer Mauer – während im Hintergrun­d Reihen von Weinreben vor einer italienisc­hen Landschaft grünen. „Isolation oder Distanzier­ung“nennt Adams ein aktuelles Werk, auf dem sich vor dem Hintergrun­d grauer Hochhäuser Menschen dicht an einem Stand drängen. Im Meer finden die Menschen etwas Freiraum und sind weniger dicht zusammenge­pfercht. Natur aber im Sinne einer lebendigen Landschaft ist nirgends zu sehen in diesem massenhaft bevölkerte­n Stück Strand vor einer großen Stadt. Aber am Strand steht ein geschlosse­ner Kasten, mit Folie umspannt, in dem ein Mann kauert – eine Art Gewächshau­s, Gefängnis und Schutzraum. Refugium oder Isolation? Myrah Adams lässt dem Betrachter die Antwort offen.

Sehr unterschie­dliche Reaktionen von Künstlern auf die Einschränk­ungen stellt Vorsitzend­er des Kunstverei­ns Neu-Ulm, auf die im Verein organisier­ten Künstler fest. Manchen fehlen Antrieb durch die Beschränku­ngen derart, dass sie nichts Kreatives tun können. Er selbst arbeite ganz normal weiter – allerdings stellt er fest, dass sich seine Bilder verändert haben. Sehr dunkle Bilder seien zuletzt entstanden, mit wenig Farbkontra­sten – und Kreidezeic­hnungen auf schwarzem Papier. „Man wird es erst im Nachhinein beurteilen können, wie sich Corona auf das künstleris­che Schaffen ausgewirkt hat“, vermutet er.

Adams. Peter Degendorfe­r, Myrah

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FOTO: DAGMAR HUB

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