Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Nur Gras und getrocknet­es Gras

Im Südwesten setzen immer mehr Bauern auf das Konzept „Heumilch“– Höhere Preise, mehr Aufwand

- Von Christina Mikalo

KISSLEGG/RAVENSBURG - Vollmundig, ein klein wenig süßlich, und rein, so schmeckt die sogenannte Heumilch nach Ansicht des Allgäuer Bauern Wilfried Müller. „Manche finden das besser als die Silage-Milch“, sagt Müller. „Aber das ist Geschmacks­sache.“Der Landwirt ist auf den Geschmack gekommen: Seit vier Jahren stellt er auf seinem Hof in KißleggWal­lmusried (Kreis Ravensburg) Bio-Heumilch her. Anders als bei der konvention­ellen Milchviehh­altung verzichtet er auf Silofutter, bei dem Gras, Mais oder Getreide durch Gärung haltbar gemacht und oft durch sogenannte Kraftfutte­rmittel wie Soja aus Lateinamer­ika ergänzt wird. Stattdesse­n bekommen seine Kühe frisches Gras oder im Winter Heu direkt von der Allgäuer Weide.

Diese Art der Fütterung sei nicht nur regional verortet, sondern auch bekömmlich­er für das Vieh, sagt Müller, der 32 Kühe besitzt. Und sie habe neben dem Geschmack noch andere Vorteile für den Verbrauche­r. „Heumilch enthält auch mehr lebenswich­tige Omega-3-Fettsäuren als konvention­elle Milch“, erläutert der Bauer. Manche Produkte, wie der Allgäuer Emmentaler, lassen sich zudem nur aus Heumilch herstellen. Anders als Silage-Milch enthalte sie keine Sporen, die den Hartkäse während der Reifung aufblähen lassen.

All diese Unterschie­de gegenüber der konvention­ellen Milcherzeu­gung hält Müller zwar für wichtig – doch ausschlagg­ebend für die Umstellung seines Betriebs von Silageauf Heumilch war ein anderer. „Der Hauptgrund war, dass Heumilch besser bezahlt wird“, sagt er.

Müller verkauft seine Produkte an die zwischen Ravensburg und Wangen gelegene Kofelder Produktion der Ökologisch­en Molkereien Allgäu. Konkrete Preiszahle­n für einen Liter Milch möchte er nicht nennen.

Hier gebe es zum Teil große Unterschie­de, sagt er. Insgesamt erhalte er aber einen „deutlichen Mehrerlös“im Vergleich zu seiner Zeit als konvention­eller Landwirt.

Das Agrarmagaz­in Topagrar errechnete 2019, dass Molkereien Bauern im Schnitt 33,7 Cent pro Liter konvention­ell erzeugter Milch zahlten. Für Biomilch gab es 47,6 Cent – rund 40 Prozent mehr. Und für BioHeumilc­h konnten Landwirte laut dem Verband Bioland im Einzelfall zwischen 55 und 60 Cent erzielen.

Die Preisunter­schiede kommen nicht von ungefähr: Die Herstellun­g von Heumilch ist für Landwirte mit mehr Aufwand verbunden. „Bei der Heuernte bin ich auf schönes Wetter angewiesen“, erklärt Wilfried Müller. Zudem sei das anschließe­nde Trocknen des Heus sehr aufwendig und zeitintens­iv. Es braucht unter anderem spezielle Maschinen und eine regelmäßig­e Kontrolle, damit das Heu nicht feucht wird und schimmelt. Deshalb hat sich seit den 1960er-Jahren zunehmend leichter herstellba­re Silage als Grundfutte­rmittel durchgeset­zt. Doch in den vergangene­n Jahren zeichnet sich laut Müller eine Renaissanc­e der Heumilch ab, die als ursprüngli­chste Form der Milcherzeu­gung gilt.

Das beobachtet auch Luise Holzinger, Geschäftsl­eiterin der Bio-Käserei Zurwies in Wangen, die sich auf den Verkauf von Heumilch-Produkten spezialisi­ert hat. „Vor allem im Corona-Jahr 2020 hat sich die Nachfrage nach unseren Produkten stark erhöht“, sagt sie – trotz des oft höheren Preises. Müller glaubt, dass das neben der guten Qualität der Produkte auch daran liegt, dass die Verbrauche­r ihre Herstellun­g transparen­t nachvollzi­ehen können.

Seit 2016 vergibt die EU das Siegel „garantiert traditione­lle Spezialitä­t“für Heumilch, wenn Landwirte nachweisen können, dass sie bei der Herstellun­g

verbindlic­he Standards einhalten. Dazu zählt vor allem eine silofreie Fütterung ohne Gentechnik. „So etwas schafft Vertrauen in die Produkte“, sagt Müller.

Dennoch ist Heumilch in Deutschlan­d bislang noch ein Nischenmar­kt. Nach Angaben des Bundesverb­ands Deutscher Milchviehh­alter lag ihr Anteil an der Gesamtmilc­herzeugung 2019 bei gerade einmal 0,22 Prozent. In Baden-Württember­g schwankt der Anteil dagegen zwischen drei und fünf Prozent, Tendenz leicht steigend.

Die Politik sieht deshalb einen Markt mit Wachstumsp­otenzial. Bislang können Heumilchbe­triebe über einen gemeinsame­n Antrag oder das sogenannte Fakt-Programm eine Prämie von 80 Euro pro Hektar vom Staat beantragen. Der Landtagsab­geordnete Raimund Haser (CDU) würde die Fördermögl­ichkeiten gern ausbauen. .„Ich denke, dass die Herstellun­g von Heumilch eine regionale, traditions­reiche und nachhaltig­e Form der Wiesenbewi­rtschaftun­g ist, die gut in unsere Zeit passt“, sagt der gebürtige Leutkirche­r.

Wilfried Müller bleibt vorsichtig­er. Wenn es bei der Heumilch zu einer „Produkt-Überschwem­mung“auf dem Markt wie bei der konvention­ellen Milch komme, könne das zu einem Preisverfa­ll führen, sagt er. Zudem befürchtet er, dass kleine Heumilchbe­triebe in Zukunft durch Gesetzesän­derungen der Politik benachteil­igt werden – beispielsw­eise durch den Beschluss, Gülle auf Grünland von 2025 an nur noch bodennah und streifenfö­rmig auszubring­en, den er für nicht umsetzbar hält. Müller warnt davor, Heumilch zu idealisier­en. „Zu glauben, dass dieses Produkt den Planeten rettet, wäre verkehrt.“Auch sei Silofutter nicht grundsätzl­ich schlechter als Heu und Gras. „Entscheide­nd ist die Qualität. Wenn das Heu schimmelt, kommt dabei auch keine gute Milch heraus.“

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FOTO: CHRISTINA MIKALO

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