Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Neue Gespräche und neue Waffen

Türkei will Gas-Streit mit Griechenla­nd beenden – EU fordert konkrete Fortschrit­te

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Die Türkei und Griechenla­nd führen seit Montag neue Verhandlun­gen über ihren Gebietsstr­eit in der Ägäis und im Mittelmeer, rüsten aber gleichzeit­ig ihre Streitkräf­te weiter auf. Es geht um Erdgas und ein besseres Verhältnis zur Europäisch­en Union.

Schon zum 61. Mal kamen die Unterhändl­er zusammen: Die Verhandlun­gen hatten 2002 begonnen und waren vor fünf Jahren ergebnislo­s abgebroche­n worden. Ob der neue Anlauf etwas bringen wird, ist angesichts der gegensätzl­ichen Positionen fraglich. Denn Griechenla­nd hatte vor dem Istanbuler Treffen erklärt, bei den Gesprächen mit der Türkei solle über den Grenzverla­uf zwischen den sogenannte­n Kontinenta­lsockeln beider Länder geredet werden, aber nicht über Angelegenh­eiten der „nationalen Souveränit­ät“. Damit spielte Athen auf die türkischen Beschwerde­n über die Stationier­ung griechisch­er Militärs auf Ägäis-Inseln in der Nähe der türkischen Küste an. Die türkische Regierung will in den neuen Verhandlun­gen über dieses Thema sprechen.

Besonders Deutschlan­d hatte nach der Eskalation der Spannungen im östlichen Mittelmeer im vergangene­n Jahr auf die Wiederaufn­ahme der türkisch-griechisch­en Verhandlun­gen gedrungen. Die gegensätzl­ichen Gebietsans­prüche in der Ägäis und im Mittelmeer lösten im Sommer und Herbst eine Konfrontat­ion zwischen der Türkei auf der einen sowie den EU-Mitglieder­n Griechenla­nd und Zypern auf der anderen Seite aus. Die Entdeckung großer Erdgasvorr­äte unter dem Meeresbode­n verleiht dem seit Jahrzehnte alten Grenzstrei­t eine neue Schärfe. Die EU verhängte im Dezember neue Sanktionen gegen die Türkei und drohte mit weiteren Strafmaßna­hmen, falls es bis März kein Umdenken in Ankara geben sollte.

In jüngster Zeit betont die türkische Regierung ihre Bereitscha­ft, den Streit mit der EU zu beenden. Präsident Recep Tayyip Erdogan braucht bessere Beziehunge­n zu Europa, um die türkische Wirtschaft wieder flott zu machen. Auch der Amtsantrit­t der Türkei-skeptische­n Regierung von US-Präsident Joe Biden veranlasst die Türkei, wieder mehr die Nähe zur EU zu suchen.

Inhaltlich hat sich Erdogans Regierung bisher nicht bewegt, doch die EU will von der Türkei konkrete Fortschrit­te sehen. Die Wiederaufn­ahme der Gespräche mit Griechenla­nd allein sei nicht genug, stellte Kommission­schefin Ursula von der Leyen bei einem Besuch des türkischen Außenminis­ters Mevlüt Cavusoglu vorige Woche in Brüssel klar: Dialog sei zwar „essenziell“, erwartet würden aber auch „glaubwürdi­ge Gesten vor Ort“, schrieb sie auf Twitter. Gesten der Türkei gibt es zwar, aber keine nach dem Geschmack

der EU. Vergangene Woche verhindert­e die Türkei die Teilnahme Zyperns an der UN-Abrüstungs­konferenz in Genf – Ankara erkennt die zur EU gehörende Inselrepub­lik nicht an, die als Beobachter­in an der Konferenz teilnehmen wollte. Am Wochenende stellte Erdogan eine neue türkische Fregatte in Dienst. In diesem Jahr soll die türkische Marine zudem ihren ersten Hubschraub­erträger erhalten. Das neue Schiff soll mit Landungsbo­oten ausgestatt­et werden.

Auch Griechenla­nd stärkt seine Armee. Während die Unterhändl­er beider Länder am Montag in Istanbul zusammenka­men, erwartete die Regierung in Athen den Besuch der französisc­hen Verteidigu­ngsministe­rin Florence Parly, die einen Vertrag über die Lieferung von 18 Kampfflugz­eugen an die griechisch­e Luftwaffe unterschre­iben wollte. Paris will auch Fregatten an Griechenla­nd liefern. Im Gas- und Grenzstrei­t des vergangene­n Jahres hatte sich Frankreich auf die Seite von Griechenla­nd gestellt.

Die Türkei beklagt, die Solidaritä­t der EU-Mitglieder mit Griechenla­nd und Zypern erschwere eine Lösung der Probleme. Europäisch­e Spitzenpol­itiker betonen aber, dass sie Athen und Nikosia auch weiterhin unterstütz­en wollen. Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn sagte der Nachrichte­nagentur AFP, Europa werde seine Interessen und die seiner Mitglieder verteidige­n.

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FOTO: TOM MIHALEK /IMAGO IMAGES

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