Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Neue Gespräche und neue Waffen
Türkei will Gas-Streit mit Griechenland beenden – EU fordert konkrete Fortschritte
ISTANBUL - Die Türkei und Griechenland führen seit Montag neue Verhandlungen über ihren Gebietsstreit in der Ägäis und im Mittelmeer, rüsten aber gleichzeitig ihre Streitkräfte weiter auf. Es geht um Erdgas und ein besseres Verhältnis zur Europäischen Union.
Schon zum 61. Mal kamen die Unterhändler zusammen: Die Verhandlungen hatten 2002 begonnen und waren vor fünf Jahren ergebnislos abgebrochen worden. Ob der neue Anlauf etwas bringen wird, ist angesichts der gegensätzlichen Positionen fraglich. Denn Griechenland hatte vor dem Istanbuler Treffen erklärt, bei den Gesprächen mit der Türkei solle über den Grenzverlauf zwischen den sogenannten Kontinentalsockeln beider Länder geredet werden, aber nicht über Angelegenheiten der „nationalen Souveränität“. Damit spielte Athen auf die türkischen Beschwerden über die Stationierung griechischer Militärs auf Ägäis-Inseln in der Nähe der türkischen Küste an. Die türkische Regierung will in den neuen Verhandlungen über dieses Thema sprechen.
Besonders Deutschland hatte nach der Eskalation der Spannungen im östlichen Mittelmeer im vergangenen Jahr auf die Wiederaufnahme der türkisch-griechischen Verhandlungen gedrungen. Die gegensätzlichen Gebietsansprüche in der Ägäis und im Mittelmeer lösten im Sommer und Herbst eine Konfrontation zwischen der Türkei auf der einen sowie den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern auf der anderen Seite aus. Die Entdeckung großer Erdgasvorräte unter dem Meeresboden verleiht dem seit Jahrzehnte alten Grenzstreit eine neue Schärfe. Die EU verhängte im Dezember neue Sanktionen gegen die Türkei und drohte mit weiteren Strafmaßnahmen, falls es bis März kein Umdenken in Ankara geben sollte.
In jüngster Zeit betont die türkische Regierung ihre Bereitschaft, den Streit mit der EU zu beenden. Präsident Recep Tayyip Erdogan braucht bessere Beziehungen zu Europa, um die türkische Wirtschaft wieder flott zu machen. Auch der Amtsantritt der Türkei-skeptischen Regierung von US-Präsident Joe Biden veranlasst die Türkei, wieder mehr die Nähe zur EU zu suchen.
Inhaltlich hat sich Erdogans Regierung bisher nicht bewegt, doch die EU will von der Türkei konkrete Fortschritte sehen. Die Wiederaufnahme der Gespräche mit Griechenland allein sei nicht genug, stellte Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei einem Besuch des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu vorige Woche in Brüssel klar: Dialog sei zwar „essenziell“, erwartet würden aber auch „glaubwürdige Gesten vor Ort“, schrieb sie auf Twitter. Gesten der Türkei gibt es zwar, aber keine nach dem Geschmack
der EU. Vergangene Woche verhinderte die Türkei die Teilnahme Zyperns an der UN-Abrüstungskonferenz in Genf – Ankara erkennt die zur EU gehörende Inselrepublik nicht an, die als Beobachterin an der Konferenz teilnehmen wollte. Am Wochenende stellte Erdogan eine neue türkische Fregatte in Dienst. In diesem Jahr soll die türkische Marine zudem ihren ersten Hubschrauberträger erhalten. Das neue Schiff soll mit Landungsbooten ausgestattet werden.
Auch Griechenland stärkt seine Armee. Während die Unterhändler beider Länder am Montag in Istanbul zusammenkamen, erwartete die Regierung in Athen den Besuch der französischen Verteidigungsministerin Florence Parly, die einen Vertrag über die Lieferung von 18 Kampfflugzeugen an die griechische Luftwaffe unterschreiben wollte. Paris will auch Fregatten an Griechenland liefern. Im Gas- und Grenzstreit des vergangenen Jahres hatte sich Frankreich auf die Seite von Griechenland gestellt.
Die Türkei beklagt, die Solidarität der EU-Mitglieder mit Griechenland und Zypern erschwere eine Lösung der Probleme. Europäische Spitzenpolitiker betonen aber, dass sie Athen und Nikosia auch weiterhin unterstützen wollen. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte der Nachrichtenagentur AFP, Europa werde seine Interessen und die seiner Mitglieder verteidigen.