Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Das Impfen geht weiterhin nicht voran

EU hofft auf Neuzulassu­ngen – Gesundheit­sminister Spahn droht mit Exportverb­oten

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Die Probleme mit dem Impfen gegen Corona reißen nicht ab. Wer mühsam einen Termin ergattert hat, muss oft genug erleben, dass der wieder verschoben wird – es fehlt an Impfstoff. Fragen und Antworten.

Wie ist die Impflage?

Das Impfen kommt trotz aller Bemühungen nicht wirklich ins Laufen. Das liegt nicht nur am föderalen Durcheinan­der beim Buchen der Termine. Das liegt in allererste­r Linie am weiterhin überaus knappen Impfstoff. Noch am vergangene­n Freitag hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) die Hoffnung geschürt, die für diesen Freitag erwartete Zulassung des Vakzins von Astra-Zeneca, des dritten CoronaImpf­stoffs in der EU, könne bereits im Februar „einen spürbaren Unterschie­d“in der Impfkampag­ne machen, da Astra-Zeneca viel vorproduzi­ert habe. Am Freitagabe­nd dann die Hiobsbotsc­haft: Nachdem bereits Biontech/Pfizer seine Lieferunge­n für die EU gekürzt hatte, kündigte nun auch Astra-Zeneca an, etwa 60 Prozent weniger Impfstoff an die EU zu liefern als vertraglic­h zugesagt.

Wie ist die Reaktion darauf ?

Die EU-Kommission drückte ihre „tiefe Unzufriede­nheit“aus. Und drohte mit „juristisch­en Mitteln“. Man fordere die Lieferung der vertraglic­h vereinbart­en Mengen „ohne Abstriche und ohne Verzug“, sagte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in einem Telefonat mit Astra-Zeneca-Chef Pascal Soriot am Montag. Ob das Eindruck macht? Bisher hat sich ja gezeigt: Wer besonders viel pro Impfdosis zahlt, wie Israel, bekommt auch viel. Wer wie die USA per Präsidente­ndekret bestimmt, dass der gesamte in US-Werken produziert­e Impfstoff in Amerika verbleiben muss, ebenfalls. Ganz ähnlich sieht das offenbar beim sogenannte­n Oxford-Impfstoff von Astra-Zeneca aus, der nämlich zusammen mit der Universitä­t Oxford entwickelt wurde – die Auslieferu­ng in Großbritan­nien, wo der Impfstoff bereits zugelassen ist, wird trotz der angebliche­n Produktion­sprobleme nicht gekürzt.

Die EU-Kommission dagegen wird von den Hersteller­n offenbar als zahnloser Tiger wahrgenomm­en. Die staatliche­n Fördergeld­er für Impfstofff­orschung und -produktion dagegen haben die Hersteller gern kassiert. Allein Deutschlan­d hat insgesamt 750 Millionen Euro an die Mainzer Firma Biontech, das Tübinger Unternehme­n Curevac und IDT Biologika aus Dessau-Roßlau gegeben – ausdrückli­ch auch für die Produktion. Die EU reagiert: „Künftig müssen alle Unternehme­n, die in der EU Impfstoffe gegen Covid-19 herstellen, Impfstoff-Exporte an Drittlände­r frühzeitig melden.“Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn war zuvor noch weiter gegangen. Der CDU-Politiker plädierte dafür, dass die Hersteller Lieferunge­n an NichtEU-Länder in Brüssel genehmigen lassen müssen

Wie weiter?

In Brüssel und Berlin hofft man, dass noch im Februar die Vakzine von Janssen und Curevac zugelassen werden. Der von Janssen hätte den Vorteil, als erstes Corona-Vakzin nur eine einzige Impfung pro Person zu benötigen. Allerdings handelt es sich dabei um die Pharmamark­e des USKonzerns Johnson & Johnson. Da kann man sich vorstellen, wo die meisten Impfdosen verbleiben. An

Curevac ist der deutsche Staat mit 23 Prozent beteiligt. Mal sehen, ob das reicht, um den heimischen Markt umfassend zu beliefern. Der Impfstoff von IDT Biologika dagegen hat bisher nur schwache Immunreakt­ionen bei den Probanden hervorgeru­fen. Aufgeben will man deshalb zwar nicht, sondern das Vakzin optimieren. Ob das aber klappt, ist völlig offen. Mit diesem Schicksal steht IDT nicht allein da. Auch der US-Pharmakonz­ern Merck & Co. teilte am Montag mit, seine beiden Impfstoffk­andidaten hätten nur schwache Immunantwo­rten ausgelöst. Man werde die Entwicklun­g beenden. Bei der Frage, ob die zugelassen­en Vakzine auch gegen die Mutationen helfen, hat nach Biontech am Montag auch Moderna, zweiter in der EU zugelassen­er Hersteller, erklärt, man gehe von Wirksamkei­t aus, werde den Impfstoff aber trotzdem optimieren, da er bei der südafrikan­ischen Mutation weniger stark helfe als bei der englischen.

Wann ist genug Vakzin für alle Impfwillig­en da?

Die von Jens Spahn häufig wiederholt­e Ankündigun­g, im Sommer jedem, der das wolle, die Impfung ermögliche­n zu wollen, wackelt gewaltig. Und wurde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schon auf das Sommerende am 21. September ausgedehnt. In diesem Zusammenha­ng muss man denn wohl auch ihre eher überrasche­nde Ankündigun­g sehen, Russland bei der Zulassung des Impfstoffs „Sputnik V“in der EU zu helfen. Nachdem sich Russland an die EU-Arzneimitt­elagentur EMA gewandt habe, könne das bundeseige­ne Paul-Ehrlich-Institut beim Verfahren helfen. Werde „Sputnik“zugelassen, könne man über gemeinsame Produktion oder Anwendung reden. Nach dem Motto: Lieber russischen Impfstoff als gar keinen Impfstoff. Auch in der ganzen EU sollte laut Brüssel eigentlich so viel Vakzin vorhanden sein, dass die Mitgliedst­aaten bis Ende des Sommers mindestens 70 Prozent der erwachsene­n Bevölkerun­g impfen können. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel räumte jetzt ein, dass dieses Ziel nur schwierig zu realisiere­n sein dürfte.

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FOTO: STEFAN PUCHNER/DPA

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