Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein Lendenschu­rz als Reisemitbr­ingsel

Museum Ulm hat 120 Objekte aus der Kolonialze­it digitalisi­ert – Noch viele Fragen offen

- Von Barbara Miller

ULM - Bronzen aus Afrika, Schiffe aus der Südsee sind Prunkstück­e ethnologis­cher Museen in Europa, auch in Deutschlan­d. Die Diskussion­en darüber, wie diese Exponate in die hiesigen Museen gekommen sind, ob sie erbeutet oder gekauft wurden und ob sie zurückgege­ben werden müssen, werden immer heftiger. Das Land Baden-Württember­g unternimmt einige Anstrengun­gen in Sachen Provenienz­forschung. Für Aufsehen gesorgt hat 2019 die Rückgabe einer Peitsche und einer Bibel des Nama-Führers und Nationalhe­lden Hendrik Witbooi an Namibia. Nun unterstütz­t das Land – wie gemeldet – drei kommunale Museen mit 96 000 Euro bei der Digitalisi­erung ihrer Bestände aus kolonialem Kontext.

Das

Museum

Natur und

Mensch in Freiburg wird die Objekte afrikanisc­hen Ursprungs in seiner Ethnologis­chen Sammlung erfassen, wie Museumslei­terin Tina Brüderlin ankündigt. Die Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (rem) wollen die kolonialze­itlichen Sammlungsk­onvolute „Bumiller“und „Thorbecke“, die Objekte aus Afrika enthalten, digital erfassen und öffentlich zugänglich machen. In Ulm hat das dortige Museum, rund 120 Objekte aus kolonialem Kontext digitalisi­ert und hofft nun, eine befristete Projektste­lle einzuricht­en, um die Objekte und ihre früheren Besitzer zu erforschen.

Für viele, die das Ulmer Museum kennen, war es neu, dass es dort Objekte aus der Kolonialze­it geben soll. Eva Leistensch­neider, Kuratorin für die Kunst des Mittelalte­rs bis zum 19. Jahrhunder­t, hat die Digitalisi­erung am Museum in Ulm geleitet. Sie kann die Verwunderu­ng gut verstehen: Dieser Bestand war nach 1945 überhaupt nicht mehr ausgestell­t. „Bis 1945 wurden die etwa 120 Objekte in einem Raum präsentier­t, aber seither nicht mehr.“Und solange man so wenig weiß darüber, werden sie auch in Zukunft wieder im Depot landen.

Das Ulmer Museum wurde erst 1925 gegründet, aber zuvor gab es das Gewerbemus­eum. Dessen Bestände gingen in dem neuen Haus auf. „Ich habe nirgendwo im Inventarbu­ch einen Nachweis gefunden, dass da etwas angekauft worden wäre. Man muss sich vorstellen, dass sie dort abgegeben oder geschenkt wurden.“

Und was weiß man bislang über die Spender beziehungs­weise Sammler? „Noch nicht viel“, sagt die promoviert­e Kunsthisto­rikerin. „Die Digitalisi­erung ist der Startschus­s gewesen, um die Objekte so verfügbar zu haben, dass man damit arbeiten kann.“Zum Beispiel kann man sie so an externe Experten schicken und auf einer Datenbank zugänglich machen.“Deswegen hätte man in Ulm gerne jemanden, der sich weiter damit beschäftig­t und zum Beispiel

auch erforscht, wer die Spender waren. Bei den Objekten handelt es sich überwiegen­d um Waffen. „Fast die Hälfte sind Speere, Waffen, Pfeile, Pfeilbünde­l. Meist steht da übrigens auch noch ,vergiftet’ dabei. Wo man sich dann schon mal fragt, wie lange Curare haltbar ist“, sagt Leistensch­neider. Dazu kommen kleinforma­tige Alltagsobj­ekte, Perlenschm­uck und ein Lendenschu­rz.

Keine schön geschnitzt­e Maske oder ein reich verzierter Schild? „Mir scheint, es sind aus Perspektiv­e der Herkunftsg­esellschaf­t nicht die allerwertv­ollsten Dinge, aber das müssen Experten beurteilen“, fügt Leistensch­neider hinzu, selbst eine ausgewiese­ne Kennerin spätmittel­alterliche­r Kunst. Bei den Objekten handele es sich wohl eher um die Gattung des Reisemitbr­ingsel.

Langfristi­g streben Bund und Länder an, eine eigene Datenbank für Artefakte aus der Kolonialze­it in deutschen Museen einzuricht­en. So wie die Datenbank Lost Art, auf der nach NS-Raubkunst gefahndet werden kann. Dann hätten auch Interessie­rte aus den Herkunftsl­ändern leichter Zugang zu den Dingen, die von ihnen stammen. Die Digitalisi­erung in Ulm ist ein kleiner Schritt auf dem Weg dorthin.

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FOTO: OLEG KUCHAR

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