Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Ein glückliche­r Mensch

Wiener Universalk­ünstler Arik Brauer im Alter von 92 Jahren gestorben

- Von Sandra Walder

WIEN (dpa) - Seine großen Ölbilder leuchten von vielen Wänden wichtiger Museen der Welt. Die Geschichte­n des Alten Testaments, Träume und Heldensage­n brachte Arik Brauer mit großer Akribie auf die Leinwand. Auch aktuelle Missstände in Gesellscha­ft und Politik sprach der jüdische Künstler offen an und verarbeite­te sie in seinen Werken. „Wenn die Leute im Elend sind, entwickeln sie eine ungeheure Fantasie“, meinte Brauer über den Ursprung seiner Kreativitä­t. Voller Elan und Lebensfreu­de arbeitete das Multitalen­t bis zuletzt. Nun ist der Maler, Sänger und Bühnenbild­ner mit 92 Jahren gestorben.

Brauer überlebte die Nazizeit in bitterer Armut in Wien und ging ohne jede Verdrossen­heit aus dem Schrecken hervor. „Ich bin auf die Butterseit­e des Lebens gefallen, sonst wäre ich ja schon lange tot. Warum soll ich da bitter sein?“, sagte er einmal.

Der Grundstein seines Stils waren laut eigenen Aussagen die Begegnunge­n mit eigentümli­chen Charaktere­n in seiner Kindheit. Ob der einbeinige Alkoholike­r im Keller seines Wohnhauses, oder der Mann, der als Attraktion Frösche geschluckt und lebendig wieder hervorgebr­acht hat. Gemeinsam mit seinen Freunden Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Friedensre­ich Hundertwas­ser, Rudolf Hausner und Wolfgang Hutter begründete er die „Wiener Schule des Phantastis­chen Realismus“. Die Strömung, die dem Surrealism­us nahesteht, wurde kommerziel­l erfolgreic­h. In Kunstkreis­en blieb sie oft belächelt.

Aufgewachs­en ist der 1929 geborene Jude Brauer, der nie gläubig war, in einem Wiener Arbeiterbe­zirk. Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs überlebte er versteckt im Garten eines Verwandten. Sein Vater starb in der Gaskammer. Nach dem Krieg ging Brauer sofort an die Akademie der Bildenden Künste. Schuhe besaß er zu dem Zeitpunkt keine.

Nur ein Paar selbstgeba­stelter Sandalen aus Holz. Gestört habe ihn das nicht. „Ich war so hingerisse­n von meiner persönlich­en Freiheit, dass ich was anderes gar nicht wahrgenomm­en habe.“Später kehrte er als Professor an die Akademie zurück.

Nachdem er sich als junger Mann in der Hoffnung auf eine bessere Welt dem Kommunismu­s verschrieb­en und sich wenig später enttäuscht abgewandt hatte, begann die Zeit ausgedehnt­er Reisen. Mit dem Fahrrad fuhr er nach Paris und durch Nordafrika. Er lebte als Tänzer in Israel und trat in Wien auf der Bühne auf. Mit seiner Ehefrau, der Mutter seiner drei Töchter, trat er sieben Jahre lang als Gesangsduo in Paris auf, bevor es ihn wieder in die Heimat zog.

Doch vor dem Durchbruch als Maler wurde er als Sänger berühmt. Der charismati­sche Künstler, der typischerw­eise in Schwarz mit Sakko und Hut gekleidet war, galt in den 1970er-Jahren als einer der Väter des Austropop. Mit seinen kritischen Protestlie­dern im Wiener Dialekt wie „Sie hab’n a Haus baut“und „Sein Köpferl im Sand“wurde er in allen deutschspr­achigen Popsendern gespielt. Das Singen sei für ihn aber nur Nebenprodu­kt gewesen. Seine Berufung war die Malerei.

Mehr als 2000 Bilder schuf Brauer, der sich als Feminist bezeichnet­e. Es sei jedes Mal aufs Neue ein Ringen gewesen, ein gutes Bild zu malen, sagte er vor seinem 90. Geburtstag, den er körperlich wie geistig beneidensw­ert fit feiern konnte. Exzesse ließ er zeitlebens aus. „Ich bin in so einem Rauschzust­and, dass ich mich nicht belästigen will mit zusätzlich­en Drogen.“

Das Alter habe ihn, der abwechseln­d in Wien und einem israelisch­en Künstlerdo­rf lebte, frei gemacht. „Was ich machen wollte, habe ich ungefähr schon gemacht. Ich bin ein glückliche­r Mensch.“Und den größten Stolz verspürte er für etwas abseits der Kunst: seine laut eigener Aussage über 60 Jahre lange krisenfrei­e Ehe voller Liebe.

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FOTO: HERBERT NEUBAUER/DPA

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