Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Vom prüden Lokal zum Eden

Auf Spurensuch­e rund um den Club in der Karlstraße

- Von Oliver Helmstädte­r

ULM - Wie ein Relikt aus den 50ern oder 60ern wirkt der Bau in der Ulmer Oststadt: In geschwunge­nen Lettern erleuchtet der Neonröhren­schriftzug „Eden“die Karlstraße. Und wenn die Rollläden nicht herunterge­lassen sind, lächeln leicht bekleidete Pin-ups die Passanten an – Manuella, Gabriella, Erika, Claudia und Monika als Hinterglas­malerei. Peter Liptau ging jetzt mit Cora Schönemann, der (Mit-)Besitzerin der Immobilie, auf Spurensuch­e.

Hauptberuf­lich beleuchtet Liptau als stellvertr­etender Leiter des Stadtarchi­vs eher Neu-Ulmer Geschichte. In seiner Freizeit blickt der 38-Jährige gerne über diesen Tellerrand hinaus. Verfestigt habe sich dieses Interesse in seiner Tätigkeit am Südwestdeu­tschen Archiv für Architektu­r und Ingenieurb­au in Karlsruhe. Der Kunstwisse­nschaftler findet es spannend, die architekto­nischen Perlen der Nachkriegs­zeit zu finden. So wie das Eden. „Das Faszinosum an diesem Laden ist, dass er sich über die Jahrzehnte kaum verändert hat.“Der Schriftzug „Eden“aus dem Jahr 1961 etwa. Aber auch im Inneren: inklusive der Strip-Stange und einer originalen Hausordnun­g.

Bevor die leichten Damen Einzug hielten, ging es dort konvention­ell zu. Vermutlich um 1878 habe es hier bereits eine Gaststätte gegeben, den Pfluggarte­n, einen Biergarten der damaligen Brauerei Pflug. Bei den Luftangrif­fen 1944 wurde der Bau zerstört. Nur der heute noch erhaltene Gartenzaun blieb neben dem Kellergewö­lbe erhalten. Liptau liegt ein Baugesuch aus dem Jahr 1954 vor, das bereits trotz folgender Anbauten das heutige Eden äußerlich erahnen lässt.

Der französisc­h angehaucht­e Namen der Gaststätte sollte schon damals im Nachkriegs-Ulm ein wenig Weltläufig­keit vermitteln: Atelier. Auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te ging es schon längst feuchtfröh­lich zu: Im 1907 von der Königliche­n Garnisonsv­erwaltung erbauten Offiziersc­asino war bis Mitte der 1950er-Jahre der „Blue Byway Club“untergebra­cht, ein Treffpunkt für US-amerikanis­che Unteroffiz­iere.

Aber das Lokal schloss früh und die Männer fern der Heimat mussten zu später Stunde nur die Karlstraße überqueren, um den Abend im Atelier in netter Gesellscha­ft zu beschließe­n. Aus dem eher prüden Tanzlokal sei so zunehmend ein Amüsierbet­rieb geworden. Vorangetri­eben durch die Dollars der US-Soldaten.

Der Namen Atelier wurde 1961 in Eden geändert. Liptau vermutet, dass dies in Anlehnung an die von Rolf Eden in Berlin etablierte­n Varieté-Theater und Nachtclubs geschah. 1963 kaufte die Familie Schöllkopf, der bereits die Ur-Gaststätte der Brauerei Pflug gehörte, das Anwesen. Im gleichen Jahr wurden die Innenräume umgestalte­t: Teile dieser Ausstattun­g haben sich bis heute erhalten, von den Barhockern bis zur Bar. Geplant gewesen seien „humoristis­che, folklorist­ische oder rein gesellscha­ftstänzeri­sche gute Darbietung­en“. Keine nackte Haut: Nicht beabsichti­gt seien „Entkleidun­gstänze, Schönheits­tänze und dergleiche­n“. Offenbar hielt man sich nicht immer ganz daran. Denn 1971 ersuchten die Betreiber die Kommune um eine Konzession für „Vollakt- und Striptease-Vorstellun­gen“. Der Antrag wurde bewilligt mit der Einschränk­ung: „Die Darbietung­en dürfen nicht gegen die guten Sitten verstoßen.“

In den 1970ern verliert sich die Spur. Der wegen illegalen Glücksspie­ls verurteilt­e Manfred Hauschild, dem der „Spiegel“den Titel „Casino-Papst Deutschlan­ds“gab, müsse das Gebäude bis 1989 in seinem Besitz gehabt haben. „Es folgten verwegene, doch stillere Jahre mit Striptease-Betrieb“, so Liptau. Mit dem Abzug der US-Soldaten verlagerte sich die Rotlicht-Meile in die Blaubeurer Straße. 2007 endete die Strip-Ära endgültig. Nach dem Verkauf an das gegenwärti­ge (Mit-)Besitzerpa­ar Schönemann entstand ein populärer Club. Ob es sich dieses Jahr wieder im „Lustgarten“, dem Außenareal, wandeln lässt, ob der Clubbetrie­b wieder aufgenomme­n wird, steht wegen Corona aber in den Sternen. Allerdings wollen die Schönemann­s eine Geschichts­tafel mit Schlaglich­tern anbringen, direkt neben Pin-up Gabriella.

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FOTO: LIPTAU

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