Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Impfstoff kommt nur spärlich und viel später
Astra-Zeneca kann den Verbleib von Millionen vorbestellter Dosen nicht erklären – Zweifel an deren Wirksamkeit
BERLIN - Die Sorgen um die Impfstoffe gegen das Corona-Virus nehmen an mehreren Fronten weiter zu, statt nachzulassen. Die Lieferungen einiger Anbieter kommen spärlicher und später als angekündigt. Zu Wochenbeginn mehrten sich zudem die Zweifel an der Wirksamkeit eines wichtigen Produkts. Der politische Zoff um die Verantwortung dafür erreicht derweil ein neues Level, während die Ungeduld der Bevölkerung mit der Seuchenbekämpfung immer größer wird.
Der Druck auf die Politik hatte am Wochenende zugenommen, als der große Anbieter Astra-Zeneca erklärte, dass angeblich vorproduzierter Impfstoff zu einem großen Teil nicht existiert. Statt 80 Millionen Einheiten kann das Unternehmen in den kommenden Monaten nur 31 Millionen liefern. „Sollten wir noch in diesem Monat eine bedingte Marktzulassung von der Europäischen Kommission erhalten, werden wir in der Lage sein, monatlich nach und nach mehrere zehn Millionen Dosen zu liefern“, sagte eine Sprecherin von Astra-Zeneca am Dienstag. „Die ersten Millionen Dosen“werden demnach noch in der ersten Februarhälfte ausgeliefert, nachdem sie die Qualitätskontrolle durchlaufen haben.
Von einer Million Einheiten entfallen jedoch nur rund 180 000 auf Deutschland – genug, um die Impfquote um 0,2 Prozentpunkte hochzutreiben. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bereits einen „spürbaren“Effekt auf den Impffortschritt durch den Eintritt von AstraZeneca ins Liefergeschehen angekündigt.
Für die EU ist daran besonders peinlich, dass sie bereits 336 Millionen Euro bezahlt hat, damit AstraZeneca nach der Zulassung schnell liefern kann. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides ist besonders irritiert davon, dass die Belieferung Großbritanniens derweil uneingeschränkt weitergeht. „Die EU möchte wissen, welche Dosen von Astra-Zeneca bisher wo produziert wurden und an wen sie geliefert wurden", sagte Kyriakides. Die Zulassung des Produkts in der EU wird für diesen Freitag erwartet.
Astra-Zeneca konnte am Dienstag auf Anfrage nicht erklären, wie die Verteilung der vorhandenen Chargen auf die verschiedenen Märkte geregelt ist. Für Kyriakides und für Gesundheitsminister Jens Spahn ist der Aussetzer bei Astra-Zeneca besonders unangenehm, weil die EU sich in ihrer gemeinsamen Bestellung vor allem auf das britischschwedische Unternehmen verlassen hat.
Kyriakides hat dort 400 Millionen Dosen vorbestellt. Das war mehr als bei allen anderen Anbietern. Erst durch Nachverhandlungen hat sie die Zahl beim Konkurrenten Biontech von 300 auf 600 Millionen Einheiten hochgeschraubt. Die Extradosen kommen jedoch erst nach und nach im Jahresverlauf. Für die Versprechen der Bundesregierung waren die Lieferungen von Astra-Zeneca fest eingeplant. Spahn hatte ein Impfangebot für alle Bürger bis Juni in Aussicht gestellt, die Kanzlerin bis September: „Wenn alles nach Plan geht“, hatte Angela Merkel noch hinzugefügt.
Spahn brachte bereits die Idee von Ausfuhrkontrollen aus der EU ins Spiel. Bisher können die Hersteller den Impfstoff in andere Weltgegenden verschiffen, ohne dass die Behörden die exakten Mengen kennen. Eine Ausfuhrkontrolle würde bedeuten, dass die Anbieter eine Genehmigung für den Export einholen müssen. Das bedeutet kein Ausfuhrverbot, schafft aber zusätzliche Bürokratie. Hintergrund ist die Unterstellung, dass Astra-Zeneca in Europa Wirkstoff produziert, diesen aber anderswohin verkauft hat.
Unterdessen kam erhebliche Verwirrung um die Wirksamkeit des Astra-Zeneca-Impfstoffs bei älteren Menschen auf. Das Handelsblatt hatte am Montagabend unter Berufung auf die Bundesregierung gemeldet, er weise bei Senioren nur eine Wirksamkeit von acht Prozent auf – eine viel zu niedrige Zahl, die sich mit dem offiziellen Durchschnittswert von ungefähr 70 Prozent kaum vereinen ließe. Der Impfstoff wäre für seinen angestrebten Zweck, die gefährdetsten Gruppen zu schützen, damit in der Praxis unbrauchbar.
Vom Bundesgesundheitsministerium kam am Dienstag teilweise Entwarnung. Es sei richtig, dass der Impfstoff an verhältnismäßig wenig Testpersonen über 65 Jahren erprobt sei. Doch eine Wirksamkeit von nur acht Prozent konnte das Ministerium nicht bestätigen. „Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden“, sagte ein Sprecher. Rund acht Prozent der Probanden der Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahre alt, nur 3 bis 4 Prozent über 70. Das alles hat aber mit der Wirksamkeit nichts zu tun.
Tatsächlich haben die Konkurrenten Biontech und Moderna ihre Impfstoffe wesentlich gründlicher an Senioren erprobt. Biontech hat 18 000 Personen über 55 Jahren in seine Studie aufgenommen, das waren 40 Prozent der Teilnehmer. Aufgrund des angestrebten Einsatzgebiets haben die Wissenschaftler auch darauf geachtet, Tests an bettlägrigen Pflegeheimbewohnern durchzuführen. Biontech konnte daher vergleichsweise guten Gewissens eine Wirksamkeitsrate von 94 Prozent für die Hauptzielgruppe verkünden, während Astra-Zeneca hier bis heute etwas unklar bleibt. Daher ist es tatsächlich möglich, dass die europäische Arzneibehörde EMA die Zulassung für Senioren nun in Frage stellt.
Astra-Zeneca selbst wehrte sich derweil vehement gegen Unterstellungen, der Impfstoff sei fast unwirksam und die Zulassung in Großbritannien sei zu Unrecht erfolgt. Eine Sprecherin verwies auf Daten aus der zweiten Studienphase vom November. Das Immunsystem der älteren Teilnehmergruppe habe zuverlässig auf den Wirkstoff angesprochen. Der Handelsblatt-Bericht sei „völlig falsch“.
Spahn verteidigte im „Morgenmagazin“des ZDF das Vorgehen der Regierung und die Zusammenarbeit mit den Herstellern. „Impfstoffe herzustellen ist das Anspruchsvollste, was es für die Pharmaindustrie gibt.“Schließlich werden diese an Gesunde verimpft. Es sei von Anfang an zu erwarten gewesen, dass es Probleme und Unregelmäßigkeiten geben könne.