Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Digitales Davos
Die Corona-Pandemie bestimmt auch das diesjährige Weltwirtschaftsforum – Merkel sieht „Stunde des Multilateralismus“
BERLIN - Ein neues Programm zur Abwehr künftiger biologischer Gefahren hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Weltwirtschaftsforum (WEF) von Davos angekündigt. Aus der Erfahrung der Corona-Krise heraus sollen rechtzeitig neue Medikamente und Impfstoffe entwickelt werden. „Wir können nicht auf die nächste Pandemie warten, bevor wir uns vorbereiten“, sagte von der Leyen. „Deshalb wird dieses neue Programm auf Dauer angelegt.“
Mit Reden von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wurde am Dienstag der zweite Tag des diesjährigen Treffens der globalen Wirtschafts- und Politikelite abgehalten. Das Kongresszentrum im Schweizer Bergort Davos war allerdings verwaist. Wegen der Corona-Pandemie finden sämtliche Veranstaltungen und Diskussionen nur online statt.
In ihrer rund 20-minütigen Rede betonte von der Leyen, dass sich die EU um den Schutz der Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, der Demokratie und des Klimas bemühe. Um die Verbreitung von Lügen, Verschwörungstheorien und Gewaltaufrufen zu erschweren, wolle die EU die „enorme Macht der Online-Plattformen“einschränken. Firmen wie Facebook und Twitter müssten ihre Algorithmen offenlegen und „Verantwortung für die Inhalte“übernehmen, sagte von der Leyen. Dem dienten die geplanten EU-Gesetze zu digitalen Märkten und Dienstleistungen. Um die Klimakrise zu mildern, forderte die EU-Präsidentin ein internationales Abkommen zum Schutz der Biodiversität ähnlich dem Klima-Vertrag von Paris.
Angela Merkel plädierte in ihrem Online-Gespräch mit dem aus Ravensburg stammenden WEF-Chef Klaus Schwab dafür, die bestehenden Prinzipien der internationalen Kooperation besser umzusetzen. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, zitierte sie den Schriftsteller Erich
Kästner. Augenblicklich sei „die Stunde des Multilateralismus“, so Merkel, „Abschottung hilft nicht“. Wolle man das Corona-Virus wirksam eindämmen, müsse überall auf der Welt baldmöglichst gegen Corona geimpft werden. Was die Krisenreaktion in Deutschland betrifft, sah die Kanzlerin Licht und Schatten. Die individuelle Gesundheitsversorgung bewertete sie als gut, im öffentlichen Gesundheitssystem gebe es aber „Schwachstellen“. Außerdem solle die internationale Gemeinschaft besser auf ihre „Verwundbarkeit“durch die Klimakrise und den bedrohlichen Verlust der Artenvielfalt reagieren, so Merkel.
Das diesjährige WEF steht unter dem Motto „The Great Reset“, was sich als „Der große Neustart“übersetzen lässt. WEF-Chef Klaus Schwab will damit die Notwendigkeit ansprechen, dass die Welt mit einer gemeinsamen Anstrengung nicht nur aus der Corona-Krise herauskommt, sondern auch andere Herausforderungen wie die Klimakrise und die globale Armut angeht.
Rechtsgerichtete Gegner der Globalisierung und Verschwörungstheoretiker betrachten „The Great Reset“jedoch als nächsten Schritt zu einer globalen Diktatur. Im WEF sehen sie eine Art heimlicher Weltregierung, die aus dem Verborgenen ihre weltweiten Fäden zieht. Tatsächlich ist das WEF in erster Linie ein Kongress,
der alljährlich Tausende Spitzenmanager und Regierungspolitiker zusammenbringt. Weil viele einflussreiche Leute kommen, nutzen Firmenvorstände das Treffen, um Geschäfte anzubahnen. Politikerinnen und Politiker senden ihre Botschaften an das globale Publikum. Sie versuchen, eine Agenda zu setzen oder zu beeinflussen. Die Bedeutung des Forums liegt auch darin, dass die Wirtschafts- und Politikelite darüber debattiert, wo die Reise in nächster Zeit hingeht.
Praktische Politik würde das Forum auch gerne betreiben. Das gelingt ihm aber nur selten. Das ganze Jahr über organisieren Schwabs Leute zwar kleinere Treffen, bei denen sie beispielsweise versuchen, die „digitale Identität“voranzubringen. In diesem Rahmen soll etwa eine Art elektronischer Personalausweis Managern das grenzüberschreitende Reisen erleichtern. Davon, eine Weltregierung zu sein, ist das Forum aber Lichtjahre entfernt. Die Politik wird überwiegend in Washington, Brüssel, Paris oder Berlin gemacht.