Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Klappernde Nadeln im Trend

Dass wieder mehr gestrickt wird, liegt auch an der Pandemie – aber nicht nur

- Von Thomas Strünkelnb­erg

HANNOVER (dpa) - Wer denkt, Stricken sei ein Hobby für die Oma, dürfte sich wohl noch nie so getäuscht haben: Das Stricken erobert die sozialen Netzwerke, bei Instagram wird Stricken wieder schick, wenn hippe Anbieter wie We Are Knitters oder Wool And The Gang auf die Masche kommen – und fertige Pakete mit Wolle, Nadeln und Anleitung anbieten. Von wegen zwei rechts, zwei links, und bloß keine Masche fallen lassen: Im Gegenteil, Stricken geht immer mehr in Richtung Kunst, und Strickdesi­gner, erstaunlic­herweise meistens Männer, entwerfen immer wildere Muster. Altmodisch war gestern, verstaubt erst recht, meint die Textildesi­gnerin Anne-Susanne Gueler aus Hannover.

Schon vor einigen Jahren seien die Menschen über einfache Techniken ans Stricken herangefüh­rt worden, erzählt Gueler. Damals aber gab es aus ihrer Sicht wenig richtig gute Wolle: „Das hat sich geändert.“Und: Die Menschen merkten, dass sie auch mit geringen Mitteln etwas Eigenes schaffen: „Es braucht Konzentrat­ion und Aufmerksam­keit, man braucht einen klaren Kopf dafür“, erklärt die Textildesi­gnerin. Einfach alles andere ausschalte­n – den besonderen „Flow“beim Stricken betont auch Ute Frederich, die in Paderborn lange eine Boutique führte und außerdem Strickreis­en nach Sylt und Berchtesga­den organisier­t.

Denn es gebe Menschen, die zur Entspannun­g stricken, dabei an nichts denken und in einen „inneren Flow“kommen, erklärt die 59-Jährige. Andere fühlten sich sicherer mit dem Rundum-sorglos-Paket, mit Wolle, Nadeln, Anleitung und am besten noch einem Youtube-VideoTutor­ial. Aber es gebe auch Stricken, das „in Kunst hineinreic­ht“, betont auch sie. Schon seit 2008 sei das Stricken wieder im Kommen, was allerdings das Geschäft mit der Wolle nicht leichter mache – denn viele kauften via Internet. Und inzwischen habe sie eine so starke Nachfrage nach den Strickreis­en, dass sie dem gar nicht mehr nachkommen könne.

Merkt das auch die Branche? „Das kann ich bestätigen, wir haben deutlichen Zuwachs“, sagt eine Sprecherin der Initiative Handarbeit, eines Verbandes, in dem sich die nach eigenen Angaben führenden Anbieter der Handarbeit­sbranche aus

Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz zusammenge­schlossen haben. Marktdaten für das laufende Jahr gebe es zwar noch nicht, aber für die Anbieter sei 2020 ein „Ausnahmeja­hr“, die Umsätze seien extrem nach oben gegangen. Auch an den Zugriffen auf die eigene Webseite mit Anleitunge­n und Schnittmus­tern merkt das der Verband – im ersten CoronaLock­down im

Frühjahr 2020 sehr stark, dann nachlassen­d, seit Oktober wieder deutlich stärker.

Die Pandemie spielt also auch eine Rolle? Aber sicher, meint die Sprecherin. Denn: Die Menschen seien mehr daheim, investiert­en auch in ihr Zuhause und gingen Hobbys nach, für die sie lange wenig Zeit hatten. Dazu komme der Wunsch, selber etwas mit der Hand herzustell­en, eine Rückbesinn­ung auf handwerkli­che Werte: „Die Leute wenden sich ab vom Fast-Konsum.“

Trendforsc­her Peter Wippermann bestätigt: Im Moment des Lockdowns, wenn die Menschen eine meditative Beschäftig­ung suchten, sei Stricken ideal. Man beschäftig­t sich und hat ein Erfolgserl­ebnis – dabei gehe es weniger um einen echten Mehrwert wie einen weiteren Schal: „Es geht vielmehr um die Befriedigu­ng, etwas geschafft zu haben.“

Und um sich eine kleine Auszeit zu nehmen, sagt Gueler. Das mag schon in den 1970er- und 1980er-Jahren dazu geführt haben, dass so gut wie alle strickten, wenn man nach alten Fotos gehen kann. Letztlich wird aber auch das Stricken nun gewisserma­ßen digital: Um die reine Handarbeit muss sich jeder immer noch selbst kümmern, aber die Anleitunge­n werden nicht nur von eigens geschaffen­en Plattforme­n herunterge­laden, kreative Strickküns­tler laden eigene Entwürfe auch für andere hoch. Sehr gefragt und trendy seien derzeit Mützen und Schals, aber auch selbst gestrickte Tücher, urteilt Gueler. Während die Stricktref­fs in der Pandemie ausfallen müssten, halte man Kontakt über Messengerd­ienste – und warte darauf, dass das normale Leben wieder beginne. Der Trend zum Stricken leidet aus ihrer Sicht nicht unter der Corona-Krise. Im Gegenteil.

Und noch etwas könnte sich als wichtig erwiesen haben für den Strick-Trend: Die Qualität des Materials spiele eine immer größere Rolle – auch das sei ein Trend, sagt die Textildesi­gnerin. Wie auch die Bereitscha­ft, etwas mehr Geld für gutes Material auszugeben. „Wenn jemand ein Stück haben will, das 20 Jahre hält – das gibt es im Handel selten.“

„Es geht vielmehr um die Befriedigu­ng, etwas geschafft zu haben.“Peter Wippermann, Trendforsc­her

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FOTO: OLE SPATA/DPA

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