Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Exporte aus Großbritannien in die EU eingebrochen
LONDON (dpa) - Die Exporte durch britischen Häfen in die EU sind einer Umfrage zufolge im vergangenen Januar um 68 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gesunken. Das geht aus einer Befragung des Logistikverbandes Road Haulage Association seiner internationalen Mitgliedern hervor. Verbandschef Richard Burnett hatte die britische Regierung in einem Brief auf die Probleme hingewiesen und beklagt, seine Branche sei trotz zahlreicher Warnungen über Monate hinweg weitgehend ignoriert worden.
Obwohl auch die Corona-Pandemie für deutlich weniger Handel sorgt, macht der Verband vor allem die durch den Brexit entstandenen Formalitäten und Kontrollen für den drastischen Rückgang verantwortlich. Etliche Lastwagen blieben auf der Rückfahrt auf den Kontinent leer, da viele britische Unternehmen ihre Ausfuhren in die EU zeitweise oder vollständig ausgesetzt haben. Die rund 10 000 Zollmitarbeiter, die die neuen Formalitäten abwickeln müssen, seien gerade einmal ein Fünftel des Personals, das nach Schätzung des Logistikverbands notwendig wäre.
Die British Ports Association bestätigte dem Bericht zufolge den massiven Einbruch der Ausfuhren. Die Regierung hingegen wies die Zahl zurück: „Wir erkennen diese Zahl der Exporte nicht an. Dank der harten Arbeit von Logistikern und Unternehmen, sich auf die Änderungen vorzubereiten, waren die Störungen an der Grenze bislang minimal und Frachtbewegungen sind trotz der Covid-19-Pandemie nahe am normalen Niveau“, hieß es von einem Regierungssprecher.
BERG - Aufgekauft von einer Heuschrecke, ein Schreckensszenario für viele Betriebsräte und Mitarbeiter. Was der neue Eigentümer mit dem Unternehmen macht, ist oft ungewiss. Es kann sein, dass der Abbau von Arbeitsplätzen mit dem Kauf einhergeht, sich die Arbeitsbedingungen verschlechtern, Profit abgeschöpft wird und die Heuschrecke dann zum nächsten Unternehmen hüpft, um es gleichzutun.
Dass einmal das oberschwäbische Traditionsunternehmen Rafi in Berg bei Ravensburg mit seiner über 120jährigen Firmengeschichte von einem Hedgefonds aufgekauft werden würde, kam nicht einmal langjährigen Rafi-Kennern in den Sinn. Doch genau das ist im Januar 2020 passiert. Seither hat sich einiges verändert.
Ende 2019 wurde bekannt, dass die beiden Rafi-Gesellschafter Albert Wasmeier und Gerhard Schenk das Unternehmen an die US-amerikanische Investmentgesellschaft Oaktree Capital Management verkaufen werden. Abgeschlossen wurde der Deal im Januar 2020. Seither ist Rafi Teil des 140 Milliarden USDollar schweren Oaktree-Fonds aus Los Angeles, dem in der Branche ein Ruf als Heuschrecke vorauseilt.
Was mit Rafi passiert ist, ist keine Besonderheit in der Wirtschaft. Sogenannte Private-Equity-Geschäfte – also außerbörsliche Beteiligungen von Investmentgesellschaften – boomen. Das hat auch die Hans-BöcklerStiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in ihren Untersuchungen festgestellt. Demnach stieg die Zahl der Unternehmensbeteiligungen und -käufe über die vergangenen Jahre stetig an – seit Neuestem vor allem in der Gesundheitsbranche. Zwar hat es im Pandemiejahr 2020 einen Dämpfer gegeben, wie der Finanzdienstleister Hanse Corporate Finance (HCF) aus München in einem Report schreibt. Viele Deals seien wegen der unsicheren wirtschaftlichen Lage geplatzt. Allerdings rechnet HCF auch wieder mit einem Anstieg dieser Geschäfte.
Oaktree verfolgt bei Rafi eine sogenannte „Buy and Build“-Strategie, was auf Deutsch so viel wie „Kaufen und Ausbauen“bedeutet. Verkürzt gesagt geht es darum, Unternehmen größer und schlagkräftiger zu machen – und damit ihren Wert zu steigern. Nicht immer geschieht das mit organischem Wachstum. In der Private-Equity-Branche spielen dabei vor allem auch Zukäufe anderer Unternehmen aus der gleichen Branche eine Rolle. Weil den Unternehmen in der Regel die zur Finanzierung dieser
Deals aufgenommenen Schulden aufgebürdet werden, stehen PrivateEquity-Gesellschaften oft in der Kritik.
Vor dem Oaktree-Deal war die Verunsicherung bei der Rafi-Belegschaft groß. Gerüchte machten die Runde. Doch die Verunsicherung wich, als Oaktree-Deutschland-Chef Hermann Dambach verkündete, dass man auf Wachstum setze. Vor allem ein Satz beruhigte: „Stellenabbau ist nicht Bestandteil des Programms.“Auch im Schussental sorgte das für Aufatmen, immerhin ist Rafi der größte Arbeitgeber der 4500-Einwohner-Gemeinde Berg und deren größter Gewerbesteuerzahler. Was ist ein Jahr später aus den Versprechen geworden?
Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Trotz CoronaPandemie und zwei Monaten Kurzarbeit ist der Umsatz relativ stabil geblieben. 2019 lag er mit der heutigen Unternehmensgröße vergleichbaren Rafi-Gruppe bei 360 Millionen Euro, davon entfielen 254 Millionen Euro auf den Standort in Berg. 2020 kam die Gruppe auf 340 Millionen Euro, der Hauptsitz auf 250 Millionen Euro. Die Zahl der Beschäftigten
in Berg blieb stabil bei 950, weltweit bei 2000. Zum Gewinn will man bei der Geschäftsführung keine Angaben machen.
Und auch ein Jahr nach der Übernahme sagt Rafi-Geschäftsführer Lothar Seybold: „Wir setzen auf Wachstum. Ein Personalabbau oder eine Verlagerung ist nicht geplant.“Damit bekräftigt er die Äußerungen des Oaktree-Deutschland-Chefs von Ende 2019. Tatsächlich plant man in Berg sogar mit einem Ausbau vor Ort. „Wir wollen hier erweitern und sind in Gesprächen mit der Gemeinde und mit dem Landkreis“, so Seybold. Zwar habe man auch Möglichkeiten im benachbarten Weingarten, doch man wolle die räumliche Nähe. Außerdem sei Deutschland nicht nur als Entwicklungs-, sondern auch als Produktionsstandort attraktiv – vor allem wegen des Know-how-Schutzes.
Beim Sensorspezialisten Rafi läuft das Geschäft, was Oaktree freuen und den Geschäftsführern Lothar Seybold und Lothar Arnold Rückhalt sichern dürfte. Dass dies auch in Zeiten der Pandemie der Fall ist, liegt an verschiedenen Komponenten. Einerseits
ist da eine hohe Fertigungstiefe. „Wir sind dafür anfangs ein bisschen belächelt worden, aber die CoronaKrise hat gezeigt, dass diese Fertigungstiefe genau richtig ist, weil wir weniger abhängig von Lieferanten sind. Wir waren immer lieferfähig und haben im Frühjahr normal weiterproduziert“, resümiert Seybold. Und das trotz veränderter Produktionsabläufe, bedingt durch die Corona-Maßnahmen. Andererseits sind da die Produkte von Rafi. Das Unternehmen stellt unter anderem Elemente der Mensch-Maschine-Kommunikation her – zum Beispiel Touchscreens. Aber auch der Internet-Router Fritzbox läuft in Berg vom Band, der nach wie vor „einen positiven Beitrag“leiste. Zudem fertigt Rafi Bedieneinheiten für die in der Corona-Pandemie dringend benötigten Beatmungsgeräte für die Medizintechnikhersteller Hamilton Medical in der Schweiz und Fritz Stephan aus Rheinland-Pfalz. Das habe bei der Belegschaft auch einen gewissen Stolz ausgelöst, einen Beitrag zur Bewältigung der Krise zu leisten. Aus Sicht der Belegschaft hat sich die
Oaktree-Übernahme von Rafi nicht negativ ausgewirkt, wie Betriebsratsvorsitzender Jürgen Müller im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“sagt. Er gibt sich sogar positiv gestimmt. Das Betriebsklima sei „sehr gut“und er setzt Hoffnungen in die Weiterentwicklung des Standorts Berg. Müller sagt aber auch: „Der Druck hat zugenommen. Das ist aber nicht nur dem Verkauf an Oaktree geschuldet, sondern wird bestimmt durch unsere Zeit. Wir haben mit Corona die größte Krise in der Nachkriegsgeschichte zu meistern.“Auch das Tempo sei schneller geworden, weil Strukturen neu ausgerichtet wurden, um Prozesse zu beschleunigen.
Der Betriebsrat sagt, es laufe gut bei Rafi und die Berger könnten recht autark wirtschaften. „Solange Rafi liefert, haben unsere Geschäftsführer freie Hand“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Das Management hat im vergangenen Jahr auch einen Haustarifvertrag mit der IG Metall auf sechs Jahre abgeschlossen, der sich nach Meinung mancher Beschäftigter verschlechtert hat. Der Betriebsrat sagt aber klar: „Wenn wir einen Vorher-Nachher-Vergleich machen, steht bei uns definitiv ein Plus.“
Auf 2021 blicken die „Rafianer“mit gemischten Gefühlen. Sicherlich sei da etwas Unsicherheit im Markt, „aber wir haben einen Auftragspuffer, der uns gut absichert“, sagt Lothar Arnold. Außerdem hat das RafiManagement Pläne in der Schublade, wie das Wachstum vorangetrieben werden soll. Nach der Pandemie möchte man vor allem die Auslandsmärkte in China und in den USA ins Auge fassen. „Sobald es die CoronaSituation erlaubt, wollen wir jemanden rüberschicken“, sagt Lothar Seybold. Auch das Thema „Electronics Engineering and Manufacturing Services“(EMS) beschäftigt die Geschäftsführung. Dabei geht es neben der Elektronikfertigung auch um die Elektronikentwicklung. „Das wollen wir stärker an den Markt adressieren“, sagt Arnold.
Und dann will Rafi auch nach außen hin einheitlicher auftreten. Wie die Geschäftsführer berichten, treiben sie die Integration der Firmengruppe voran. Prozessabläufe sollen vereinheitlicht und vereinfacht werden. Und die Namen der Töchter sollen zumindest nach außen verschwinden. Künftig soll nur noch der Name Rafi auf dem Markt zu finden sein.
Der Verkauf an Oaktree hatte bei Rafi bislang keine negativen Auswirkungen gehabt. Doch in der PrivateEquity-Branche ist eines sicher: Irgendwann wird es wieder einen Verkauf geben, irgendwann wird Oaktree wieder aussteigen. Denn unter Finanzinvestoren sind die Unternehmen die Handelsware. Wie die Bilanz aus Sicht Rafis dann aussieht, bleibt abzuwarten. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Hans-BöcklerStiftung zumindest legt nahe, dass diese Bilanz im Hinblick auf Beschäftigung, Schulden, Eigenkapital und Insolvenzrisiko oft durchwachsen ausfällt. Demnach haben sich Unternehmen, die von Finanzinvestoren aufgekauft werden, in den Jahren nach der Übernahme vergleichsweise schlecht entwickelt. Noch scheint sich das bei Rafi aber nicht abzuzeichnen.