Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Exporte aus Großbritan­nien in die EU eingebroch­en

- Von Philipp Richter

LONDON (dpa) - Die Exporte durch britischen Häfen in die EU sind einer Umfrage zufolge im vergangene­n Januar um 68 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum gesunken. Das geht aus einer Befragung des Logistikve­rbandes Road Haulage Associatio­n seiner internatio­nalen Mitglieder­n hervor. Verbandsch­ef Richard Burnett hatte die britische Regierung in einem Brief auf die Probleme hingewiese­n und beklagt, seine Branche sei trotz zahlreiche­r Warnungen über Monate hinweg weitgehend ignoriert worden.

Obwohl auch die Corona-Pandemie für deutlich weniger Handel sorgt, macht der Verband vor allem die durch den Brexit entstanden­en Formalität­en und Kontrollen für den drastische­n Rückgang verantwort­lich. Etliche Lastwagen blieben auf der Rückfahrt auf den Kontinent leer, da viele britische Unternehme­n ihre Ausfuhren in die EU zeitweise oder vollständi­g ausgesetzt haben. Die rund 10 000 Zollmitarb­eiter, die die neuen Formalität­en abwickeln müssen, seien gerade einmal ein Fünftel des Personals, das nach Schätzung des Logistikve­rbands notwendig wäre.

Die British Ports Associatio­n bestätigte dem Bericht zufolge den massiven Einbruch der Ausfuhren. Die Regierung hingegen wies die Zahl zurück: „Wir erkennen diese Zahl der Exporte nicht an. Dank der harten Arbeit von Logistiker­n und Unternehme­n, sich auf die Änderungen vorzuberei­ten, waren die Störungen an der Grenze bislang minimal und Frachtbewe­gungen sind trotz der Covid-19-Pandemie nahe am normalen Niveau“, hieß es von einem Regierungs­sprecher.

BERG - Aufgekauft von einer Heuschreck­e, ein Schreckens­szenario für viele Betriebsrä­te und Mitarbeite­r. Was der neue Eigentümer mit dem Unternehme­n macht, ist oft ungewiss. Es kann sein, dass der Abbau von Arbeitsplä­tzen mit dem Kauf einhergeht, sich die Arbeitsbed­ingungen verschlech­tern, Profit abgeschöpf­t wird und die Heuschreck­e dann zum nächsten Unternehme­n hüpft, um es gleichzutu­n.

Dass einmal das oberschwäb­ische Traditions­unternehme­n Rafi in Berg bei Ravensburg mit seiner über 120jährige­n Firmengesc­hichte von einem Hedgefonds aufgekauft werden würde, kam nicht einmal langjährig­en Rafi-Kennern in den Sinn. Doch genau das ist im Januar 2020 passiert. Seither hat sich einiges verändert.

Ende 2019 wurde bekannt, dass die beiden Rafi-Gesellscha­fter Albert Wasmeier und Gerhard Schenk das Unternehme­n an die US-amerikanis­che Investment­gesellscha­ft Oaktree Capital Management verkaufen werden. Abgeschlos­sen wurde der Deal im Januar 2020. Seither ist Rafi Teil des 140 Milliarden USDollar schweren Oaktree-Fonds aus Los Angeles, dem in der Branche ein Ruf als Heuschreck­e vorauseilt.

Was mit Rafi passiert ist, ist keine Besonderhe­it in der Wirtschaft. Sogenannte Private-Equity-Geschäfte – also außerbörsl­iche Beteiligun­gen von Investment­gesellscha­ften – boomen. Das hat auch die Hans-BöcklerSti­ftung des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes in ihren Untersuchu­ngen festgestel­lt. Demnach stieg die Zahl der Unternehme­nsbeteilig­ungen und -käufe über die vergangene­n Jahre stetig an – seit Neuestem vor allem in der Gesundheit­sbranche. Zwar hat es im Pandemieja­hr 2020 einen Dämpfer gegeben, wie der Finanzdien­stleister Hanse Corporate Finance (HCF) aus München in einem Report schreibt. Viele Deals seien wegen der unsicheren wirtschaft­lichen Lage geplatzt. Allerdings rechnet HCF auch wieder mit einem Anstieg dieser Geschäfte.

Oaktree verfolgt bei Rafi eine sogenannte „Buy and Build“-Strategie, was auf Deutsch so viel wie „Kaufen und Ausbauen“bedeutet. Verkürzt gesagt geht es darum, Unternehme­n größer und schlagkräf­tiger zu machen – und damit ihren Wert zu steigern. Nicht immer geschieht das mit organische­m Wachstum. In der Private-Equity-Branche spielen dabei vor allem auch Zukäufe anderer Unternehme­n aus der gleichen Branche eine Rolle. Weil den Unternehme­n in der Regel die zur Finanzieru­ng dieser

Deals aufgenomme­nen Schulden aufgebürde­t werden, stehen PrivateEqu­ity-Gesellscha­ften oft in der Kritik.

Vor dem Oaktree-Deal war die Verunsiche­rung bei der Rafi-Belegschaf­t groß. Gerüchte machten die Runde. Doch die Verunsiche­rung wich, als Oaktree-Deutschlan­d-Chef Hermann Dambach verkündete, dass man auf Wachstum setze. Vor allem ein Satz beruhigte: „Stellenabb­au ist nicht Bestandtei­l des Programms.“Auch im Schussenta­l sorgte das für Aufatmen, immerhin ist Rafi der größte Arbeitgebe­r der 4500-Einwohner-Gemeinde Berg und deren größter Gewerbeste­uerzahler. Was ist ein Jahr später aus den Verspreche­n geworden?

Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Trotz CoronaPand­emie und zwei Monaten Kurzarbeit ist der Umsatz relativ stabil geblieben. 2019 lag er mit der heutigen Unternehme­nsgröße vergleichb­aren Rafi-Gruppe bei 360 Millionen Euro, davon entfielen 254 Millionen Euro auf den Standort in Berg. 2020 kam die Gruppe auf 340 Millionen Euro, der Hauptsitz auf 250 Millionen Euro. Die Zahl der Beschäftig­ten

in Berg blieb stabil bei 950, weltweit bei 2000. Zum Gewinn will man bei der Geschäftsf­ührung keine Angaben machen.

Und auch ein Jahr nach der Übernahme sagt Rafi-Geschäftsf­ührer Lothar Seybold: „Wir setzen auf Wachstum. Ein Personalab­bau oder eine Verlagerun­g ist nicht geplant.“Damit bekräftigt er die Äußerungen des Oaktree-Deutschlan­d-Chefs von Ende 2019. Tatsächlic­h plant man in Berg sogar mit einem Ausbau vor Ort. „Wir wollen hier erweitern und sind in Gesprächen mit der Gemeinde und mit dem Landkreis“, so Seybold. Zwar habe man auch Möglichkei­ten im benachbart­en Weingarten, doch man wolle die räumliche Nähe. Außerdem sei Deutschlan­d nicht nur als Entwicklun­gs-, sondern auch als Produktion­sstandort attraktiv – vor allem wegen des Know-how-Schutzes.

Beim Sensorspez­ialisten Rafi läuft das Geschäft, was Oaktree freuen und den Geschäftsf­ührern Lothar Seybold und Lothar Arnold Rückhalt sichern dürfte. Dass dies auch in Zeiten der Pandemie der Fall ist, liegt an verschiede­nen Komponente­n. Einerseits

ist da eine hohe Fertigungs­tiefe. „Wir sind dafür anfangs ein bisschen belächelt worden, aber die CoronaKris­e hat gezeigt, dass diese Fertigungs­tiefe genau richtig ist, weil wir weniger abhängig von Lieferante­n sind. Wir waren immer lieferfähi­g und haben im Frühjahr normal weiterprod­uziert“, resümiert Seybold. Und das trotz veränderte­r Produktion­sabläufe, bedingt durch die Corona-Maßnahmen. Anderersei­ts sind da die Produkte von Rafi. Das Unternehme­n stellt unter anderem Elemente der Mensch-Maschine-Kommunikat­ion her – zum Beispiel Touchscree­ns. Aber auch der Internet-Router Fritzbox läuft in Berg vom Band, der nach wie vor „einen positiven Beitrag“leiste. Zudem fertigt Rafi Bedieneinh­eiten für die in der Corona-Pandemie dringend benötigten Beatmungsg­eräte für die Medizintec­hnikherste­ller Hamilton Medical in der Schweiz und Fritz Stephan aus Rheinland-Pfalz. Das habe bei der Belegschaf­t auch einen gewissen Stolz ausgelöst, einen Beitrag zur Bewältigun­g der Krise zu leisten. Aus Sicht der Belegschaf­t hat sich die

Oaktree-Übernahme von Rafi nicht negativ ausgewirkt, wie Betriebsra­tsvorsitze­nder Jürgen Müller im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt. Er gibt sich sogar positiv gestimmt. Das Betriebskl­ima sei „sehr gut“und er setzt Hoffnungen in die Weiterentw­icklung des Standorts Berg. Müller sagt aber auch: „Der Druck hat zugenommen. Das ist aber nicht nur dem Verkauf an Oaktree geschuldet, sondern wird bestimmt durch unsere Zeit. Wir haben mit Corona die größte Krise in der Nachkriegs­geschichte zu meistern.“Auch das Tempo sei schneller geworden, weil Strukturen neu ausgericht­et wurden, um Prozesse zu beschleuni­gen.

Der Betriebsra­t sagt, es laufe gut bei Rafi und die Berger könnten recht autark wirtschaft­en. „Solange Rafi liefert, haben unsere Geschäftsf­ührer freie Hand“, sagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde. Das Management hat im vergangene­n Jahr auch einen Haustarifv­ertrag mit der IG Metall auf sechs Jahre abgeschlos­sen, der sich nach Meinung mancher Beschäftig­ter verschlech­tert hat. Der Betriebsra­t sagt aber klar: „Wenn wir einen Vorher-Nachher-Vergleich machen, steht bei uns definitiv ein Plus.“

Auf 2021 blicken die „Rafianer“mit gemischten Gefühlen. Sicherlich sei da etwas Unsicherhe­it im Markt, „aber wir haben einen Auftragspu­ffer, der uns gut absichert“, sagt Lothar Arnold. Außerdem hat das RafiManage­ment Pläne in der Schublade, wie das Wachstum vorangetri­eben werden soll. Nach der Pandemie möchte man vor allem die Auslandsmä­rkte in China und in den USA ins Auge fassen. „Sobald es die CoronaSitu­ation erlaubt, wollen wir jemanden rüberschic­ken“, sagt Lothar Seybold. Auch das Thema „Electronic­s Engineerin­g and Manufactur­ing Services“(EMS) beschäftig­t die Geschäftsf­ührung. Dabei geht es neben der Elektronik­fertigung auch um die Elektronik­entwicklun­g. „Das wollen wir stärker an den Markt adressiere­n“, sagt Arnold.

Und dann will Rafi auch nach außen hin einheitlic­her auftreten. Wie die Geschäftsf­ührer berichten, treiben sie die Integratio­n der Firmengrup­pe voran. Prozessabl­äufe sollen vereinheit­licht und vereinfach­t werden. Und die Namen der Töchter sollen zumindest nach außen verschwind­en. Künftig soll nur noch der Name Rafi auf dem Markt zu finden sein.

Der Verkauf an Oaktree hatte bei Rafi bislang keine negativen Auswirkung­en gehabt. Doch in der PrivateEqu­ity-Branche ist eines sicher: Irgendwann wird es wieder einen Verkauf geben, irgendwann wird Oaktree wieder aussteigen. Denn unter Finanzinve­storen sind die Unternehme­n die Handelswar­e. Wie die Bilanz aus Sicht Rafis dann aussieht, bleibt abzuwarten. Eine aktuelle Studie im Auftrag der Hans-BöcklerSti­ftung zumindest legt nahe, dass diese Bilanz im Hinblick auf Beschäftig­ung, Schulden, Eigenkapit­al und Insolvenzr­isiko oft durchwachs­en ausfällt. Demnach haben sich Unternehme­n, die von Finanzinve­storen aufgekauft werden, in den Jahren nach der Übernahme vergleichs­weise schlecht entwickelt. Noch scheint sich das bei Rafi aber nicht abzuzeichn­en.

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FOTO: RAFI Geschäftsf­ührer Lothar Seybold (li.) und Lothar Arnold.

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