Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Justitias Kampf mit dem Coronavirus
Wie das Amtsgericht Ehingen den Betrieb trotz der weltweit grassierenden Pandemie aufrecht erhält
EHINGEN - Den „Corona-Stau“hat das Amtsgericht Ehingen zwar inzwischen weitestgehend abgearbeitet. Trotzdem beeinflusst die Pandemie die Arbeit der Justiz weiterhin Tag für Tag. Und weil nach wie vor viele Prozesstermine aufgeschoben werden müssen, wird Corona das Amtsgericht auch weiterhin beschäftigen. Bald kommen außerdem noch etliche Verfahren im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Corona-Verordnung dazu. Was hat sich im Alltag genau verändert, welche Verhandlungen werden bis auf Weiteres verschoben und welche Delikte werden aufgrund der Pandemie seltener vor Gericht behandelt? Wolfgang Lampa, Richter und Direktor des Amtsgerichts, gibt einen Einblick.
Auch im Amtsgericht müssen einige Regeln beachtet werden: Maskenpflicht, Abstand halten, regelmäßiges Desinfizieren. Was auf den ersten Blick nach leicht umzusetzenden Maßnahmen klingt, hat aber große Auswirkungen auf den Betrieb. Denn damit einher gehen Einschränkungen bei den Verhandlungen, wie etwa weniger zugelassene Zuschauer, mehr Abstand zwischen den Parteien bei der Verhandlung und aufgrund der Maskenpflicht eine eingeschränkte Kommunikation. „Präsenzverhandlungen finden bei uns nur statt, wenn es sicher im Sinne der Verordnungen ist. Da muss man sehr feinfühlig vorgehen“, erklärt Lampa.
Während im aktuellen Lockdown die Richter nach eigenem Ermessen über das Stattfinden einer Verhandlung entscheiden sollen, legte das Justizministerium im ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr klarere Vorgaben fest. „Wir durften Verhandlungen nicht mehr durchführen und die Belegschaft ist sich so gut wie nie begegnet“, erinnert sich Wolfgang Lampa. Die aktuelle „Freiheit“, selbst zu entscheiden, ob eine Verhandlung nun angesetzt werden kann oder nicht, sei Fluch und Segen zugleich. „Auf der einen Seite haben wir da nun einen größeren Spielraum. Auf der anderen Seite schiebt man im Falle des Falls mir den Schwarzen Peter zu“, so Lampa. Verhandlungen in Zivilsachen, so erklärt der Richter, könnten aufgrund der aktuellen Lage auch einfach auf den schriftlichen Weg verlagert werden.
„In Strafsachen ist das jedoch nicht möglich, man muss die jeweiligen Parteien dafür anhören“, betont Wolfgang Lampa. In Strafsachen nämlich sei die Sachlage oft nicht klar, es gebe viele Nachfragen, und vor allem müsse sich der Richter einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten machen. „Und über eine Videoschalte kann ich das kaum. Die Anwesenheit bei der Verhandlung ist also absolut erforderlich“, betont er.
Das wiederum heißt aber auch, das Lampa Verhandlungen auf unbestimmte Zeit verschieben muss. Denn vor allem bei Prozessen mit mehreren Beteiligten, beispielsweise bei einer Schlägerei auf einer Party mit vielen Zeugen und Angeklagten, könne der Abstand im Sitzungssaal nicht eingehalten werden. „Das sind bei mir fünf bis acht Verhandlungen, die ich deshalb nun schon mehrmals verschieben musste“, erzählt der Richter. Eine überschaubare Zahl. Da hätten andere Gerichte schon mehr mit dem „Corona-Stau“zu kämpfen, der sich vor allem aufgrund des ersten Lockdowns und dem kompletten Stillstand bei den
Verhandlungen im Frühjahr 2020 gebildet hat.
Doch auch abseits des Sitzungssaals hat Corona die Arbeit im Amtsgericht stark beeinflusst. Homeoffice ist für die Richter und Mitarbeiter dabei nicht möglich, denn noch werden die Akten analog verwaltet. „Diese ganzen Akten mit nachhause zu schleppen, würde keinen Sinn machen“, sagt Wolfgang Lampa. Deshalb wird seit des ersten Lockdowns zeitversetzt gearbeitet oder auf andere Räume ausgewichen, damit sich die Mitarbeiter nicht begegnen. Außerdem wurden Schutzwände aufgestellt. Für die aktuelle Situation von Vorteil ist auch das neue Besuchersystem im Amtsgericht, das unabhängig von der Pandemie geplant war. „Wir haben seit Kurzem eine Pforte, bei der sich jeder Besucher vorab melden muss. Das wurde in erster Linie aufgrund von Sicherheitsgründen eingeführt“, so Lampa.
Dass die Pandemie auch Auswirkungen auf zu verhandelnde Straftaten selbst hat, davon geht Wolfgang Lampa schon jetzt aus. „Gelegenheit macht Diebe – beziehungsweise den
Wolfgang Lampa, Richter und Direktor am Amtsgericht Ehingen
Täter. Zu Beginn der Pandemie habe ich das noch scherzhaft gesagt, aber da ist sicherlich etwas dran. Dass die Leute aufgrund des Lockdowns eher zuhause sind, sorgt sicher dafür, dass es weniger Einbrüche gibt.“
Das gelte auch für Körperverletzungen, die oft in Verbindung mit Menschen unter Alkoholeinfluss stünden, sprich: Partys und feuchtfröhliche Abende in Kneipen. Beides Anlässe, die es seit vielen Monaten schon nicht mehr gibt. „Dass es keine Bierfeste gibt und die Diskotheken geschlossen sind, sorgt sicher dafür, dass Schlägereien weniger geworden sind“, erklärt Lampa.
Doch wo auf der einen Seite Straftaten weniger werden, nehmen auf einer anderen Seite meist andere zu. Und das könnten schon bald die Verstöße gegen die Corona-Verordnung sein. Bis beispielsweise ein Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen aber tatsächlich einmal vor dem Amtsgericht Ehingen landet, kann das einige Zeit dauern. Lampa begründet das mit einem langwierigen Verfahren, das zwischen dem eigentlichen Verstoß und der Verhandlung stehe. Dass sich der Richter in naher Zukunft aber genau mit diesen Verstößen beschäftigen wird, sei absehbar. „Momentan gelten massive Einschränkungen, gegen die entsprechend verstoßen wird“, so Lampa.
Die Pandemie kann eine Verhandlung darüber hinaus beeinflussen, bevor sie überhaupt stattfinden kann. Da der Schutz vor einer Infektion an erster Stelle steht, kann ein Angeklagter natürlich nicht vor das Gericht gezwungen werden, wenn er am Tag der Verhandlung der Quarantänepflicht unterliegt. Auch dann muss eine Verhandlung natürlich verschoben werden. Und dieser Fall ist in den vergangenen Wochen auch schon das ein oder andere Mal in Ehingen vorgekommen. Ob ein Angeklagter die Quarantäne dabei auch mal als Ausrede nutzt, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen? Lampa sieht hier keine große Gefahr, dass diese Pflicht ausgenutzt werde. „Der Angeklagte sollte im Nachhinein eine entsprechende Bescheinigung vorlegen“, betont er.
Was eine Präsenz-Verhandlung aktuell auch erschwert: die Masken. Denn man verstehe sowohl den Angeklagten schlechter als auch die anderen Parteien in der Verhandlung – vor allem, wenn sie dann auch noch weiter voneinander entfernt sitzen müssen aufgrund der Abstandsregelungen. Außerdem gehe damit auch ein großer und für den Richter entscheidender Teil der Mimik des Angeklagten verloren, der einen wichtigen Eindruck vermittelt. Richter Lampa lässt die Anwesenden in seinen Verhandlungen deshalb selbst entscheiden, ob sie die Maske tragen wollen, solange zumindest der Abstand deutlich eingehalten wird.
„Präsenzverhandlungen finden bei uns nur statt, wenn es sicher im Sinne der Verordnungen ist. Da muss man sehr feinfühlig vorgehen“