Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Primäres Ziel wäre erreicht“
Virologe Thomas Mertens über den Sinn der Impfungen
RAVENSBURG - Im Kampf gegen die weltweite Corona-Pandemie spielen die Impfungen gegen das Virus eine wichtige Rolle. Doch offenbar schützt das Vakzin nicht davor, sich mit Sars-CoV-2 anzustecken, wie der Fall eines Seniorenheims im Landkreis Osnabrück zeigt. Warum eine Impfung trotzdem wichtig ist und warum man danach nicht alle Schutzmaßnahmen beenden sollte, erklärt der Virologe Professor Thomas Mertens im Gespräch mit Daniel Hadrys.
In einem niedersächsischen Altenheim sind 14 Bewohner positiv auf die britische Coronavirus-Variante getestet worden. Diese Bewohner jedoch hatten ihre zweite Impfung bereits erhalten. Wie ist das zu erklären?
Ich habe oft betont, dass es sehr wichtig ist, stets zwischen Infektion und Erkrankung zu unterscheiden. Wir wissen bislang nicht, ob die Impfstoffe nur vor Erkrankung oder auch vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 schützen. Das hängt damit zusammen, dass bei den
Zulassungsstudien nur geprüft wurde, ob die Impfstoffe vor Erkrankung schützen. Dieses noch fehlende Wissen ist auch der Grund, warum Geimpfte nicht sofort die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung von Ansteckungen aufgeben sollen. Die Tatsache, dass sich die Heimbewohner nach der vollständigen Impfserie noch anstecken konnten, spricht also nicht für ein Versagen des Impfstoffes, solange keine schweren Erkrankungen bei den Betroffenen auftreten.
Beobachtet wurden asymptomatische oder leichte Verläufe. Könnte das bedeuten: Vor einer Infektion mit der Mutante schützt der Impfstoff von Biontech/Pfizer nicht, wohl aber vor einer schweren Covid-19-Erkrankung?
Genau so ist es und damit wäre auch das primäre Ziel der Impfung erreicht, nämlich der Schutz vor erheblicher Erkrankung. Wenn alle 14 infizierten Bewohner nicht erkranken würden, entspräche dies einem 100-prozentigen Schutz in dieser kleinen Gruppe.