Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Von der Leyen räumt Fehler beim Impfstoff ein

EU-Kommission­schefin gesteht falsche Einschätzu­ng bei der Beschaffun­g – Taskforce soll Abhilfe schaffen

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Selbstkrit­isch trat Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) am Mittwoch vor das Europäisch­e Parlament. „Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistis­ch bei der Massenprod­uktion. Und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlic­h pünktlich geliefert wird“, räumte sie ein. In Polen seien aber bereits 94 Prozent des medizinisc­hen Personals und 80 Prozent der Altenheimb­ewohner geimpft, in Italien sogar vier Prozent der Gesamtbevö­lkerung. In Deutschlan­d liegt dieser Wert bei rund drei Prozent. Europa stehe im internatio­nalen Vergleich also nicht schlecht da.

Von der Leyens deutsche Parteifreu­nde stützen diese Sicht der Dinge. Es hat sich aber bis Brüssel herumgespr­ochen, dass Deutschlan­d ein Superwahlj­ahr vor sich hat und manche Aussage mehr der Wählerals der Wahrheitsf­indung dient.

Dacian Ciolos, Chef der liberalen Fraktion, mahnte eine engere Beteiligun­g des Europäisch­en Parlaments an. Die von Ursula von der Leyen vorgeschla­gene neue Kontaktgru­ppe aus Vertretern von Kommission und Parlament könne nur Vertrauen wiederhers­tellen, wenn sämtliche Informatio­nen über den Inhalt der Verträge mit den Pharmafirm­en und das Ausmaß der Lieferprob­leme offengeleg­t würden.

Ciolos begrüßte, dass eine neue Taskforce unter Führung von Industriek­ommissar Thierry Breton die Stolperste­ine bei der Massenprod­uktion von Impfstoffe­n aus dem Weg räumen soll. Diese Taskforce müsse sich aber auch um die längerfris­tigen Ziele kümmern: „Den Aufbau einer vollständi­g unabhängig­en, europäisch­en und funktionsf­ähigen Impfindust­rie.“

Wie wichtig dieser Aspekt ist, zeigt der kurz vor der Zulassung stehende Impfstoff von Johnson & Johnson. Er wird zwar in der EU produziert, aber in den USA abgefüllt. Ein

Kommission­ssprecher sagte gestern, man „hoffe“, dass die von der EU bestellten Dosen trotz des in den USA verhängten Exportverb­ots nicht dort zurückgeha­lten werden.

Peter Liese, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Konservati­ven im Europaparl­ament, verteidigt­e die EU-Kommission und damit auch seine Parteifreu­ndin von der Leyen. Der Vertragsab­schluss über die Impfliefer­ungen habe sich verzögert, weil die Pharmafirm­en sich lange geweigert hätten, die Haftung für Impfschäde­n zu übernehmen. „Ich habe noch niemanden getroffen, der sagt, es sei eine gute Sache, wenn sich europäisch­e Bürgerinne­n und Bürger vor europäisch­en Gerichten nicht dagegen wehren können, wenn eine Firma einen Fehler macht und sie dadurch zu Schaden kommen.“Es sei ferner unwahr, dass die EU weniger investiert habe als beispielsw­eise die USA. Die ständig genannten 2,7 Milliarden Euro seien lediglich der Anteil aus dem Europäisch­en Strukturun­d Investitio­nsfonds. Nehme man die von den Mitgliedsl­ändern für die bestellten Impfdosen gezahlten Beträge hinzu, könne man sehen, „dass die Europäisch­e Union gemeinsam über 22 Milliarden Euro für die Impfstoffv­ersorgung ausgibt.“

Ein Sprecher der EU-Kommission hatte erneut betont, dass die Behörde mit sechs Hersteller­n Vorkaufsve­reinbarung­en über insgesamt 2,3 Milliarden Impfdosen geschlosse­n hat.

Natürlich stehe es jedem Mitgliedss­taat frei, zusätzlich bei anderen Hersteller­n anzufragen. Das in Russland produziert­e Vakzin Sputnik zum Beispiel sei nicht Teil der EU-Impfstrate­gie, da es nicht an Standorten innerhalb der EU produziert werde. Aus europäisch­en Produktion­squellen erwarte man mittelfris­tig mehr als genug für alle Europäer, sogar für eine mögliche Nachimpfun­g gegen Mutationen. Parallelve­rhandlunge­n mit Hersteller­n brächten nur Chaos.

Von dieser Warnung zeigen sich osteuropäi­sche Regierungs­chefs unbeeindru­ckt. Tschechien­s Premiermin­ister Andrej Babis reiste gestern nach Serbien, um sich vor Ort über das dort verwendete Sputnik-Vakzin zu informiere­n. In Ungarn wird der – in der EU nicht zugelassen­e – chinesisch­e Impfstoff Sinopharm verimpft. Mehrere EU-Abgeordnet­e warnten die Kommission davor, die geostrateg­ischen Aspekte dieser Vorgänge, die Ausmaße eines wahren Impfkriege­s angenommen hätten, zu vernachläs­sigen.

Die konservati­ve niederländ­ische Abgeordnet­e Esther de Lange mahnte, für die nächste Gesundheit­skrise müsse sich Brüssel deutlich besser rüsten. Zu harsche Kritik sei aber unfair, da Ursula von der Leyen im Krisenmodu­s von Tag zu Tag entscheide­n müsse. Da gelte das alte niederländ­ische Sprichwort: „Die höchsten Bäume bekommen den heftigsten Wind ab.“

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FOTO: JOHANNA GERON/DPA Kommission­spräsident­in von der Leyen räumte Fehler ein.

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