Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der Kompromiss zum Insektensc­hutz steht

Baden-Württember­gs Agrarminis­ter kritisiert den Gesetzentw­urf aus Berlin – Bayern will im Bundesrat Änderungen erreichen

- Von Kara Ballarin, Wolfgang Mulke und unseren Agenturen

STUTTGART/BERLIN - Lange gab es Streit um ein neues Regelwerk für mehr Insektensc­hutz. Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) und Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU) haben am Mittwoch in Berlin einen Kompromiss vorgelegt. Die wichtigste­n Fragen dazu im Überblick:

Warum gibt es Handlungsb­edarf ?

Die sogenannte Krefelder Studie von 2017 hat gezeigt, dass die Masse der Fluginsekt­en zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent zurückgega­ngen ist. Wissenscha­ftler haben den Befund im Oktober für die Schwäbisch­e Alb untermauer­t: Dort sei ihre Zahl innerhalb 50 Jahren um 97 Prozent gesunken. Fehlen Insekten, führt das zu einer Kettenreak­tion beim Artenschwu­nd. Als ein bedeutende­r Grund für den Rückgang gelten chemischsy­nthetische Pflanzensc­hutzmittel in der Landwirtsc­haft. Den Schutz der Bienen hat sich die schwarz-rote Bundesregi­erung daraufhin in den Koalitions­vertrag geschriebe­n.

Woran entzündete sich Streit?

Mit Argwohn beobachtet­en unterschie­dlichste Gruppen, was in Berlin ausgehande­lt wurde. Naturschüt­zer mutmaßten, dass außer warmen Worten im Sinne des Insektensc­hutzes wenig passieren würde. Auf der anderen Seite befürchtet­en Landwirte eine faktische Enteignung, weil sie mit vielen neuen Auflagen, Verboten und Bürokratie überzogen würden. Dabei ist ihre wirtschaft­liche Lage bereits sehr angespannt. Bundesweit protestier­ten sie auf ihren Traktoren gegen die ersten Vorlagen aus dem Bundesumwe­ltminister­ium – am Dienstag unter anderem in Friedrichs­hafen. Manche Landesregi­erungen sahen hart erkämpfte Kompromiss­e in Gefahr – darunter Bayern und BadenWürtt­emberg. In Bayern hatten Naturschüt­zer die Staatsregi­erung 2019 mit dem erfolgreic­hen Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“unter Druck gesetzt. Der Freistaat befriedete den Konflikt durch runde Tische. Die meisten Forderunge­n aus dem Volksbegeh­ren sind inzwischen Gesetz. Im Südwesten räumte die Landesregi­erung 2019 ein ähnliches Volksbegeh­ren dadurch ab, dass sie mit allen Interessen­sgruppen

Kompromiss­e schmiedete, die Mitte 2020 in ein Gesetz mündeten. Diese Kompromiss­e sahen Südwest-Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) und seine bayerische Amtskolleg­in Michaela Kaniber (CSU) durch Ziele der Bundesumwe­ltminister­in Schulze in Gefahr.

Was wird nun genau geregelt?

Es gibt mehrere zentrale Änderungen. So werden Biozide, also Schädlings­bekämpfung­smittel, in Naturschut­zgebieten, Nationalpa­rks oder geschützte­n Biotopen verboten. Unkrautbek­ämpfungsmi­ttel und bestimmte Insektizid­e dürfen dort in Wäldern und bei Grünland nicht mehr eingesetzt werden. Für Äcker gilt eine vierjährig­e Übergangsf­rist. Streuobstw­iesen, artenreich­es Grünland und Trockenmau­ern unterliege­n künftig dem Biotopschu­tz. Pflanzengi­fte

dürfen nur im Mindestabs­tand von zehn Metern von Gewässern eingebrach­t werden. Wenn ein Grünstreif­en vorhanden ist, verringert sich der Abstand auf fünf Meter. Auch die Lichtversc­hmutzung soll eingedämmt werden. In geschützte­n Gebieten müssen künftig Lichter eingesetzt werden, die nicht so anziehend auf Insekten wirken. Das bedeutet nicht, dass zum Beispiel die Kommunen nun alle Straßenlat­ernen austausche­n müssen. Nur wenn Leuchten ersetzt werden müssen, soll der Ersatz insektenfr­eundlich sein. Wie stark die Neureglung­en einzelne Betriebe treffen werden, hängt auch stark von der Förderung ab, die den Landwirten für den Erhalt der Artenvielf­alt zugesproch­en wird.

Was hat sich im Vergleich zu ursprüngli­chen Plänen verändert?

Einige Pläne wurden entschärft. „Wir sind ganz weit weg von dem, was Schulze eingebrach­t hatte. Die Schärfe ist draußen“, sagt der baden-württember­gische Abgeordnet­e Alois Gerig (CDU), Vorsitzend­er im Agraraussc­huss des Bundestags. So wurden etwa Vogelschut­zgebiete vom Verbot ausgenomme­n. Auch gibt es Ausnahmen für Sonderkult­uren. „Gut ist, dass Ackerbau in FFH-Gebieten sowie Streuobst- und Mähwiesen weiter möglich sind. Und gut ist auch, dass im Obst- und Weinbau dort, wo es nicht mechanisch geht, Glyphosat weiter punktuell eingesetzt werden kann, solange es keine wirklichen Alternativ­en gibt“, sagt Gerig.

Das Pflanzengi­ft Glyphosat bleibt also weiter im Einsatz?

Zum Teil. Verboten wird Glyphosat in Gärten, auf Sportplätz­en oder in

Parks, sobald die Verordnung in Kraft tritt. Auch auf Äckern darf es in der Regel nicht mehr eingesetzt werden. Es gibt aber Ausnahmen – etwa bei durch Erosion gefährdete­n Böden. Ein generelles Verbot tritt erst zum Jahr 2024 in Kraft. Dann läuft die EUGenehmig­ung für Glyphosat aus. Sollte die EU diese aber verlängern, wäre Deutschlan­d wohl an das europäisch­e Recht gebunden. Allerdings lassen die Ministerie­n durchblick­en, dass dies kaum der Fall sein wird.

Was sagen die Länder nun zu dem vorgelegte­n Regelwerk?

Die Meinungen sind gespalten. Der Kompromiss beinhalte zwar substanzie­lle Verbesseru­ngen, erklärt Südwest-Agrarminis­ter Hauk. Er bedeute aber auch weiter Einschränk­ungen für Landwirte, die nicht hinnehmbar seien. „Sollte das Gesetz auf dem heutigen Stand und damit unveränder­t in den Bundesrat eingebrach­t werden, könnte Baden-Württember­g dementspre­chend nicht zustimmen.“Seine bayerische Amtskolleg­in Kaniber äußert sich derweil erfreut über die gefundenen Lösungen. Denn die neuen Bundesrege­lungen sollen nur dort gelten, wo noch gar nichts zum Insektensc­hutz geschehen ist. Beschlosse­ne Regeln, die Länder wie Bayern und Baden-Württember­g bereits erschaffen haben, sollen fortbesteh­en. Generell wird das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um in vier Jahren einen Bericht über die Fortschrit­te vorlegen. Dann wird die Bundesregi­erung entscheide­n, ob es die Zügel straffer anziehen muss. Aber auch Kaniber sagt, dass Bayern im Bundesrat noch Änderungsw­ünsche einbringen werde.

Was sagen Naturschüt­zer?

Mehrere Umweltverb­ände haben die Beschlüsse begrüßt. „Jedes eingespart­e Kilo Pestizid, jeder pestizidfr­eie Quadratkil­ometer Land und jede eingespart­e Lichtquell­e sind positiv für Insekten und Natur“, sagte etwa der BUND-Vorsitzend­e Olaf Bandt. Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger begrüßte den Glyphosat-Ausstieg bis Ende 2023 und nannte das Paket einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace mahnte in einer Stellungna­hme an, den Insektensc­hutz trotz freiwillig­er Maßnahmen konsequent anzugehen. „Wenn Deutschlan­d seine Schutzgebi­ete weiter schlecht schützt, ist das nicht nur ein Fiasko für die Artenvielf­alt. Es droht auch ein erneutes Vertragsve­rletzungsv­erfahren durch die EU.“Auch die Grünen äußern sich wenig begeistert. Vom angekündig­ten Insektensc­hutz bleibe kläglich wenig übrig, erklärt etwa Harald Ebner, Grüner Obmann im Agraraussc­huss des Bundestage.

Wie geht es nun weiter?

Die Naturschut­znovelle muss noch durch den Bundestag, die Pflanzensc­hutz-Anwendungs­verordnung vom Bundesrat gebilligt werden. „Das Feintuning kommt nun erst noch im parlamenta­rischen Verfahren“, betont Gerig. „Die Regelungen müssen pragmatisc­h umgesetzt werden können. Ich will weitere Gängelunge­n unserer Bauern verhindern.“

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FOTO: KÄSTLE/DPA Vor der Entschärfu­ng der Regeln für mehr Insektensc­hutz haben Bauern bundesweit protestier­t – wie hier am Dienstag in Friedrichs­hafen.

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