Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Millionen für die Brennstoffzelle
Südwesten fördert in Ulm eine Fabrik zur Erforschung der Massenproduktion – Hoffnung auf Tausende Jobs
ULM - Die Deutschen haben zwar das Auto erfunden, beim Batterieantrieb allerdings fahren sie aktuell hinterher. Doch nun wittert die hiesige Branche eine zweite Chance. Denn der Wasserstoffantrieb verspricht, was Politik und Kunden von den Fahrzeugen von morgen erwarten: Sie dürfen kein CO2 ausstoßen.
In Ulm wurde am Mittwoch der Grundstein für die europaweit erste Forschungsfabrik rund um die Brennstoffzelle gelegt. Sie ist das Herzstück eines Wasserstofffahrzeugs. Vom Ulmer Eselsberg aus soll die Brennstoffzelle in Serie gehen. Doch so groß die Freude bei den Verantwortlichen darüber ist, machen sie auch klar: Die deutsche Industrie kann es sich nicht leisten, ein zweites Mal bei einer Zukunftstechnologie abgehängt zu werden.
„Das muss flutschen“, sagt Professor Markus Hölzle über die Fabrik, in der ab übernächstem Sommer zwei Dutzend Experten an bis zu 40 Testständen tüfteln sollen. Hölzle hat den Hut auf. Er ist der Leiter des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung, kurz ZSW, das in Ulm federführend die Forschungsfabrik betreiben wird.
Vor allem diese Frage wollen die Wissenschaftler gemeinsam mit der Industrie beantworten: Wie lassen sich Brennstoffzellen in großen Stückzahlen günstig herstellen? Das ist derzeit das Hauptproblem, denn die Technik als solche funktioniert. Wasser wird mithilfe von Strom – am besten grünem Strom aus Wind und Sonne – aufgespalten in Sauerstoff und Wasserstoff, den Letzteren tanken dann Fahrzeuge. In der Brennstoffzelle im Auto reagiert der Wasserstoff mit dem Sauerstoff aus der Luft als Oxidationsmittel – die Reaktionsenergie wird in Strom umgewandelt, der das Auto antreibt. Als Emission entsteht Wasser.
Doch: Egal ob Hyundai oder Toyota, die beiden auf diesem Feld derzeit führenden Autokonzerne, oder andere Firmen, die mit Brennstoffzellen einmal Geld verdienen möchten und hohe Summen in die Forschung stecken – es sei noch keinem gelungen, sagt Hölzle, einen Industriestandard zu definieren, wie Brennstoffzellen
„am Band“hergestellt werden können. Hier stecke die Branche in einer Art vorindustriellem Zeitalter.
Derzeit werden die Zellen quasi in Handarbeit hergestellt und verbaut, „wie in einer Manufaktur“, sagt Hölzle. Die Stückzahlen des aktuell erfolgreichsten Wasserstoffautos lesen sich entsprechend: Gerade einmal 30 000mal soll die zweite Generation des Mirai von Toyota ab diesem Frühjahr jährlich vom Band laufen. Mehr als 60 000 Euro soll er kosten. Der Hyundai, mit dem ein Kollege von ZSW-Chef Hölzle zum Spatenstich vorgefahren ist, kostet schlappe 80 000 Euro. Noch lasse sich mit Brennstoffautos kein Geld verdienen, sagt Hölzle. Die Autohersteller würden draufzahlen.
Die Forschungsfabrik soll dies ändern. Und profitieren sollen in erster Linie Firmen aus dem „Ländle“. Denn es seien vor allem Firmen aus BadenWürttemberg, die bei Wasserstoff und Brennstoffzelle in Deutschland den Takt vorgeben. Hölzle nennt
Bosch, Daimler, die Firma Freudenberg, ElringKlinger und Iveco. Letztere will ab 2023 von Ulm aus Lastwagen mit Brennstoffzelle in Serie auf die Straßen schicken.
Mit zehn Millionen Euro sponsert das Land die Fabrik. Damit trage man maßgeblich „zum Markthochlauf“der Technologie bei, teilt LandesWirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU)mit. Der Bund will später 30 Millionen Euro zuschießen.
Das Konzept der „Fabrik“soll ein offenes sein. Nicht nur für Konzerne. Hölzle sieht große Chancen auch für kleinere und mittelständische Betriebe aus dem Südwesten, die derzeit als Zulieferer noch am Verbrennermotor hängen.
Denn der Abgesang auf Diesel & Co. ist nicht mehr zu überhören. EUVerordnungen verlangen die sukzessive Absenkung der CO2-Emissionen. Bis 2050 strebt die EU Klimaneutralität an – und somit auch eine CO2-freie
Mobilität. Wer nur auf konventionelle Motoren setzt, geht unter. Tausende Jobs stehen auf dem Spiel.
Und viel Zeit zum Umsteuern bleibt nicht mehr. „Schnelligkeit zählt mehr denn je“, sagt Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch. Er ist stolz, dass seine Stadt den Zuschlag bekommen hat. Den baureifen Grund stellt Ulm dem ZSW kostenlos zur Verfügung. Die Fabrik könne großen Anteil daran haben, dass Deutschland und im Speziellen der Südwesten wieder da hinkommen, wo man sich am wohlsten fühle: „An die Spitze.“
Was in der Fabrik genau „erforscht“wird? Die automatisierten Fertigungs- und Qualitätssicherungsverfahren einer späteren Massenproduktion. In Ulm sollen Lösungen gefunden werden, wie Brennstoffzellen-Fabriken aussehen müssen. Damit diese in naher Zukunft in Deutschland und Europa hochgezogen werden. Und nicht wieder zuerst in Asien, wie im Fall der Fabriken für
Batteriezellen. Hölzle ist optimistisch: „Das wird der Fall sein.“Doch er warnt. Die Asiaten hätten „einen langen Atem“. Es sei „eine Kunst“, bei Technologien voranzugehen, wenn man als Hersteller noch draufzahle.
Das Heikle bei Brennstoffzellen: Sie müssen ständig mit Treibstoff gefüttert werden. Zudem ist Wasserstoff brennbar; und auch der Umgang mit dem Wasser, das eine Brennstoffzelle gebiert, sei nicht ganz ohne, sagt Hölzle. Wasser kann bekanntlich schnell gefrieren. Herausforderung bei der Brennstoffzellen-Produktion ist außerdem die Hygiene.
Wie der Wasserstoff an die Tankstellen kommt? Passenderweise hat das Bundeskabinett ebenfalls am Mittwoch im Zuge der deutschen Wasserstoff-Strategie Regelungen für den Aufbau eines Wasserstoff-Netzes auf den Weg gebracht. Auch Erdgasleitungen sollen genutzt werden.
Die größten Wasserstoff-Hoffnungen ruhen auf dem Einsatz in Lastern. Gegenüber Batterien haben Brennstoffzellen den Vorteil: Sie sind deutlich leichter – und der Wasserstoff wird getankt. Wie bisher schon der Diesel. Doch das war nicht immer so. Hölzle erinnert an das erste echte Wasserstoffauto der Welt. Auch dieses habe das Licht der Welt in Ulm erblickt, 1994 der Mercedes-Benz Necar. Der umgebaute Lieferwagen steht heute im Mercedes-Museum in Stuttgart. Seine Brennstoffzellen füllen den gesamten Laderaum aus. Denkbar ist der Einsatz von modernen Brennstoffzellen künftig nicht nur in Lastern, Bussen oder Autos. Auch Schiffe oder Flugzeuge könnten so angetrieben werden.
Ein Riesenmarkt. Hölzle sieht ein Potenzial von 16 000 neuen Jobs allein in Baden-Württemberg. Und in Ulm wird der industrielle Leuchtturm errichtet. „Ein Meilenstein“, sagt Christian Mohrdieck, der Leiter Brennstoffzellen-Entwicklung bei Daimler. Dessen Rechnung geht so: Wasserstoff-Fahrzeuge schaffen den Durchbruch bei hohen Stückzahlen und wenn es gleichzeitig gelingt, die Kosten der energieintensiven Herstellung von Wasserstoff zu halbieren, dann würden Autos mit Brennstoffzellen so viel kosten wie ein heutiger Diesel. „Oder vielleicht sogar weniger.“