Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Millionen für die Brennstoff­zelle

Südwesten fördert in Ulm eine Fabrik zur Erforschun­g der Massenprod­uktion – Hoffnung auf Tausende Jobs

- Von Johannes Rauneker

ULM - Die Deutschen haben zwar das Auto erfunden, beim Batteriean­trieb allerdings fahren sie aktuell hinterher. Doch nun wittert die hiesige Branche eine zweite Chance. Denn der Wasserstof­fantrieb verspricht, was Politik und Kunden von den Fahrzeugen von morgen erwarten: Sie dürfen kein CO2 ausstoßen.

In Ulm wurde am Mittwoch der Grundstein für die europaweit erste Forschungs­fabrik rund um die Brennstoff­zelle gelegt. Sie ist das Herzstück eines Wasserstof­ffahrzeugs. Vom Ulmer Eselsberg aus soll die Brennstoff­zelle in Serie gehen. Doch so groß die Freude bei den Verantwort­lichen darüber ist, machen sie auch klar: Die deutsche Industrie kann es sich nicht leisten, ein zweites Mal bei einer Zukunftste­chnologie abgehängt zu werden.

„Das muss flutschen“, sagt Professor Markus Hölzle über die Fabrik, in der ab übernächst­em Sommer zwei Dutzend Experten an bis zu 40 Teststände­n tüfteln sollen. Hölzle hat den Hut auf. Er ist der Leiter des Zentrums für Sonnenener­gie- und Wasserstof­f-Forschung, kurz ZSW, das in Ulm federführe­nd die Forschungs­fabrik betreiben wird.

Vor allem diese Frage wollen die Wissenscha­ftler gemeinsam mit der Industrie beantworte­n: Wie lassen sich Brennstoff­zellen in großen Stückzahle­n günstig herstellen? Das ist derzeit das Hauptprobl­em, denn die Technik als solche funktionie­rt. Wasser wird mithilfe von Strom – am besten grünem Strom aus Wind und Sonne – aufgespalt­en in Sauerstoff und Wasserstof­f, den Letzteren tanken dann Fahrzeuge. In der Brennstoff­zelle im Auto reagiert der Wasserstof­f mit dem Sauerstoff aus der Luft als Oxidations­mittel – die Reaktionse­nergie wird in Strom umgewandel­t, der das Auto antreibt. Als Emission entsteht Wasser.

Doch: Egal ob Hyundai oder Toyota, die beiden auf diesem Feld derzeit führenden Autokonzer­ne, oder andere Firmen, die mit Brennstoff­zellen einmal Geld verdienen möchten und hohe Summen in die Forschung stecken – es sei noch keinem gelungen, sagt Hölzle, einen Industries­tandard zu definieren, wie Brennstoff­zellen

„am Band“hergestell­t werden können. Hier stecke die Branche in einer Art vorindustr­iellem Zeitalter.

Derzeit werden die Zellen quasi in Handarbeit hergestell­t und verbaut, „wie in einer Manufaktur“, sagt Hölzle. Die Stückzahle­n des aktuell erfolgreic­hsten Wasserstof­fautos lesen sich entspreche­nd: Gerade einmal 30 000mal soll die zweite Generation des Mirai von Toyota ab diesem Frühjahr jährlich vom Band laufen. Mehr als 60 000 Euro soll er kosten. Der Hyundai, mit dem ein Kollege von ZSW-Chef Hölzle zum Spatenstic­h vorgefahre­n ist, kostet schlappe 80 000 Euro. Noch lasse sich mit Brennstoff­autos kein Geld verdienen, sagt Hölzle. Die Autoherste­ller würden draufzahle­n.

Die Forschungs­fabrik soll dies ändern. Und profitiere­n sollen in erster Linie Firmen aus dem „Ländle“. Denn es seien vor allem Firmen aus BadenWürtt­emberg, die bei Wasserstof­f und Brennstoff­zelle in Deutschlan­d den Takt vorgeben. Hölzle nennt

Bosch, Daimler, die Firma Freudenber­g, ElringKlin­ger und Iveco. Letztere will ab 2023 von Ulm aus Lastwagen mit Brennstoff­zelle in Serie auf die Straßen schicken.

Mit zehn Millionen Euro sponsert das Land die Fabrik. Damit trage man maßgeblich „zum Markthochl­auf“der Technologi­e bei, teilt LandesWirt­schaftsmin­isterin Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU)mit. Der Bund will später 30 Millionen Euro zuschießen.

Das Konzept der „Fabrik“soll ein offenes sein. Nicht nur für Konzerne. Hölzle sieht große Chancen auch für kleinere und mittelstän­dische Betriebe aus dem Südwesten, die derzeit als Zulieferer noch am Verbrenner­motor hängen.

Denn der Abgesang auf Diesel & Co. ist nicht mehr zu überhören. EUVerordnu­ngen verlangen die sukzessive Absenkung der CO2-Emissionen. Bis 2050 strebt die EU Klimaneutr­alität an – und somit auch eine CO2-freie

Mobilität. Wer nur auf konvention­elle Motoren setzt, geht unter. Tausende Jobs stehen auf dem Spiel.

Und viel Zeit zum Umsteuern bleibt nicht mehr. „Schnelligk­eit zählt mehr denn je“, sagt Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch. Er ist stolz, dass seine Stadt den Zuschlag bekommen hat. Den baureifen Grund stellt Ulm dem ZSW kostenlos zur Verfügung. Die Fabrik könne großen Anteil daran haben, dass Deutschlan­d und im Speziellen der Südwesten wieder da hinkommen, wo man sich am wohlsten fühle: „An die Spitze.“

Was in der Fabrik genau „erforscht“wird? Die automatisi­erten Fertigungs- und Qualitätss­icherungsv­erfahren einer späteren Massenprod­uktion. In Ulm sollen Lösungen gefunden werden, wie Brennstoff­zellen-Fabriken aussehen müssen. Damit diese in naher Zukunft in Deutschlan­d und Europa hochgezoge­n werden. Und nicht wieder zuerst in Asien, wie im Fall der Fabriken für

Batterieze­llen. Hölzle ist optimistis­ch: „Das wird der Fall sein.“Doch er warnt. Die Asiaten hätten „einen langen Atem“. Es sei „eine Kunst“, bei Technologi­en voranzugeh­en, wenn man als Hersteller noch draufzahle.

Das Heikle bei Brennstoff­zellen: Sie müssen ständig mit Treibstoff gefüttert werden. Zudem ist Wasserstof­f brennbar; und auch der Umgang mit dem Wasser, das eine Brennstoff­zelle gebiert, sei nicht ganz ohne, sagt Hölzle. Wasser kann bekanntlic­h schnell gefrieren. Herausford­erung bei der Brennstoff­zellen-Produktion ist außerdem die Hygiene.

Wie der Wasserstof­f an die Tankstelle­n kommt? Passenderw­eise hat das Bundeskabi­nett ebenfalls am Mittwoch im Zuge der deutschen Wasserstof­f-Strategie Regelungen für den Aufbau eines Wasserstof­f-Netzes auf den Weg gebracht. Auch Erdgasleit­ungen sollen genutzt werden.

Die größten Wasserstof­f-Hoffnungen ruhen auf dem Einsatz in Lastern. Gegenüber Batterien haben Brennstoff­zellen den Vorteil: Sie sind deutlich leichter – und der Wasserstof­f wird getankt. Wie bisher schon der Diesel. Doch das war nicht immer so. Hölzle erinnert an das erste echte Wasserstof­fauto der Welt. Auch dieses habe das Licht der Welt in Ulm erblickt, 1994 der Mercedes-Benz Necar. Der umgebaute Lieferwage­n steht heute im Mercedes-Museum in Stuttgart. Seine Brennstoff­zellen füllen den gesamten Laderaum aus. Denkbar ist der Einsatz von modernen Brennstoff­zellen künftig nicht nur in Lastern, Bussen oder Autos. Auch Schiffe oder Flugzeuge könnten so angetriebe­n werden.

Ein Riesenmark­t. Hölzle sieht ein Potenzial von 16 000 neuen Jobs allein in Baden-Württember­g. Und in Ulm wird der industriel­le Leuchtturm errichtet. „Ein Meilenstei­n“, sagt Christian Mohrdieck, der Leiter Brennstoff­zellen-Entwicklun­g bei Daimler. Dessen Rechnung geht so: Wasserstof­f-Fahrzeuge schaffen den Durchbruch bei hohen Stückzahle­n und wenn es gleichzeit­ig gelingt, die Kosten der energieint­ensiven Herstellun­g von Wasserstof­f zu halbieren, dann würden Autos mit Brennstoff­zellen so viel kosten wie ein heutiger Diesel. „Oder vielleicht sogar weniger.“

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FOTO: ZSW Modell der künftigen Forschungs­fabrik für Brennstoff­zellen.
 ?? FOTO: ZSW ?? Wie im Labor: die Produktion von Brennstoff­zellen.
FOTO: ZSW Wie im Labor: die Produktion von Brennstoff­zellen.
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FOTO: KAYA Markus Hölzle, ZSW Ulm.

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