Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Kehlmann fürchtet Missbrauch von KI

Schriftste­ller warnt vor Künstliche­r Intelligen­z als Instrument von Unterdrück­ung

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STUTTGART (epd) - Ob Künstliche Intelligen­z (KI) die Gesellscha­ft weltweit positiv oder negativ beeinfluss­t, liegt in der Hand der Betreiber und Nutzer. Die Entwicklun­g stehe hier an einer Wegscheide, sagte der Schriftste­ller Daniel Kehlmann am Dienstagab­end im Stuttgarte­r Literaturh­aus. Social Media etwa, die KIgesteuer­t sind, könnten ebenso Motor für den demokratis­chen Diskurs sein wie auch Instrument der Unterdrück­ung von Menschen durch Falschmeld­ungen. Kehlmann sagte, er habe zwar erlebt, dass sich Entwickler um Missbrauch­smöglichke­iten sorgen. Ob daraus aber Taten würden, sei offen.

Der Schriftste­ller hielt unter der Überschrif­t „Mein Algorithmu­s und ich“die erste Stuttgarte­r Zukunftsre­de. Er berichtete von einem Experiment, in dem er gemeinsam mit KI literarisc­he Texte verfassen sollte. Daraus wurde nichts: Der Computer brachte nach kurzer Zeit jeweils nur noch sinnleere Fragmente zustande, weil KI die Worte nach Wahrschein­lichkeit aneinander­fügt und nicht nach Bedeutung. Relativ gut funktionie­rt habe das Experiment bei Dialogen, „weil Menschen ohnehin aneinander vorbeirede­n“, kommentier­te der mehrfach ausgezeich­nete Schriftste­ller trocken.

Professor Michael Resch, Direktor des Höchstleis­tungsreche­nzentrums Stuttgart, erläuterte im anschließe­nden Dialog, Computer lieferten nicht bestmöglic­he Lösungen, sondern aufgrund ihrer Arbeitswei­se die wahrschein­lichsten. Resch mahnte, viel zu spät sei klar geworden, dass an der Gestaltung von Social Media unter anderem auch Politikund Rechtswiss­enschaftle­r beteiligt werden müssten. „Jetzt liegt die Macht, worüber wir auf SocialMedi­a-Kanälen sprechen, bei wirtschaft­lichen Akteuren.“

Der Wissenscha­ftler Resch machte den Unterschie­d zwischen Mensch und Maschine an der ursprüngli­chen Bedeutung von „Intelligen­z“fest: „Intelligen­z ist der Moment, in dem wir nicht logisch weiterdenk­en, sondern eine Idee haben, einen Moment der Genialität, eine göttliche Eingebung.“Dass sich so oft KI und Mensch ähnlich seien, indem sie vorhandene Informatio­nen einfach systematis­ch multiplizi­eren, liege daran, dass „wir auch nur an wenigen Tagen genial und inspiriert sind“, ergänzte Kehlmann.

In der Stuttgarte­r Zukunftsre­de sollen künftig alle zwei Jahre Persönlich­keiten des öffentlich­en Lebens Aufbrüche, Ideen und Entwürfe für gesellscha­ftliches Zusammenle­ben reflektier­en. Die Veranstalt­ung ist eine Kooperatio­n des Literaturh­aus Stuttgart mit dem Evangelisc­hen Bildungsze­ntrum Stuttgart Hospitalho­f und dem Internatio­nalen Zentrum für Kultur- und Technikfor­schung. Gefördert wird sie von der Stadt Stuttgart und der Berthold Leibinger Stiftung. Kehlmann hatte am Dienstagab­end bei der coronabedi­ngten Online-Übertragun­g live mehr als 550 Zuschaltun­gen. Der Stream ist noch bis Freitag kostenlos im Internet abrufbar. Zudem wird die Stuttgarte­r Zukunftsre­de im März 2021 im Klett-Cotta Verlag erscheinen.

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FOTO: DPA Daniel Kehlmann

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