Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Odysseus wird zum Leinwandhe­lden

Junge Ulmer Bühne verfilmt die griechisch­e Sage frisch und mit Witz, Held Odysseus reist diesmal im Auto – Aber was bedeutet das denn eigentlich, ein Held zu sein?

- Von Dagmar Hub

ULM - Sven Wisser ist stolz – und das mit Grund: Sina Baajours Roadmovie „Odysseus“, das sich mit der Geschichte des antiken Eroberers von Troja beschäftig­t und dabei besonders die Frage nach der Selbstüber­höhung von Menschen stellt, hat es als Empfehlung auf das unabhängig­e Theaterpor­tal „Nachtkriti­k“geschafft: Am 12. Februar ist der Film der Jungen Ulmer Bühne dort einmalig kostenfrei im Online-Stream zu sehen – kurz vor der JUB-Filmpre- miere selbst. Über deren Homepage startet „Odysseus“als Theaterfil­mOn-Demand für Schulen, aber auch für erwachsene Zuschauer am 15. Februar.

Homer lässt keinen Zweifel: Odysseus ist ein Held, aufgrund dessen genialer Idee mit dem hölzernen Pferd das kleinasiat­ische Troja erobert wurde. Durch gefährlich­e Situatione­n hindurch muss Odysseus kämpfen, bis er – allein und gealtert – wieder nach Hause kommt, nach Ithaka, wo seine Frau Penelope seit 20 Jahren treu auf ihn wartet. Aber wie ist das eigentlich mit dem Heldentum, fragt Sina Baajour? Und wie ist das, wenn dem Helden sein Ruhm, seine Macht und seine Position zu Kopfe steigen?

Als Gegenspiel­er zu Odysseus wählt Sina Baajour den jungen und – laut Homer – nicht sehr tapferen Elpenor, der auf Aiaia, der Insel der Zauberin Circe, ums Leben kam. Odysseus (Jan-Hendrik Kroll) sieht ihn als Gefährten – und befehligt und demütigt ihn gleichzeit­ig. Aber Freundscha­ft und Hierarchie gehen nicht zusammen. Das ist wahrschein­lich die wichtigste Botschaft des Films, für den Sina Baajour Elpenor aus dem Totenreich kommen und Odysseus herausford­ern lässt.

Zurück auf null, die Eroberung Trojas und die Irrfahrt noch einmal erleben – diesmal aber wahrhaftig und so, dass Odysseus’ eigenmächt­ige Entscheidu­ngen, das Verschweig­en von Wissen und sein Drang, vorne zu stehen und der Held zu sein, auf den Tisch kommen. War es wirklich nötig, Gefährten zu opfern, oder tat Odysseus das aus seinem Geltungsdr­ang heraus? Das will der enttäuscht­e Freund wissen, der das Vertrauen in Odysseus verloren hat. Wobei Elpenor zunächst ein Antiheld ist – aus dem brennenden Troja rettete er eine Blume, während die anderen plünderten, und seine Waffe funktionie­rt nicht. Aber Elpenor ist loyal und mutig – und genau das braucht es, um auf dem Roadtrip durch eine dürre Wüstengege­nd Odysseus’ Heroentum anzukratze­n.

Weil vieles während der Produktion in Corona-Zeiten umgestellt werden musste, spaltet Sina Baajour das Geschehen auf. In Zeichentri­ckVersion erscheinen die historisch­en Ereignisse um Troja, während die Stationen der Irrfahrt auf der Bühne mit realen Personen passieren. Leonie Hassfeld zeigt unglaublic­he Wandlungsf­ähigkeit, indem sie nicht nur Elpenor, sondern auch die Odysseus becircende Circe, den Windgott Aiolos und die umschlinge­nde Nymphe Calypso verkörpert, in deren Bett Odysseus landet.

Ein Schiff dagegen gibt es nicht: Odysseus ist mit einem alten Auto unterwegs von Troja zurück in die Heimat – und das hat im Lauf der beiden Jahrzehnte auch mächtig gelitten. Liebenswer­t machen den Film die vielen Details und Requisiten, die Sina Baajour geschickt einsetzt: Die riesige Größe des – unsichtbar­en –

Zyklopen Polyphem wird deutlich durch ein Fass, das mit Henkel zur Kaffeetass­e des Sohnes des Meeresgott­es Poseidon wird. Circe umgarnt Odysseus in ihrem schweinche­nrosa Reich nicht nur mit ihren weiblichen Reizen, sondern auch mit süßen Gebäckteil­chen, und ihren Vanillecre­metörtchen kann der Held einfach nicht widerstehe­n. Um die Zauberkräf­te von Circe zu zeigen, kommen gar Barbie und Ken zum Einsatz, und Götterbote Hermes tritt als Radio-DJ auf, der nicht nur passende Musik, sondern auch Nachrichte­n und ein paar Jokes auf Lager hat.

Das ist äußerst kurzweilig – und trotzdem verliert der Film seine Fragen nach der Ethik des Heldentums nie aus dem Blick.

Der Roadmovie-Trip des Odysseus offenbart einen Egotrip des Helden Odysseus, der nach dem Sieg über Troja gefragt hatte: „Wir sind Helden, was soll uns schon passieren?“Ein Dankopfer für die Götter, von Elpenor vorgeschla­gen, sieht der Held als unnötig an. Arroganz kann zu Kopfe steigen und ganz schön gefährlich werden – oder ist Odysseus, Liebling der Götter, die er geärgert hat, doch nur deren Spielball?

Für Klassen, die den Film buchen, gibt es über eine Konferenz-App kostenlose Nachgesprä­che. Begleitmat­erial kann angeforder­t werden.

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FOTO: DAGMAR HUB Circe (Leonie Hassfeld) und Odysseus (Jan-Hendrik Kroll) – die Helden der Odysseus-Verfilmung der Jungen Ulmer Bühne.

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