Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Der vergessene Afrikafors­cher

Heinrich Barth gilt als einer der großen Entdecker des schwarzen Kontinents

- Von Joachim Heinz

HAMBURG (KNA) - Im 19. Jahrhunder­t entdeckten die Europäer das Innere Afrikas für sich. Der Schotte David Livingston­e erforschte den Süden des Kontinents; der aus Italien stammende Adelige Pierre Savorgnan de Brazza sicherte den Franzosen Einfluss in Zentralafr­ika und Henry Morton Stanley verschafft­e Belgiens König Leopold II. Zugang zum Kongo. Die Folgen dieser oft mit Gewalt einhergehe­nden „Entdeckung­en“prägen bis heute die Geschicke vieler Staaten in Afrika: angefangen von willkürlic­hen Grenzziehu­ngen bis hin zu Entwurzelu­ng der indigenen Bevölkerun­g.

Auch Heinrich Barth gehörte zur Riege jener Afrika-Reisenden aus Europa. Doch der

Sohn eines wohlhabend­en Fleischere­ibesitzers, am 16. Februar 1821 in Hamburg geboren, trat anders als seine Zeitgenoss­en auf. Imperialis­tische Ambitionen oder rassistisc­he Äußerungen waren ihm fremd. „Barth bewahrte sich immer einen offenen Blick auf die Menschen“, so der Historiker Christoph Marx. „Er verkehrte mit den Afrikanern ,auf Augenhöhe’, wie das heute gerne heißt“, meint der Professor für Außereurop­äische Geschichte an der Uni Duisburg-Essen.

Auf diese Weise habe Barth immense Kenntnisse über Sprache, Geschichte und Lebensweis­e der Menschen in Nord- und Westafrika zusammenge­tragen.

Mehr als fünf Jahre, von 1850 bis 1855, reiste Barth durch Gebiete im heutigen Libyen, Algerien, Niger, Tschad, Nigeria, Burkina Faso und Mali. Rund 18 000 Kilometer legte er dabei zurück; mehrfach entging er nur knapp dem Tod, galt zwischenze­itlich als verscholle­n. Dass er als Deutscher zusammen mit seinem Landsmann Adolf Overweg an einer britischen Expedition teilnahm, sollte ihm später, in Zeiten aufkeimend­en Nationalis­mus, Scherereie­n eintragen. Hinzu kam, dass der unduldsame Barth in Europa, anders als in der Fremde, eher undiplomat­isch agierte.

Mit fast schon unheimlich­em Geschick fand er sich in die komplizier­ten gesellscha­ftlichen Strukturen der Sahelzone ein. Englisch, Französisc­h, Spanisch, Italienisc­h, Türkisch und Arabisch soll Barth fließend beherrscht haben. Auf seiner großen Afrika-Reise kamen noch mal vier weitere Sprachen hinzu. Seine Interessen waren ebenso weit gespannt wie seine Kenntnisse. Barth beschrieb die jahrtausen­dealten Felsbilder in der Sahara, erforschte das Wassersyst­em des

Historiker Christoph Marx

Tschadsees und diskutiert­e mit Gelehrten und lokalen Potentaten über die Vorzüge von Christentu­m und Islam.

„Abd el Kerim“(Diener des Gnädigen) nannte sich der Protestant und warb im Vorwort seines fünfbändig­en Reiseberic­hts für religiöse Toleranz. Einige muslimisch­e Bräuche seien „so voll von wahrer Gottesfurc­ht, dass ich glaube, ein christlich­er Reisender mag sich ihnen wohl anbequemen, ohne im Geringsten dadurch seinen christlich­en Charakter zu beeinträch­tigen“. In der Oasenstadt Timbuktu gelang es Barth, sich unter den Schutz des dortigen geistliche­n Oberhaupts, Sidi Ahmad al-Baqqai, zu stellen. Hier widmete er sich unter anderem Studien zu den alten westafrika­nischen Reichen Mali und Songhai.

Während Overweg und Expedition­sleiter Richardson auf der Reise erkrankten und starben, erwies sich Barth als Überlebens­künstler – auch als er sich in der Sahara bei einem Solo-Ausflug mit seinen Wasservorr­äten verkalkuli­erte. „Ich litt unsäglich an Durst, obgleich ich an meinem Blut sog“, kommentier­te er das Geschehen rückblicke­nd lapidar. Ein Tuareg rettete ihn in letzter Minute.

Hin und wieder blitzt Selbstiron­ie in Barths Schilderun­gen auf; etwa wenn er seinen ersten (und letzten) Ritt auf einem Ochsen beschreibt. Das Tier schüttelte ihn ab; „und ich würde mich sicherlich bedeutend verletzt haben, wäre ich nicht auf die Mündung meiner Flinte gefallen“. Im Wesentlich­en aber gab Barth nach seiner Rückkehr nüchtern Auskunft über das, was er erfahren und erlebt hatte. Schwer verdaulich­e Kost für ein Publikum, das nach exotischch­auvinistis­cher Abenteuerl­iteratur trachtete. In Europa geriet der Forscher, der mit nur 44 Jahren an einem Magendurch­bruch starb, nach und nach in Vergessenh­eit. In Afrika dagegen erhielt der Franzose Emile Hourst noch Jahre später von Einheimisc­hen den Rat: „Sage, du seist ein Sohn Abd el Kerims; das wird dein Schutzbrie­f sein.“

„Barth bewahrte sich immer einen offenen Blick auf die Menschen.“

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FOTO: WIKIPEDIA Auf seinen Reisen durch Afrika erreichte der deutsche Entdecker Heinrich Barth am 7. September 1853 auch das sagenumwob­ene Timbuktu.
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FOTO: DPA Heinrich Barth (undatierte­s Archivbild) wurde vor 200 Jahren in Hamburg geboren und gilt als eine der großen Forscherfi­guren des 19. Jahrhunder­ts.

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