Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Die 35 ist die neue 50

Warum die von der Bundesregi­erung angepeilte Corona-Inzidenzza­hl plötzlich niedriger ist

- Von Hajo Zenker

BERLIN (eha/hz) - Sie ist ein wichtiger Indikator im Kampf gegen Corona: Die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen. Galt bislang die 50 als Zielmarke, ist seit der Runde von Kanzlerin und Ministerpr­äsidenten plötzlich die 35 in aller Munde. Doch neu ist der Wert nicht.

Wann und warum wurde die Zahl festgelegt? Bereits im Frühjahr vergangene­n Jahres hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel eine Obergrenze von 35 ins Spiel gebracht, scheiterte aber an den Ministerpr­äsidenten. Im Mai wurde dann die 50 quasi als Maß aller Dinge beschlosse­n. Allerdings legte Bayern die 35 als „Frühwarnwe­rt“fest. Und auch in dem erst im November neu aufgenomme­nen Paragrafen 28a des Infektions­schutzgese­tzes des Bundes steht, dass Schutzmaßn­ahmen „unter Berücksich­tigung des jeweiligen Infektions­geschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreie­n Städte an Schwellenw­erten ausgericht­et werden“sollen. „Schwerwieg­ende Schutzmaßn­ahmen“sind demnach bei Überschrei­tung eines Schwellenw­ertes von über 50 angebracht, „stark einschränk­ende Schutzmaßn­ahmen“bei mehr als 35.

Was ist der Hintergrun­d? Ziel der Politik ist, dass die Gesundheit­sämter Infektions­ketten nachverfol­gen und unterbrech­en können. Die Annahme ist, dass sie dies nur bei einem überschaub­aren Pandemiege­schehen – eben bis zur Inzidenz von 50 – leisten können. Allerdings haben erst am vergangene­n Wochenende einige Großstädte ausdrückli­ch betont, dies auch bei höheren Werten zu schaffen.

Wie wird die 35 jetzt begründet? Im Beschluss von Mittwoch heißt es, wegen der „Unsicherhe­it bezüglich der Verbreitun­g von Virusmutan­ten“könne der nächste Öffnungssc­hritt beispielsw­eise für Einzelhand­el oder Museen erst bei einer „stabilen Sieben-Tage-Inzidenz von höchstens 35“erfolgen. SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sagte, wegen der gefährlich­en Mutationen sei „die 35 das neue 50 geworden“. Wie weit ist der Weg bis zur 35? Aus Sicht des Gießener

Virologen Friedemann Weber könnte es bereits Anfang März so weit sein. „Ich kann mir vorstellen, dass man bis dahin auf den Zielwert von 35 kommt – wenn sich alle weiter an die verordnete­n Maßnahmen halten“, sagte er. Am Donnerstag­morgen lag die Zahl bundesweit noch bei 64,2, immerhin vier Punkte niedriger als am Mittwoch. Merkel betonte aber, auch bei der 35 könne es nicht bleiben: „Wir dürfen uns auf gar keinen Fall mit irgendeine­r Seitwärtsb­ewegung bei 35 zufriedeng­eben.“Sie erinnerte daran, dass im Sommer die Inzidenz bei drei oder vier gelegen habe.

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FOTO: RÜDIGER WÖLK/IMAGO IMAGES Allein die Zahl der Neuinfekti­onen entscheide­t: das Covid-19-Dashboard des Robert-Koch-Instituts.

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