Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
„Man muss für die Mitarbeiter Klarheit herstellen“
ZF-Chef Wolf-Henning Scheider über das Führen in einer existenziellen Krise, das Sparprogramm und warum gerade viele Kunden bei dem Friedrichshafener Autozulieferer Computer bestellen
Auch in Zukunft wird bei allen attraktiven Themen rund um Hardund Software ein ganz wesentlicher Teil unseres Geschäftes die Entwicklung von Fahrwerken, Lenkungen und Bremsen bleiben. Da wollen wir klar zu den Weltmarktführern gehören, wenn nicht sogar der Weltmarktführer sein – und zwar unabhängig von allen Veränderungen im Antrieb. Ein Beispiel dafür sind unsere Bremssysteme für die elektrischen Fahrzeuge von VW.
Wie wichtig ist der Auftrag für ZF?
Dieser Auftrag gehört für ZF zu den ganz großen. VW hat uns beauftragt, die Bremssysteme für die Plattform zu liefern, auf der der Konzern den Großteil seiner Elektroautos bauen wird. Damit gewinnen wir bedeutende Lieferanteile: Das hat im vergangenen Jahr begonnen und läuft jetzt hoch. Der ID.3 war das erste Fahrzeug, gerade kommt der ID.4, und bald folgen die Varianten in allen Konzernmarken.
Trotz der Zukunftstechnik braucht ZF auch in den nächsten Jahren noch die Umsätze aus Komponenten für Autos mit konventionellen Antrieben. Experten der Europäischen Kommission diskutieren allerdings zurzeit weitere Verschärfungen der Emissionsregeln. Was bedeutet das für die Autoindustrie?
Der Vorstoß der Europäischen Kommission zur massiven Verschärfung der Abgasgesetzgebung kommt doch etwas überraschend. Denn die aktuelle Regelung, die erst 2018 vorgeschrieben wurde und die jetzt gültig ist, sorgt dafür, dass die Städte die Grenzwerte einhalten – selbst am Neckartor in Stuttgart ist das der Fall. Viele Autos sind so weit, dass die ausgestoßenen Emissionen am Rande des messbaren Bereichs liegen.
Was wäre die Folge von noch strengeren Vorgaben?
Je nach Verschärfung kämen die Vorgaben einem Verbot von Verbrennungsmotoren durch die Hintertür gleich. Das ist nicht in Ordnung. Scharfe Grenzwerte befürworten wir, und die haben wir auch schon. Sie jetzt abermals zu verschärfen, würde einen enormen technischen Aufwand verursachen, der möglicherweise gar nicht leistbar wäre – und wenn, dann zu sehr hohen Kosten für Verbraucher und Hersteller. Und das in einer Zeit, in der die Industrie in neue Antriebe und weitere Technologien für die Mobilität der Zukunft investieren muss.
Was würde das für ZF bedeuten?
Wenn der Verbrennungsmotor über eine noch härtere Abgasgesetzgebung de facto verboten oder in eine Nische gedrängt wird, führt das bei uns zu einem wesentlich schnelleren Runterfahren der klassischen Getriebetechnologie. Ich bin für Wandel, aber wenn eine Transformation zu abrupt vorgeschrieben wird, entstehen signifikante Schäden in der Wirtschaft. Ich hoffe sehr, dass eine Euro-7-Regelung mit Augenmaß gefunden wird.
Schon vor der Corona-Krise stand ZF mit der Bewältigung der Transformation vor einer herausfordernden Situation. Als Vorstandsvorsitzender tragen Sie eine große Verantwortung: Sie müssen Entscheidungen treffen, die das Leben von 150 000 Menschen und ihrer Familien beeinflussen. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Es ist sehr wichtig, dass man sich seiner Rolle bewusst ist. Das hat vor allem das vergangene Jahr gelehrt: Man muss für die Mitarbeiter Klarheit herstellen, wohin der Weg geht. Ich musste genau erklären, was die Kostensenkungen bedeuten, wie wir mit dem Homeoffice umgehen, wie wir verhindern, dass sich das Virus ausbreitet. Dabei wurde ich von vielen sehr engagierten Kollegen unterstützt. Und anfangs haben alle gespürt, dass ich extrem besorgt war.
Wie besorgt sind Sie jetzt?
Weniger. Die Sorge ist Stück für Stück der Zuversicht gewichen. Die ZF-Mitarbeiter und Führungskräfte haben unglaublich viel geleistet. Ob vor Ort oder aus dem Homeoffice. Wir haben gespürt, wie das Unternehmen als Ganzes zusammensteht und die Krise meistert.