Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Verzweiflung, Wut und existenzielle Sorgen
Beim Corona-Gipfel erwarten Wirtschaftsminister Altmaier schwierige Gespräche mit mehr als 40 Verbänden
BERLIN - Viel Zeit hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für seinen „Wirtschaftsgipfel“am Dienstag nicht eingeplant. Mehr als 40 Verbände sind bei dem virtuellen Treffen vertreten, vom Einzelhandel über das Handwerk bis zur Tourismus- und der Veranstaltungswirtschaft. Schon nach gut zwei Stunden will der Saarländer vor die Kameras treten, um die Ergebnisse zu verkünden. Dabei gibt es viel zu besprechen. Denn die Auszahlung der Corona-Hilfen hat jede Menge Unmut produziert.
Die Klagen der Verbände lassen sich zu zwei Hauptpunkten zusammenfassen: Zum einen fehlt den Unternehmen, die teilweise seit Anfang November geschlossen sind, die Perspektive, wann sie wieder öffnen können. „So wie in den vergangenen Monaten kann es nicht mehr weitergehen. Da muss mehr Berechenbarkeit rein“, spricht Stefan Genth vom Einzelhandelsverband HDE vielen aus dem Herzen. Es müsse schnellstmöglich ein Öffnungsplan her, „in dem festgelegt wird, ab welchen Werten und unter welchen Bedingungen unsere Betriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen können“, pflichtet ihm Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer bei. Nur: Dafür ist der Wirtschaftsminister gar nicht zuständig. Das muss Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) mit den 16 Bundesländern aushandeln.
Zum anderen geht es um die milliardenschweren Hilfen, die versprochen wurden, aber viel zu langsam ankommen und zu niedrig ausfallen. „Die Verzweiflung und die existenziellen Sorgen in der Branche sind immens groß“, berichtet Guido Zöllick vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. Die sofortige Auszahlung sei überlebenswichtig. Doch ganz so einfach geht das nicht. Zumal sich Altmaier erst mit seinem Finanzkollegen Olaf Scholz abstimmen muss, und der ist als SPD-Kanzlerkandidat schon im Wahlkampfmodus.
Es war Scholz, der mit flotten Sprüchen für große Erwartungen sorgte. Erst sprach er von der „Bazooka“, als er zusammen mit Altmaier Mitte März 2020 ein Hunderte von Milliarden Euro schweres Hilfspaket vorlegte, das allerdings hauptsächlich aus Krediten bestand. Drei Monate später folgte dann der „Wumms“, mit dem er ein gigantisches Konjunkturpaket ankündigte.
Die Prügel dafür, dass es schlecht läuft, bekommt Altmaier ab. Denn so einfach lassen sich staatliche Hilfsmilliarden nicht auszahlen. Dafür braucht es Spielregeln und eine Organisation
für Hunderttausende von Fällen. Das zeigte sich Ende Oktober, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten beschlossen, Restaurants, Hotels und
Fitnessstudios zunächst für vier Wochen zuzumachen. Zum Ausgleich sollten die betroffenen Betriebe nicht nur einen Zuschuss zu den Fixkosten erhalten wie zuvor bei der Überbrückungshilfe, sondern 75 Prozent ihres Vorjahresumsatzes, was häufig deutlich großzügiger ist. Diese Idee kam aus dem Finanzministerium. Die Bundesländer sollten die Verwaltung übernehmen. Doch dazu sahen diese sich nicht in der Lage. Die Idee, das den Finanzämtern zu übertragen, scheiterte ebenfalls an ihnen und am Finanzressort.
Schließlich blieb es an Altmaiers Ministerium hängen, einen ITDienstleister zu beauftragen, das nötige Antragssystem zu entwickeln. Das dauerte ziemlich lange, zumal es sich über Details nicht nur mit dem Finanzressort einigen musste, sondern auch mit der EU-Kommission. Nach dem EU-Beihilferecht waren nur Hilfszahlungen bis zu einer Million Euro völlig unproblematisch. Die konnte Altmaier erst in mühevollen Verhandlungen anheben.
Hinzu kam, dass er öffentliche Konflikte mit Scholz scheute. Dazu ist er zu sehr auf Harmonie gepolt. Immer wieder forderte er einen großzügigen Verlustrücktrag, um Verluste in der Corona-Krise mit Gewinnen in früheren Jahren zu verrechnen. Letztlich kostet das den Staat kein Geld. Es bringt den Unternehmen aber erst einmal liquide Mittel zum Überleben. In späteren Jahren fallen dafür mehr Steuern an.
An einer zweiten Stelle spielte viel Ideologie mit: Scholz wollte keinen Unternehmerlohn bei Personengesellschaften zahlen. Unternehmer sollten nicht besser dastehen als Hartz-IV-Empfänger. Daher wurde dieses Grundsicherungssystem für sie geöffnet. Nur müssen sie angesammeltes Vermögen weitgehend nicht antasten. Letztlich gab es mühsame Einigungen, die der Wirtschaft viel zu kleinkariert sind.
Die Folge: Alle Hilfsgelder werden nur sehr langsam ausgezahlt. Für die Novemberhilfe startete die Auszahlung erst am 12. Januar, nachdem es vorher nur Abschlagszahlungen gab. Insgesamt wurden bisher 3,5 Milliarden Euro überwiesen. Angekündigt waren mal 15 Milliarden Euro, rechnet Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft vor. Insgesamt seien einschließlich Überbrückungshilfe III zwar 39,5 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2021 eingeplant, aber erst fünf Milliarden Euro abgeflossen. „Von schneller Hilfe kann angesichts der Umsetzungsprobleme nicht gesprochen werden“, kritisiert Bardt – und nicht nur er.