Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wie viele Tram-Linien lohnen sich?
Diese Frage stellen sich Ulm und Neu-Ulm – 290 Millionen Euro kostete die neue Linie 2
ULM - Rund 290 Millionen Euro hat die Ulmer Straßenbahnlinie 2 gekostet, den Betriebshof und die Züge eingeschlossen. Könnte es hier noch mehr solcher gewaltigen Verkehrsprojekte geben? Denkbar ist das.
Die Kohlplatte im Ulmer Westen, auf der Wohnungen für bis zu 6000 Menschen entstehen könnten, könnte auf diese Weise erschlossen werden. Auch eine Linie nach Ludwigsfeld und theoretisch noch weiter bis nach Wiblingen ist möglich. Beim Nachfolgerbauwerk für die marode Adenauerbrücke könnte Platz für die nötigen Gleise eingeplant werden. Doch wie konkret sind die Überlegungen?
Die Stadt Neu-Ulm plant nach Auskunft von Stadtbaudirektor Markus Krämer und Verkehrsplaner Andreas Borgmann eine umfangreiche Erhebung des Verkehrsmittelwahlverhaltens, es geht also um die Frage, wer sich auf welche Weise durch die Stadt bewegt. Fußgänger, Radler, Autofahrer und Bus-Passagiere werden gezählt, zudem ist eine Haushaltsbefragung vorgesehen. Diese Grundsatzuntersuchung hatte der Stadtrat Ende 2020 bei der Stadtverwaltung in Auftrag gegeben. Doch aufgrund der Corona-Pandemie und des dadurch veränderten Verhaltens ist das aus Sicht der Verwaltung derzeit nicht sinnvoll machbar. Die Zahlen sollen gemeinsam mit dem Landkreis NeuUlm und der Stadt Ulm erhoben werden. Abstimmungen dazu laufen nach Angaben von Krämer und Borgmann bereits.
In Ulm läuft diese Erhebung dagegen bereits. Baubürgermeister Tim von Winning rechnet damit, dass die Ergebnisse des Gutachtens vor der Sommerpause des Gemeinderats vorliegen, die beginnt in Ulm traditionell nach dem Schwörmontag. „Es geht um eine grundsätzliche Überlegung“, schildert der Baubürgermeister. Die Straßenbahn sei da nur ein Bestandteil von vielen. Klar ist aus Sicht der Stadt: Der Nahverkehr muss ausgebaut werden. Offen ist dagegen, was der beste Weg ist. Die Straßenbahn hat in Ulm eine lange Geschichte, sie ging bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Betrieb. Und die Beliebtheit der Linien sei groß, sagt von Winning. Das liege auch daran, dass die Tram seit so vielen Jahren etabliert ist.
Tatsächlich vermeldete die SWUVerkehr vor einem Jahr, also vor dem coronabedingten Einbruch der Fahrgastzahlen, einen neuen Rekord: mehr als 40 Millionen Fahrgäste 2019, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. André Dillmann, Geschäftsführer von SWU-Verkehr, nannte die neue Straßenbahnlinie 2 als entscheidenden Faktor, mit durchschnittlich mehr als 31 000 Menschen am Tag war sie die stärkste Linie.
Wenn das Wohngebiet Kohlplatte gebaut wird, könnte es durch eine Verlängerung der Linie 1 (bisher bis Söflingen) mit der Innenstadt erschlossen werden. Doch stehen die Kosten dafür und der Nutzen dadurch in einem vernünftigen Verhältnis zueinander? Für solche Großprojekte wäre die Stadt auf Fördergeld angewiesen. Das ist an strenge Bedingungen geknüpft, das Verhältnis von Kosten und Nutzen muss stimmen. Auch deswegen nimmt das Ulmer Gutachten viele verschiedene Möglichkeiten in den Blick: „Dabei wird auch untersucht: Erhöht es die Chancen, wenn man nicht an eine Verlängerung einer einzelnen Linie denkt?“, sagt Tim von Winning.
Sprich: Wenn gleich mehrere Linien gebaut werden, entstehen manche Kosten womöglich nur einmal. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen könnte sich verbessern. Welche Stadtteile könnten noch durch die Straßenbahn erschlossen werden? SPD und Grüne wünschen sich eine Verbindung bis nach Wiblingen. Im Neu-Ulmer Rathaus gilt eine Linie auf der Memminger Straße oder parallel dazu durchs Vorfeld bis nach Ludwigsfeld als Option. Dort, in Neu-Ulms zweitgrößtem Stadtteil, entstehen weitere Wohnungen. Dorthin könnte aber auch eine Buslinie oder eine Seilbahn führen. Welches Verkehrsmittel das Rennen macht, ist noch offen.
Theoretisch könnten auch noch weitere Teile von Ulm und Neu-Ulm einen Straßenbahnanschluss bekommen. Bei einer Nutzen-Kosten-Analyse muss der volkswirtschaftliche Nutzen größer sein als die erwarteten Gesamtkosten des Projekts. Man wolle herausfinden, ob und bei welcher Ausbauvariante ein positives Ergebnis herauskomme, so von Winning. Doch Antworten auf alle Fragen wird es so schnell wohl nicht geben. Denn während erste Ulmer Zahlen bald vorliegen, muss die Neu-Ulmer Auswertung erst einmal beginnen.