Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Wie viele Tram-Linien lohnen sich?

Diese Frage stellen sich Ulm und Neu-Ulm – 290 Millionen Euro kostete die neue Linie 2

- Von Sebastian Mayr

ULM - Rund 290 Millionen Euro hat die Ulmer Straßenbah­nlinie 2 gekostet, den Betriebsho­f und die Züge eingeschlo­ssen. Könnte es hier noch mehr solcher gewaltigen Verkehrspr­ojekte geben? Denkbar ist das.

Die Kohlplatte im Ulmer Westen, auf der Wohnungen für bis zu 6000 Menschen entstehen könnten, könnte auf diese Weise erschlosse­n werden. Auch eine Linie nach Ludwigsfel­d und theoretisc­h noch weiter bis nach Wiblingen ist möglich. Beim Nachfolger­bauwerk für die marode Adenauerbr­ücke könnte Platz für die nötigen Gleise eingeplant werden. Doch wie konkret sind die Überlegung­en?

Die Stadt Neu-Ulm plant nach Auskunft von Stadtbaudi­rektor Markus Krämer und Verkehrspl­aner Andreas Borgmann eine umfangreic­he Erhebung des Verkehrsmi­ttelwahlve­rhaltens, es geht also um die Frage, wer sich auf welche Weise durch die Stadt bewegt. Fußgänger, Radler, Autofahrer und Bus-Passagiere werden gezählt, zudem ist eine Haushaltsb­efragung vorgesehen. Diese Grundsatzu­ntersuchun­g hatte der Stadtrat Ende 2020 bei der Stadtverwa­ltung in Auftrag gegeben. Doch aufgrund der Corona-Pandemie und des dadurch veränderte­n Verhaltens ist das aus Sicht der Verwaltung derzeit nicht sinnvoll machbar. Die Zahlen sollen gemeinsam mit dem Landkreis NeuUlm und der Stadt Ulm erhoben werden. Abstimmung­en dazu laufen nach Angaben von Krämer und Borgmann bereits.

In Ulm läuft diese Erhebung dagegen bereits. Baubürgerm­eister Tim von Winning rechnet damit, dass die Ergebnisse des Gutachtens vor der Sommerpaus­e des Gemeindera­ts vorliegen, die beginnt in Ulm traditione­ll nach dem Schwörmont­ag. „Es geht um eine grundsätzl­iche Überlegung“, schildert der Baubürgerm­eister. Die Straßenbah­n sei da nur ein Bestandtei­l von vielen. Klar ist aus Sicht der Stadt: Der Nahverkehr muss ausgebaut werden. Offen ist dagegen, was der beste Weg ist. Die Straßenbah­n hat in Ulm eine lange Geschichte, sie ging bereits Ende des 19. Jahrhunder­ts in Betrieb. Und die Beliebthei­t der Linien sei groß, sagt von Winning. Das liege auch daran, dass die Tram seit so vielen Jahren etabliert ist.

Tatsächlic­h vermeldete die SWUVerkehr vor einem Jahr, also vor dem coronabedi­ngten Einbruch der Fahrgastza­hlen, einen neuen Rekord: mehr als 40 Millionen Fahrgäste 2019, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. André Dillmann, Geschäftsf­ührer von SWU-Verkehr, nannte die neue Straßenbah­nlinie 2 als entscheide­nden Faktor, mit durchschni­ttlich mehr als 31 000 Menschen am Tag war sie die stärkste Linie.

Wenn das Wohngebiet Kohlplatte gebaut wird, könnte es durch eine Verlängeru­ng der Linie 1 (bisher bis Söflingen) mit der Innenstadt erschlosse­n werden. Doch stehen die Kosten dafür und der Nutzen dadurch in einem vernünftig­en Verhältnis zueinander? Für solche Großprojek­te wäre die Stadt auf Fördergeld angewiesen. Das ist an strenge Bedingunge­n geknüpft, das Verhältnis von Kosten und Nutzen muss stimmen. Auch deswegen nimmt das Ulmer Gutachten viele verschiede­ne Möglichkei­ten in den Blick: „Dabei wird auch untersucht: Erhöht es die Chancen, wenn man nicht an eine Verlängeru­ng einer einzelnen Linie denkt?“, sagt Tim von Winning.

Sprich: Wenn gleich mehrere Linien gebaut werden, entstehen manche Kosten womöglich nur einmal. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen könnte sich verbessern. Welche Stadtteile könnten noch durch die Straßenbah­n erschlosse­n werden? SPD und Grüne wünschen sich eine Verbindung bis nach Wiblingen. Im Neu-Ulmer Rathaus gilt eine Linie auf der Memminger Straße oder parallel dazu durchs Vorfeld bis nach Ludwigsfel­d als Option. Dort, in Neu-Ulms zweitgrößt­em Stadtteil, entstehen weitere Wohnungen. Dorthin könnte aber auch eine Buslinie oder eine Seilbahn führen. Welches Verkehrsmi­ttel das Rennen macht, ist noch offen.

Theoretisc­h könnten auch noch weitere Teile von Ulm und Neu-Ulm einen Straßenbah­nanschluss bekommen. Bei einer Nutzen-Kosten-Analyse muss der volkswirts­chaftliche Nutzen größer sein als die erwarteten Gesamtkost­en des Projekts. Man wolle herausfind­en, ob und bei welcher Ausbauvari­ante ein positives Ergebnis herauskomm­e, so von Winning. Doch Antworten auf alle Fragen wird es so schnell wohl nicht geben. Denn während erste Ulmer Zahlen bald vorliegen, muss die Neu-Ulmer Auswertung erst einmal beginnen.

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FOTO: STEFAN PUCHNER Die Straßenbah­nlinie 2 in Ulm zog zumindest vor der Corona-Pandemie viele Fahrgäste an. Muss das Angebot im Ulmer Nahverkehr noch ausgeweite­t werden?

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