Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Neues vom Vorstadtgeländewagengladiator
Der öffentliche Straßenverkehr hat etwas vom Zirkus Maximus im alten Rom. Damals fuhren zum Gaudium der nach Brot und Spielen lechzenden Bevölkerung Pferdewagen im Kreis herum, wobei der eine oder andere Wagenlenker dabei zu Tode kam. Was es in diesem kolossalen Gewimmel im Kolosseum allerdings nicht gab, waren Radfahrer, E-Bike-Strampler, Elektrorollerpiloten und Fußgänger. Diese hätten allesamt eine durchschnittliche Nachmittagsvorstellung eher nicht überlebt. Denn im alten Rom waren die Vorfahrtsregeln noch angenehm übersichtlich: Der Stärkere genoss überall uneingeschränkten Vorrang.
Straßenverkehrlich ist Deutschland Anno Domini 2021 da viel komplizierter. Es fängt schon damit an, dass Vorstadtgeländewagengladiatoren sich im Irrtum befinden, wenn sie glauben, ihr 2,5-Tonnen-Gefährt verfüge über genug verkehrstechnische Autorität, um alle anderen Verkehrsteilnehmer zum hechtsprungartigen Ausweichen zwingen zu dürfen. Denn auch das Lebensrecht eines pepitahütigen Spaziergängers ist grundsätzlich in der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben.
Das eigentliche Phänomen am Straßenverkehr ist aber, dass Menschen sich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde verwandeln können – und wieder zurück. Als Autofahrer findet man die Radfahrer doof. Als Radfahrer die Autofahrer und als Fußgänger alles, was nicht auf Füßen geht, sondern auf Rädern rollt. Das macht es so schwierig, auf der Straße gelassen zu bleiben. Der einzige Vorteil im Vergleich zum Zirkus Maximus von damals: Man wird seltener von Löwen gefressen. (nyf )