Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Haftstrafe für den „Schwarzwald-Rambo“
Mann entwaffnete vier Polizisten und floh – Verteidiger kündigen Revision an
Nach Wochenenden ist bei der Interpretation der Zahlen zu beachten, dass meist weniger Personen einen Arzt aufgesucht haben. Dadurch wurden weniger Proben genommen. Zum anderen kann es sein, dass nicht alle Gesundheitsämter an allen Tagen Daten an das Robert-Koch-Institut übermittelt haben. In der Tabelle werden die zu Redaktionsschluss neuesten verfügbaren Zahlen angegeben. Dadurch kann es zu Abweichungen zu nationalen und lokalen Zahlen kommen. Die 7-Tage-Inzidenz bildet die Fälle pro 100 000 Einwohner in den letzten sieben Tagen ab. Quellen: Robert-Koch-Institut von Freitag, 3.10 Uhr; Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg vonFreitag, 16 Uhr; Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit von Freitag, 8 Uhr.
OFFENBURG - Das Landgericht Offenburg hat den sogenannten Waldläufer von Oppenau (Ortenaukreis) am Freitag zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Der heute 32jährige Yves R. ist nach Überzeugung des Gerichts des illegalen Waffenbesitzes, des Widerstands gegen die Staatsgewalt, der gefährlichen Körperverletzung und der Geiselnahme in einem minderschweren Fall schuldig. R. hatte im Sommer 2020 zunächst vier Polizisten entwaffnet, war dann geflohen und erst nach fünf Tagen und einer aufwendigen Fahndung gefasst worden. Die Verteidigung kündigte eine Revision gegen das Urteil an, das noch nicht rechtskräftig ist.
An diesem Freitagmittag winkt Yves R. seiner Familie und Freunden in der zum Gerichtssaal umfunktionierten ehemaligen Offenburger Reithalle zu, die jetzt als Kulturforum genutzt wird: Sie sind gekommen, um bei der Urteilsverkündung dabei zu sein, um R. moralisch zu unterstützen. In sozialen Medien hatte sich schon während R.s Flucht eine Art Fanclub gebildet, der auch Geld zu seiner Unterstützung gesammelt hatte. Es wurden T-Shirts bedruckt mit der Aufschrift „Justice 4 Yves“(„Gerechtigkeit für Yves“).
R. bleibt unbewegt und ohne sichtliche Regung, als Richter Wolfgang Kronthaler in seiner Urteilsbegründung von einem Mann spricht, der unter einer Persönlichkeitsstörung leide und schon oft straffällig geworden sei. Mit ihrem Urteil bleibt die Kammer unter Kronthalers Vorsitz unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die in dem seit Mitte Januar laufenden Prozess drei Jahre und neun Monate Haft gefordert hatte. Die Verteidigung hatte im Prozess den Vorwurf der Geiselnahme bestritten und eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten beantragt.
Rückblick: Im Frühjahr und Sommer beschließt R., der kurz zuvor Arbeit und Wohnung verloren hat, sein Leben neu auszurichten. Ihm ist seit seinem 30. Lebensjahr und einer einschlägigen Vorstrafe das Führen von Waffen verboten. Er richtet sich illegal in einer Gartenhütte oberhalb von Oppenau im Schwarzwald ein. Am Sonntag, 12. Juli, meldet der Besitzer der Hütte der Polizei einen Mann in Tarnkleidung und mit Pfeil und Bogen. Vier Beamte rücken aus. Bei der Kontrolle bedroht R. die Ordnungshüter mit einer echt aussehenden Schreckschusswaffe, entwaffnet sie und flieht mit ihren Pistolen in den Wald.
Eine der aufwendigsten Suchaktionen im deutschen Südwesten beginnt. Zeitweise sind über 2000 Polizisten mit Wärmebildkameras, Hunden und Hubschraubern im Einsatz. Tagelang ist R. wie vom Erdboden verschluckt, versteckt sich in Gruben und Erdlöchern. In den Medien wird R. als „Schwarzwald-Rambo“bezeichnet. In Oppenau, wo man R. hingegen als harmlosen Sonderling kennt, kippt die Stimmung, als Schulen und Kindergärten geschlossen bleiben.
Am sechsten Tag entdeckt die Polizei den Flüchtigen in einem Gebüsch. Bei seiner Festnahme verletzt er einen SEK-Beamten mit einem Beil am Fuß.
Vor dem Prozess überschlagen sich die Beobachter mit ihren Vorhersagen: Bis zu 15 Jahre Haft könnten auf R. wegen der Geiselnahme in einem schweren Fall warten.
Doch während der Verhandlung wird deutlich: Das Gericht bewertet die Überwältigung der Polizeibeamten differenzierter. Für Geiselnahme sind laut Strafgesetzbuch mindestens fünf Jahre Haft vorgesehen. In diesem Fall habe es sich aber nur um wenige Sekunden gehandelt. „Das war nicht vergleichbar mit dem Entschluss, eine Bank auszurauben, dort eine Geisel zu nehmen und sie stundenlang zu halten“, so der Richter.
Das Geständnis, das R. gleich zu Beginn des Prozesses abgelegt hatte und seine Entschuldigung wirken sich strafmildernd aus. Es sei von einem spontanen Tatentschluss auszugehen. Kronthaler würdigt: „Sie haben im Wesentlichen zur Aufklärung beigetragen und ihr Bedauern geäußert.“
Ein Gutachter hatte R. eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bei hoher Intelligenz attestiert. Er habe Probleme, Empathie zu empfinden, sei introvertiert und stur. Grundsätzlich schuldunfähig sei er nicht – nur für die Festnahmesituation, als der
Flüchtige dehydriert und übernächtigt von einem Taser getroffen wurde, bescheinigte der Psychiater dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit.
Zur Gefühlslage ihres bereits in Handschellen abgeführten Mandanten wollten sich die Verteidiger Melanie Mast und Yorck Fratzky am Freitag nicht äußern. Sie kündigten jedoch an, beim Bundesgerichtshof Revision gegen das Urteil einzulegen. Denn wenngleich R.s Bekannte angesichts des Strafmaßes aufatmeten und fanden, damit sei er „gut weggekommen“, übten die Verteidiger Kritik an der juristischen Entscheidung. Bei der Tat am 12. Juli handele es sich um keine Geiselnahme, erklärten Mast und Fratzky: Sie gehen von Widerstand und schwerem tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte aus. Nach ihrer Darstellung wurde der Angeklagte in die Enge getrieben. Provokationen eines Polizisten hätten zur Eskalation geführt. Doch nun sei der Bundesgerichtshof am Zuge.