Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zum Affen gemacht

In seinem zweiten Hauptwerk, vor 150 Jahren erschienen, spricht Naturforsc­her Charles Darwin von nur „graduellen“Unterschie­den zwischen Mensch und Tier – Dies birgt heute noch Konfliktst­off

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galt er als Revolution­är, der den Menschen vom Thron der Schöpfung stieß. Der studierte anglikanis­cher Theologe und beinahe Landpfarre­r brachte die Stützpfeil­er des biblischen Schöpfungs­glaubens zum Einstürzen. Seit Darwin muss der Mensch als Tier gesehen werden – wenn auch in Sonderstel­lung.

Bereits in seinem 1859 erschienen­en Werk über die „Entstehung der Arten“hatte Charles Darwin die Vorstellun­g widerlegt, dass Gott alle Arten auf einmal und unveränder­lich geschaffen hatte. Fünf Jahre, von 1831 bis 1836, hatte er auf dem Forschungs­schiff Beagle die Welt bereist, Tiere und Pflanzen analysiert und die Mechanisme­n der Evolution erkannt.

In seiner Theorie beschreibt der Naturforsc­her Variation und Auslese als grundlegen­de Prinzipien des Lebens: Im Kampf um Nahrung und Lebensraum kann nur überleben, wer am besten an seine Umwelt angepasst ist – was keinesfall­s immer für die Größten und Stärksten gilt. Diese Selektion führt über Generation­en hinweg zu einer Veränderun­g der Arten. Ein Paukenschl­ag, der auch zu einer erbittert geführten Debatte über die Autorität der Bibel führte – ein Streit, der heute noch in den USA zwischen Kreationis­ten und Naturwisse­nschaftler­n und im Konflikt um den Biologieun­terricht fortbesteh­t.

In seinem Erstlingsw­erk scheute sich Darwin, diese Lehre auch auf den Menschen anzuwenden – wohl wissend, wie viel Widerstand er auslösen würde. In „Die Entstehung der Arten“deutete er lediglich an, dass er den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, sondern als Teil der Natur sah. Erst zwölf Jahre später wagte Darwin, diese Erkenntnis in einem zweibändig­en Werk darzulegen.

Dieses Werk handelt vor allem davon, was den Menschen vom Tier unterschei­det und wo Ähnlichkei­ten bestehen. Darwin äußert im ersten Abschnitt die Vermutung, dass sich der Mensch in Afrika entwickelt habe. Er legt dar, dass sich seine intellektu­ellen und moralische­n Fähigkeite­n erst über einen langen Zeitraum entwickelt­en – also nicht beim Schöpfungs­akt im Paradies. Der Brite wendet sich auch dagegen, die

Rassen des Menschen als unterschie­dliche Arten aufzufasse­n. Im zweiten Teil beschreibt Darwin den Mechanismu­s der sexuellen Auswahl – zunächst anhand von Insekten, Fischen, Amphibien, Vögeln und Säugetiere­n. Im dritten Teil geht es dann um das Wirken der sexuellen Auswahl auf die Entwicklun­g des Menschen.

„Der Unterschie­d zwischen Mensch und Tier ist nur graduell, nicht grundsätzl­ich“, schreibt er. Der Mensch verliert damit nicht die Sonderstel­lung in der Natur. Für Darwin ist der Mensch „das dominantes­te Tier, das je auf der Erde erschienen ist“. Denn er verfügt über gesteigert­e geistige Fähigkeite­n, eine verbale Sprache und Moralfähig­keit.

Das bedeutet nach den Worten der Tübinger Darwin-Expertin EveMarie Engels auch: Wenn sich die Lebensbedi­ngungen ändern, muss der Mensch sich kein dickes Fell wachsen lassen, keine Klauen, keine Reißzähne. Die intellektu­ellen Fähigkeite­n, die kulturelle­n Gewohnheit­en und die Techniken erlauben ihm, sich an die Natur anzupassen.

Auch moralische­r Sinn und religiöse Vorstellun­gen sind laut Darwin Produkt der Evolution. Allein der Mensch ist in der Lage, sein Handeln an moralische­n Prinzipien und Normen zu orientiere­n. „Es ist die edelste aller Eigenschaf­ten des Menschen, die ihn dazu führt, ohne einen Augenblick zu zögern, sein Leben für das eines Mitgeschöp­fes zu opfern“, schreibt Darwin.

Mit Blick auf die sexuelle Selektion unterstrei­cht der Naturforsc­her, dass Menschen und Tiere Merkmale aufweisen, die bei der Partnersuc­he von Bedeutung sind, aber keinen erkennbare­n Wert für das Überleben haben, vielleicht sogar eher hinderlich dafür sind: Das gilt etwa für riesige Hirschgewe­ihe ebenso wie für auffällige Pfauenfede­rn oder auch menschlich­e Schönheits­ideale. Darwin nennt die zwei evolutionä­ren Kräfte die „Männerkonk­urrenz“und die „Damenwahl“. Er folgert daraus, dass die Umwelt wesentlich durch die Vorlieben der Weibchen geformt werde. Denn sie sind bei ihm diejenigen, die ihre Partner mit Bedacht erwählen.

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