Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Unter Verdacht
Ermittlungen gegen Neu-Ulmer Bundestagsabgeordneten Nüßlein wegen Bestechlichkeit
BERLIN - Gegen Georg Nüßlein, CSU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Neu-Ulm, wird ermittelt. Der 51-Jährige steht im Verdacht, „im Zusammenhang mit dem Ankauf von Corona-Atemschutzmasken“, bestechlich gewesen zu sein. Gegen zwei Beschuldigte werde unter anderem wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern ermittelt, wie die Generalstaatsanwaltschaft München auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mitteilte. Nüßlein selbst reagierte am Donnerstag nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.
Am Donnerstagmorgen hatte der Bundestag mit einem einstimmigen Beschluss die Immunität des CSUPolitikers aufgehoben. Abgeordnete in Bundes- und Landesparlamenten sind grundsätzlich vor Strafverfolgung geschützt. Die Polizei darf nur wegen einer mutmaßlichen Straftat ermitteln und einen Parlamentarier verhaften, wenn der Bundestag dem zustimmt.
Mit dem Votum am Donnerstag machte das Parlament im Fall Nüßlein den Weg für Durchsuchungen in Büros an mehreren Standorten frei. 13 Objekte in Deutschland und in Liechtenstein sind nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft München durchsucht und Beweismittel sichergestellt worden.
Diese würden nun ausgewertet. Bei den Ermittlungen im Privathaus von Nüßlein im Landkreis Günzburg war der Ravensburger Bundestagsabgeordnete Axel Müller (CDU) als Zeuge des Parlaments dabei. „Das ist ein normaler Vorgang“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Damit soll sichergestellt werden, dass keine Unterlagen, die die Parlamentsarbeit betreffen, beschlagnahmt werden. Er war am Morgen von Berlin nach Stuttgart geflogen worden, ohne zunächst das Ziel seiner Reise zu kennen.
Das Portal ThePioneer berichtete, Nüßlein habe sich im vergangenen Frühjahr unter anderem beim Bundesgesundheitsministerium und beim bayerischen Gesundheitsministerium für einen Lieferanten von Corona-Schutzmasken eingesetzt. Der Großauftrag sei auch zustande gekommen. Dafür sei im August eine Provision von 660 000 Euro bei einer Firma eingegangen, an der Nüßlein beteiligt sei. In diesem Zusammenhang sei aber keine Umsatzsteuervoranmeldung erfolgt.
Laut „Bild“-Zeitung handelt es sich um eine Firma, bei der Nüßlein Geschäftsführer sei. Diese habe im Sommer rund 650 000 Euro erhalten, deklariert als Beraterhonorar. Die Summe soll demnach nicht direkt von einem Hersteller von Schutzmasken überwiesen worden sein, sondern von einem Zwischenhändler. Die Firma hätte für diesen Betrag eine Umsatzsteuervoranmeldung abgeben müssen, habe das aber nicht gemacht. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ist eine Textilfirma aus Hessen in den mutmaßlichen Bestechungsfall involviert. Auch bei diesem Unternehmen soll es am Donnerstag Ermittlungen gegeben haben.
Laut „Spiegel“hat sich Nüßlein unter anderem direkt an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gewandt, um für den hessischen Anbieter eine Zusage zu bekommen. Wie das Gesundheitsministerium dem Magazin bestätigte, sei es in der Anfangsphase der Pandemie häufig Praxis gewesen, dass „zahlreiche Abgeordnete des Deutschen Bundestags dem Bundesministerium für Gesundheit konkrete Hinweise auf Angebote
zum Kauf von persönliche Schutzausrüstung und anderen Versorgungsund Verbrauchsgütern gegeben bzw. weitergeleitet“haben. Spahn steht seit Monaten wegen überteuerter Preise für den Einkauf von Masken in der Kritik. Im April 2020 erteilte das Ministerium Zuschläge für Schutzausrüstung an 738 Lieferanten im Gesamtwert von 6,4 Milliarden Euro. Dies wurde im Auftrag des Bundestags zum Prüffall für den Bundesrechnungshof.
Georg Nüßlein gehört seit 2002 dem Bundestag an. Der 51-Jährige ist Gesundheitsexperte der CSU, zugleich ist er auch für Umweltschutz zuständig. Die CSU-Landesgruppe im Bundestag reagierte nur knapp auf die Nachrichten über die Ermittlungen gegen den stellvertretenden Unionsfraktionschef. „Die Aufhebung der Immunität ist ein normaler Vorgang, um Ermittlungen durchführen zu können. Es gilt wie immer in solchen Fällen die Unschuldsvermutung“, teilte ein Sprecher der CSU im Bundestag mit. Auch Abgeordnete von SPD und CDU betonten, dass für Nüßlein die Unschuldsvermutung gelte. Die SPD-Fraktionsvize
Katja Mast schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Wenn auch nur der Verdacht entsteht, dass sich ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages an der Corona-Krise persönlich bereichert, dann ist das ein sehr ernster, schwerwiegender Vorfall, der umfänglich aufgeklärt werden muss.“
Auf der Internetplattform abgeordnetenwatch.de hat Nüßlein mehrere Nebentätigkeiten angegeben, unter anderem eine Beteiligung an der Firma Tectum Holding GmbH. Aus zwei Aufsichtsratsposten und dem Betrieb eines Klein-Wasserkraftwerks bezieht er monatliche Nebeneinkünfte in Höhe von mehreren Tausend Euro. Die Einkünfte aus dem Wasserkraftwerk im Landkreis Günzburg bewegen sich zwischen 3500 und 7000 Euro monatlich (Stufe zwei der anzeigenpflichtigen Einkünfte), als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Firma On-Collect Solutions AG in Illertissen erhält er zwischen 1000 und 3500 Euro monatlich (Einkommensstufe 1) und als Mitglied des Aufsichtsrates der Sfirion AG in München 7000 bis 15 000 Euro (Einkommensstufe drei).