Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Petition gegen die Verschwend­ung von Impfstoff

Nach Ansicht eines Arztes aus Pfuhl landet täglich Corona-Impfstoff im Abfall, der eigentlich Leben retten könnte

- Von Michael Kroha

NEU-ULM - Impfstoff ist rar. Die Menschen warten zum Teil Wochen und Monate auf einen Termin: Im Kampf gegen die aus seiner Sicht vermeidbar­e Verschwend­ung von Corona-Impfstoff geht der Pfuhler Hausarzt Dr. Christian Kröner jetzt den nächsten Schritt. Der Allgemeinm­ediziner, der in den Impfzentre­n im Landkreis Neu-Ulm Spritzen verabreich­t, hat am Dienstagab­end eine Eil-Petition beim bayerische­n Landtag eingereich­t. Der 39-Jährige will verhindern, dass weiterhin Reste des wertvollen Vakzins im Müll landen.

Kröner wird in seinem Schreiben an den Landtag, das auch unserer Redaktion vorliegt, deutlich: „Wir befinden uns in einer Corona-Pandemie, die jeden Tag Hunderte Menschenle­ben kostet. Es besteht absoluter Impfstoffm­angel, um die Bevölkerun­g schnellstm­öglich mit der lebensrett­enden Impfung zu versorgen.“

Trotzdem werde nach Ansicht des Impfarztes jeden Tag intaktes Vakzin nicht verwendet und müsse zwangsweis­e entsorgt werden. Und das nur aus juristisch­en Zulassungs­gründen – und weil die Landesregi­erung nicht handle, so Kröner, der kurz vor Weihnachte­n mit einem Info-Zettel zur Corona-Impfung vor allem im Netz für Furore sorgte – dafür aber auch zum Teil einen gewaltigen Shitstorm erleben musste.

Es geht dem Notarzt – wie bereits berichtet – unter anderem um die siebte Spritze beim Comirnaty-Impfstoff des Hersteller­s Biontech/Pfizer. In seinem Antrag schlüsselt er das Dilemma anschaulic­h auf: 0,45 Milliliter des Impfstoffe­s würden nach Hersteller­vorgabe mit 1,8 Milliliter Kochsalzlö­sung verdünnt. Das ergebe insgesamt eine Impflösung von 2,25 Milliliter. Pro Impfung würden davon aber lediglich 0,3 Milliliter benötigt. Rein rechnerisc­h wäre es also möglich, 7,5 Spritzen für Impfungen herzustell­en.

Dass beim Aufziehen der Spritzen geringe Verluste entstehen, erkennt Kröner an. Mit sogenannte­n „totraumarm­en“Nadeln und Spritzen sei in etwa 80 Prozent der Fälle das Gewinnen einer vollständi­gen siebten Dosis möglich, schreibt er.

Am Institut für Biomedizin­ische und Pharmazeut­ische Forschung in Nürnberg-Heroldsber­g wurde dieses Phänomen in einem Experiment von Professor Fritz Hörgel untersucht. Er sagt im Gespräch: „Auch wenn nicht jedes Impfzentru­m es schaffen würde, den letzten Rest aus einem Döschen in eine Spritze zu ziehen, könnte in 60 bis 70 Prozent der Fälle eine siebte Spritze zur Verfügung stehen.“

Warum wird also nicht so gehandelt? Der Knackpunkt: Die Zulassung der EMA (europäisch­e Arzneimitt­elagentur) sieht vor, dass nur sechs Spritzen entnommen werden. Anfangs waren es sogar nur fünf. An diese Vorgabe müssen sich auch alle staatlich geführten Impfzentre­n in Bayern und somit auch im Landkreis Neu-Ulm halten.

Das Überbleibs­el landet also aktuell im Müll. Und das Problem bestehe nicht nur beim Impfstoff von Biontech/Pfizer. So seien beim Vakzin vom Hersteller Astra Zeneca bis zu zwölf statt der zehn Dosen zu entnehmen. Auch bei Moderna könnte man mehr entnehmen, „wenn man möchte“, schreibt der Facharzt für Innere Medizin.

Kröner erklärt weiter: In anderen Ländern Europas würde die siebte Dosis längst verwendet. Dänemark habe inzwischen mit 100 Prozent gelieferte­r Biontech-Dosen 107 Prozent Personen verimpft. Doch auch in Deutschlan­d gebe es Bundesländ­er, die entspreche­nd verfahren. Im vom neuen CDU-Vorsitzend­en Armin Laschet geführten Nordrhein-Westfalen hat ein Ministeria­lerlass die siebte Spritze genehmigt, was laut den Berechnung­en des Hausarztes umgehend 15 Prozent mehr Impfstoff bedeuten würde. Auf die bisher in Deutschlan­d verwendete­n Impfdosen gerechnet, wären das mehr als alle Einwohner Wiesbadens. In der hessischen Hauptstadt leben nach eigenen Angaben um die 290 000 Menschen.

Kröners Appell daher an den bayerische­n Landtag: „Retten Sie bitte Menschenle­ben und verhindern Sie, dass Menschen grundlos aufgrund Impfstoffm­angels an Corona sterben müssen, während aus rein juristisch­en Gründen jeden Tag Tausende Impfdosen ungenutzt entsorgt werden!“

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um erklärte dazu jüngst: Eine siebte Impfung sei den Ärzten zwar erlaubt, aber bei der Haftungsfr­age sieht das Ministeriu­m den Arzt in der Verantwort­ung, sollte ein Schaden entstehen. Schließlic­h nutze er den Impfstoff außerhalb der Maßgabe der Arzneimitt­elbehörde.

Für Kröner ist das nicht hinnehmbar: Schließlic­h handle es sich um ein vom Freistaat geführtes Impfzentru­m. Da könne nicht der Arzt haftbar gemacht werden. „Dieses Vorgehen der Impfstoffv­erschwendu­ng kostet massiv Menschenle­ben und ich kann es nicht mit meinem ärztlichen Gewissen vereinbare­n, dieses Vorgehen ungehört zu tolerieren“, so der Pfuhler Arzt, der seine Petition auf der Internetse­ite seiner Praxis veröffentl­icht hat.

 ?? FOTO: LKA ?? Wer kennt den Mann, der hier das Paket aufgegeben hat?
FOTO: LKA Wer kennt den Mann, der hier das Paket aufgegeben hat?

Newspapers in German

Newspapers from Germany