Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Weniger Verkehr und trotzdem mobil
Streitpunkte vor der Landtagswahl – Wie wir uns aus Sicht der Parteien fortbewegen werden
STUTTGART - Mobilität ist ein Grundbedürfnis der Menschen, ein gutes Verkehrsnetz essenziell wichtig für unternehmerischen Erfolg im Südwesten. Was versprechen die Parteien in ihren Programmen zur Landtagswahl, wie die Mobilität in Zukunft aussehen soll – und was wollen sie dafür tun? Ein Überblick.
Infrastruktur
Fast die Hälfte der Teilnehmer einer Umfrage des Allensbach-Instituts im Auftrag der baden-württembergischen Tageszeitungen gab jüngst an, dass die marode Infrastruktur das drängendste Problem im Südwesten sei. Offizielle Zahlen liefern indes ein differenzierteres Bild. Weitgehend automatisiert werden alle vier Jahre die Straßen im Land auf ihren Zustand überprüft. Der Wert bei den Bundesstraßen hat sich demnach von 2011 bis 2019 von 3,2 auf 3,0 verbessert, der Zustand der Landesstraßen zwischen 2012 und 2016 leicht von 3,5 auf 3,4.
Beim Bau neuer Straßen gehen die Meinungen auseinander. Die AfD ist für einen bedarfsgerechten Ausbau, CDU und FDP setzen auf Sanierung, aber auch auf Neubau von Straßen – die CDU nennt als Beispiele Ortsumfahrungen oder Stauschwerpunkte. Da Infrastrukturprojekte aus Sicht der CDU zu häufig juristisch aufgehalten werden, will sie am Verwaltungsgerichtshof einen Infrastruktur-Senat aufbauen und die Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung überprüfen. Auch die FDP will die Umsetzung von Verkehrsprojekten beschleunigen.
Linke, SPD und Grüne setzen ihren Schwerpunkt indes weiter auf Sanierung – die beiden letzteren nehmen vor allem marode Brücken in den Blick. An vielen Orten wollen die Grünen Fahrspuren reservieren für umweltfreundliche Verkehrsmittel: für Busse, E-Autos und Fahrzeuge, in denen mehrere Menschen sitzen. Sie sprechen sich klar gegen neue Bundesstraßen und Autobahnen aus und planen, Bauprojekte an Landesstraßen alle fünf Jahre zu evaluieren. Bei der Förderung von Kreisstraßen sollen ökologische Kriterien stärker zum Tragen kommen. Einig sind sich Grüne und SPD in ihrer Forderung, dass sich jeder Stadt- und Landkreis einen Mobilitätsplan erstellen soll. Dieser soll Emissionsziele für den Verkehr festlegen.
Mobilitätswende
Im Sinne des Klimaschutzes ist der Verkehrssektor das Sorgenkind. In jedem anderen Bereich sind die Treibhausgasemissionen in den vergangenen Jahren zurückgegangen – hier nicht. Dabei ist der Verkehr für 30 Prozent der Emissionen verantwortlich. Zwar werden Autos immer umweltfreundlicher, allerdings auch immer zahlreicher, größer und schwerer – und verbrauchen dadurch mehr Kraftstoff.
Die Grünen streben einen klimafreundlichen Autoverkehr an. Sie – wie auch die SPD – setzen auf mehr E-Ladesäulen: Jeder soll im Umkreis von fünf Kilometern mindestens eine Schnellladesäule finden, erklären die Grünen. „Auch Wasserstofftankstellen für den Lkw-Verkehr werden wir verdoppeln“, heißt es im Wahlprogramm. Die CDU will eine Million private Ladepunkte fördern und 100 000 öffentliche Ladepunkte schaffen. Nach dem Willen der FDP soll indes keine Technologie bevorzugt und daher keine Infrasturktur einseitig gefördert werden. Einen Fokus legen viele Parteien auf die Forschung an neuen Antriebstechnologien – darunter die FDP. Die SPD etwa will hier deutlich mehr in Elektro- und Wasserstoffmobilität sowie andere Kraftstoffe investieren. Denn: „Der Verbrennungsmotor mit fossilen Kraftstoffen hat keine Zukunft.“Wie der Ausstieg gelingen kann, soll in einem Dialogprozess auf Bundesebene wie zum Ausstieg aus der Kohle erarbeitet werden. Dank eines Fonds im Land sollen vor allem Zulieferer diese Transformation schaffen. Auch die CDU will entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, will sich um die Ansiedlung von Batterieforschung im Land bemühen und mehr Fokus als bisher auf Wasserstoff legen – indem sie etwa einen Wasserstoffbeauftragten beruft. „Baden-Württemberg
soll Marktführer bei der Wasserstofftechnologie werden“, erklärt sie – gleiches gelte für die Technik zur Erzeugung synthetischer Kraftstoffe. Auch die FDP legt einen Fokus auf Wasserstoff und auf E-Fuels, spricht sich aber zudem für umweltfreundliche Dieselmotoren aus. Generell streben CDU und FDP einen offenen, ideologiefreien Wettbewerb aller Verkehrsmittel und aller Technologien an. Anders als die AfD, die in ihrer Präferenz sehr klar ist: Die E-Mobilität bezeichnet sie als Irrweg und sagt Ja zum Diesel. Sie erklärt: „Die sogenannte ,Verkehrswende’ gefährdet unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand.“Elektromobilität und Wasserstoffantrieb sollen nicht gefördert werden und Verkehrsplanungen für Bahn, Fahrrad und ÖPNV nur „im wirtschaftlichen Maß“erfolgen.
Bei der Zukunft des Güterverkehrs sind sich alle Parteien außer der AfD einig: In Zukunft sollen Waren verstärkt auf der Schiene und auf Flüssen transportiert werden. Die Grünen wollen mehr Autobahnen und Bundesstraßen mit Oberleitungen für E-Laster ausstatten. Bis 2030 soll nämlich jede dritte Tonne an Gütern klimaneutral transportiert werden.
Ganz unterschiedlich positionieren sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen zu den Flughäfen im Land. Den Bau weiterer Landebahnen lehnen Grüne und Linke ab. Die Linken wollen Regionalflughäfen abbauen, die Grünen ihnen kein Landesgeld mehr zukommen lassen – wie dies zuletzt immer mal wieder in Richtung Bodensee-Airport in Friedrichshafen geflossen ist. Die CDU sieht in Regionalflughäfen indes einen wichtigen Standortfaktor für die Wirtschaft und möchte diese erhalten. Pilotprojekte dort sollen dazu beitragen, den Flugverkehr emissionsärmer zu machen.
Bei den Regionalbahnen, für die das Land zuständig ist, sind sich die Parteien einig: Alle sprechen sich für eine Stärkung der Schiene aus. Fast alle nennen dabei als Ziel, mehr Bahnstrecken als bisher zu elektrifizieren. Neben der Bahn ist gerade auf dem Land der Bus die Säule des ÖPNV. Grüne und SPD versprechen, dass künftig alle Orte mindestens im Stundentakt von fünf Uhr früh bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein sollen. Gemeinsames Ziel: Bis 2030 sollen doppelt so viele Menschen mit Bus und Bahn fahren wie bisher. Dafür wollen die beiden Parteien den ÖPNV massiv ausbauen. Das will auch die Linke und fordert den kostenlosen Transport des Rads in Bussen und Bahnen sowie mehr nächtliche Fahrangebote. Für FDP und CDU ist der Bus das Rückgrat des ÖPNV auf dem Land. Die CDU will dafür in die Forschung von automatisiert fahrenden Shuttle-Bussen investieren, die die Menschen dort von ihrem Wohnort zum nächsten Bahnhof bringen könnten. Auch die FDP sieht im autonomen Fahren eine große Chance.
Für einige Parteien spielen nicht nur das Angebot, sondern auch die Kosten im ÖPNV eine wesentliche Rolle. Während die Linke einen Nahverkehr zum Nulltarif fordert und die SPD ein 365-Euro-Ticket für ÖPNVFahrten im ganzen Land vorsieht, wollen die Grünen ein Jahresticket, das für Strecken vor Ort nicht mehr als einen Euro pro Tag kostet, zwei Euro für Fahrten in der Region und drei Euro für das ganze Land.
LANDTAGSWAHLEN 2021
Öffentlicher Nahverkehr
Geringe Ticketpreise bei gleichzeitigem Ausbau des Angebots? Das Geld für einen besseren ÖPNV soll nicht allein vom Land kommen, fordern Grüne und SPD. Sie wollen den Kommunen die gesetzliche Möglichkeit geben, eine Nahverkehrsabgabe einzuführen – die Grünen sprechen von einem Mobilitätspass. Damit können etwa alle Erwachsenen, alle Autofahrer oder auch alle Kfz-Halter zur Finanzierung des Nahverkehrs zur Kasse gebeten werden. Im Gegenzug dürfen sie dann Bus und Bahn kostenlos nutzen.
Die Linke setzt bei der Mobilität im ländlichen Raum auf eine Kombination aus Radschnellwegen, Ruf- und Bürgerbusse sowie Anrufsammeltaxen, um Lücken zu schließen. Dazu bekennt sich auch die FDP. Die CDU will Orts- und Bürgerbusse sowie soziale Fahrdienste weiter fördern und integrieren.
Radfahrer und Fußgänger
Jede zweite Strecke sollen die Bürger künftig mit dem Rad oder zu Fuß zurücklegen – dieses Ziel hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bis 2030 gesteckt. Alle Parteien außer der AfD bekennen sich klar zum Ausbau des Radwegenetzes. Die AfD möchte dies nur, wenn es nicht zu Lasten des Autos geht. Grüne und SPD wollen zudem Kommunen dabei unterstützen, wenn sie ihre Innenstädte vom Autoverkehr befreien wollen. Konkret sehen beide in der Digitalisierung eine Chance, Verkehrsmittel besser zu kombinieren. Das will auch die CDU und verspricht eine übergreifende Mobilitätsplattform. Die FDP will Ladestationen für E-Bikes anbieten und das Angebot an Mieträdern ausbauen. Für die Liberalen ist die Digitalisierung zudem ein wesentlicher Faktor, um Verkehre zu vernetzen und Staus sowie Unfälle zu vermeiden. „Unsere Bahnhöfe der Zukunft verbinden möglichst unkompliziert Züge mit Bussen, Park-and-Ride oder SharingMöglichkeiten“, erklärt zudem die SPD. Die Grünen wollen Fahrradparkhäuser und Abstellboxen fördern und fordern Städte auf, jedes Jahr Parkplätze zu streichen, um so mehr Platz für Rad- und Fußverkehr zu schaffen. Die FDP fordert spezielle Parkplätze in den Kommunen für Car-Sharing-Fahrzeuge.
Die Linke formuliert das Ziel, dass bis 2035 in Innenstädten 90 Prozent der Wege mit dem Rad, zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Die AfD dagegen hält solche Ideen für eine „schikanöse Behinderung des Individualverkehrs“, die sie unbedingt beenden möchte.
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