Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Zwei Jahrzehnte Volldampf
Wie es die Tuttlinger Firma Storz & Bickel in der Cannabisbranche zum Kultstatus brachte
TUTTLINGEN - Es sieht aus wie eine Highend-Küchenmaschine, kostet 600 Euro und produziert – heiße Luft. Das konische Trumm in Edelstahl, das auf den Namen Volcano getauft wurde, ist – glaubt man der begeisterten Kundschaft – der weltweit führende Kräuterverdampfer. Wobei Kräuterverdampfer die Zweckbestimmung des Geräts sehr global beschreibt. Denn verdampft wird im Volcano vor allem eines: Cannabisblüten.
Entwickelt und gebaut wird der Vaporizer (englisch für Verdampfer) von der Tuttlinger Firma Storz & Bickel. Rund 250 000 Geräte dürfte das Unternehmen im aktuellen Geschäftsjahr 2020/21 (31. März) verkaufen – neben dem Volcano umfasst die Produktpallette noch die handlicheren, akkubetriebenen Modelle Mighty und Crafty – und damit einen Umsatz von 50 Millionen Euro erwirtschaften.
An solche Zahlen war vor knapp 20 Jahren, zum Zeitpunkt der Gründung von Storz & Bickel, nicht zu denken. Damals, im Jahr 2002, hatte Markus Storz schon einige Jahre am Volcano getüftelt und 1998 auch ein Patent für das Gerät eingereicht. Doch ein auskömmliches Geschäft ist es nicht. Das bleibt auch mit dem Eintritt von Jürgen Bickel erst einmal so, der zur Jahrtausendwende seine gesamten Ersparnisse in das Unternehmen steckt und 50-Prozent-Partner wird. „Für Markus und mich war es schon ein riesiger Erfolg, als wir uns das erste Mal ein eigenes Gehalt bezahlen konnten“, erinnert sich Bickel.
Die Wachstumsstory beginnt im Jahr 2005 mit der Expansion nach Amerika, wo im sonnigen und fortschrittlichen Kalifornien Cannabis für medizinische Zwecke bereits legalisiert worden war. Beide waren zur rechten Zeit am rechten Ort, und eine Zeit lang spielte sich ihr berufliches Leben auf der Strecke Tuttlingen – Oakland ab, wo sie in einer Mietwohnung ihren Firmensitz hatten.
Das Erfolgsgeheimnis von Storz & Bickel erklären die Unternehmer so: „Wir sind in der Lage, mit unseren Geräten gleichbleibend und gradgenau heiße Luft zu produzieren.“Zwischen 180 und 230 Grad können die Wirkstoffe von Cannabis- oder Hanfblüten – vor allem THC – nämlich als Aerosole gelöst werden. Schadstoffe, wie sie beim Rauchen von Cannabis durch das Verbrennens des Krauts entstehen, werden dadurch vermieden.
Für die medizinische Anwendung von Cannabis ist die Verdampfung und anschließende Inhalation deshalb die einzig akzeptierte Methode, wenn es darum geht, eine schnelle Wirkung zu erzielen. Denn im Gegensatz zur oralen Einnahme über Tees oder Kekse, bei der die Wirkung der Cannabinoide bis zu 90 Minuten auf sich warten lässt, tritt sie bei der Inhalation schon nach ein bis zwei Minuten ein.
Der Einstieg in den Medizintechniksektor war Storz & Bickel also vorbestimmt. „Für uns war immer klar:
Es kann nicht sein, dass man ein Medikament rauchen muss. Die Applikationsmethode war schlicht inakzeptabel“, erklärt Bickel die Motivation der Firma. Als einziges Unternehmen weltweit bieten die Tuttlinger deshalb seit 2010 eine Medic-Linie an, zertifiziert vom TÜV Süd, um den höchsten Qualitätsstandards zu entsprechen.
Der wirtschaftliche Aspekt steht hier nicht unbedingt im Vordergrund, es war dem Unternehmen aber ein Anliegen, einen Beitrag zur Akzeptanz von Cannabis als Medizin zu leisten, das vor allem bei chronischen Schmerzen aber auch bei Spastik und Muskelkrämpfen therapeutisch eingesetzt wird. Mit Erfolg. Mittlerweile erstatten Krankenkassen in Deutschland Cannabispatienten auf Antrag die Kosten eines Volcano oder Mighty Medic zurück.
Den Großteil des Absatzes macht Storz & Bickel aber mit nicht-medizinischen Geräten für Freizeitkonsumenten.
In Ländern wie Deutschland führt das zu einer paradoxen Situation für die Storz-&-Bickel-Kunden: Denn während der Cannabiskonsum an sich zwar erlaubt ist, sind Erwerb, Besitz, Verkauf und Anbau der Hanfpflanzen verboten.
Der Legalisierungsdruck allerdings steigt. Erst kürzlich hat die Suchtkommission der Vereinten Nationen Cannabis und Haschisch von der Liste der gefährlichsten Drogen gestrichen – immerhin auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation. Dem Erfolg von Storz & Bickel tut dieser Umstand aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Über die Jahre hinweg avanciert der Volcano zum Kultprodukt und Statussymbol unter Cannabis-Connaisseuren. Das bleibt auch im fernen Kanada nicht unbemerkt. Genauer gesagt, in dem 9000Einwohner-Örtchen Smith Falls, eine knappe Autostunde von der Hauptstadt Ottawa entfernt. Dort sitzt Canopy Growth, Kanadas größter Produzent von medizinischem Cannabis. In dem zweitgrößten Flächenland der Welt ist der Konsum der Hanfblüten seit Oktober 2018 legal – und eine ganze Branche wie im Rausch.
Canopy Growth nimmt Kontakt mit den beiden Unternehmern in Tuttlingen auf und macht ihnen ein Übernahmeangebot: Umgerechnet 145 Millionen Euro wollen die Kanadier für Storz & Bickel zahlen – und die beiden Gesellschafter willigen ein.
Canopy Growth’s damaliger Chief Technical Officer Pete Popplewell begründet die Übernahme so: „Storz & Bickel haben den VerdampferMarkt buchstäblich erfunden. Sie stellen die leistungsstärksten, qualitativ hochwertigsten und angesehensten Produkte des Segments her. Es gibt einfach nichts Vergleichbares am Markt. Wir mussten also nicht lange überlegen, da einzusteigen.“
Während Markus Storz mit Tag eins der Übernahme aus der Geschäftsführung aussteigt und seitdem nur noch beratend mitwirkt, bleibt Jürgen Bickel an Bord und übernimmt zwischenzeitlich noch die Verantwortung der europäischen Aktivitäten von Canopy Growth.
Die Hoffnungen, sagt Bickel, die mit der Übernahme einhergingen – Standortsicherheit, Wachstum und internationale Expansion – hätten sich rückblickend erfüllt. Heute beschäftigt Storz & Bickel 200 Mitarbeiter, exportiert seine Produkte in rund 100 Länder weltweit und erzielt jährliche Umsatzsteigerungen von 30 Prozent. Dieses Wachstum benötigt Raum. Deshalb sollen bis Mai dieses Jahres am Standort Tuttlingen zu den bestehenden 5900 Quadratmetern Produktionsfläche weitere 3700 Quadratmeter hinzukommen.
Auch die Firmenkultur habe sich Storz & Bickel erhalten – trotz der Übernahme durch einen börsennotierten Konzern. „Wir haben zwar einen Unabhängigkeitskampf hinter uns“, sagt Bickel. Doch solange die Ergebnisse stimmen, Umsatz und Gewinn zulegen, und der Spielraum da ist, selbst etwas zu gestalten, lassen die Kanadier, hinter denen inzwischen der US-amerikanische Bier- und Wein-Multi Constellation Brands steht (Corona-Bier), Storz & Bickel „an der langen Leine“.
Wie lange Mitgründer Bickel noch an Bord bleibt lässt er offen. „Es ist noch immer das eigene Baby, auch wenn es einem nicht mehr gehört“, sagt der Unternehmer, der inzwischen nur noch Manager ist.