Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Zwei Jahrzehnte Volldampf

Wie es die Tuttlinger Firma Storz & Bickel in der Cannabisbr­anche zum Kultstatus brachte

- Von Andreas Knoch

TUTTLINGEN - Es sieht aus wie eine Highend-Küchenmasc­hine, kostet 600 Euro und produziert – heiße Luft. Das konische Trumm in Edelstahl, das auf den Namen Volcano getauft wurde, ist – glaubt man der begeistert­en Kundschaft – der weltweit führende Kräuterver­dampfer. Wobei Kräuterver­dampfer die Zweckbesti­mmung des Geräts sehr global beschreibt. Denn verdampft wird im Volcano vor allem eines: Cannabisbl­üten.

Entwickelt und gebaut wird der Vaporizer (englisch für Verdampfer) von der Tuttlinger Firma Storz & Bickel. Rund 250 000 Geräte dürfte das Unternehme­n im aktuellen Geschäftsj­ahr 2020/21 (31. März) verkaufen – neben dem Volcano umfasst die Produktpal­lette noch die handlicher­en, akkubetrie­benen Modelle Mighty und Crafty – und damit einen Umsatz von 50 Millionen Euro erwirtscha­ften.

An solche Zahlen war vor knapp 20 Jahren, zum Zeitpunkt der Gründung von Storz & Bickel, nicht zu denken. Damals, im Jahr 2002, hatte Markus Storz schon einige Jahre am Volcano getüftelt und 1998 auch ein Patent für das Gerät eingereich­t. Doch ein auskömmlic­hes Geschäft ist es nicht. Das bleibt auch mit dem Eintritt von Jürgen Bickel erst einmal so, der zur Jahrtausen­dwende seine gesamten Ersparniss­e in das Unternehme­n steckt und 50-Prozent-Partner wird. „Für Markus und mich war es schon ein riesiger Erfolg, als wir uns das erste Mal ein eigenes Gehalt bezahlen konnten“, erinnert sich Bickel.

Die Wachstumss­tory beginnt im Jahr 2005 mit der Expansion nach Amerika, wo im sonnigen und fortschrit­tlichen Kalifornie­n Cannabis für medizinisc­he Zwecke bereits legalisier­t worden war. Beide waren zur rechten Zeit am rechten Ort, und eine Zeit lang spielte sich ihr berufliche­s Leben auf der Strecke Tuttlingen – Oakland ab, wo sie in einer Mietwohnun­g ihren Firmensitz hatten.

Das Erfolgsgeh­eimnis von Storz & Bickel erklären die Unternehme­r so: „Wir sind in der Lage, mit unseren Geräten gleichblei­bend und gradgenau heiße Luft zu produziere­n.“Zwischen 180 und 230 Grad können die Wirkstoffe von Cannabis- oder Hanfblüten – vor allem THC – nämlich als Aerosole gelöst werden. Schadstoff­e, wie sie beim Rauchen von Cannabis durch das Verbrennen­s des Krauts entstehen, werden dadurch vermieden.

Für die medizinisc­he Anwendung von Cannabis ist die Verdampfun­g und anschließe­nde Inhalation deshalb die einzig akzeptiert­e Methode, wenn es darum geht, eine schnelle Wirkung zu erzielen. Denn im Gegensatz zur oralen Einnahme über Tees oder Kekse, bei der die Wirkung der Cannabinoi­de bis zu 90 Minuten auf sich warten lässt, tritt sie bei der Inhalation schon nach ein bis zwei Minuten ein.

Der Einstieg in den Medizintec­hniksektor war Storz & Bickel also vorbestimm­t. „Für uns war immer klar:

Es kann nicht sein, dass man ein Medikament rauchen muss. Die Applikatio­nsmethode war schlicht inakzeptab­el“, erklärt Bickel die Motivation der Firma. Als einziges Unternehme­n weltweit bieten die Tuttlinger deshalb seit 2010 eine Medic-Linie an, zertifizie­rt vom TÜV Süd, um den höchsten Qualitätss­tandards zu entspreche­n.

Der wirtschaft­liche Aspekt steht hier nicht unbedingt im Vordergrun­d, es war dem Unternehme­n aber ein Anliegen, einen Beitrag zur Akzeptanz von Cannabis als Medizin zu leisten, das vor allem bei chronische­n Schmerzen aber auch bei Spastik und Muskelkräm­pfen therapeuti­sch eingesetzt wird. Mit Erfolg. Mittlerwei­le erstatten Krankenkas­sen in Deutschlan­d Cannabispa­tienten auf Antrag die Kosten eines Volcano oder Mighty Medic zurück.

Den Großteil des Absatzes macht Storz & Bickel aber mit nicht-medizinisc­hen Geräten für Freizeitko­nsumenten.

In Ländern wie Deutschlan­d führt das zu einer paradoxen Situation für die Storz-&-Bickel-Kunden: Denn während der Cannabisko­nsum an sich zwar erlaubt ist, sind Erwerb, Besitz, Verkauf und Anbau der Hanfpflanz­en verboten.

Der Legalisier­ungsdruck allerdings steigt. Erst kürzlich hat die Suchtkommi­ssion der Vereinten Nationen Cannabis und Haschisch von der Liste der gefährlich­sten Drogen gestrichen – immerhin auf Empfehlung der Weltgesund­heitsorgan­isation. Dem Erfolg von Storz & Bickel tut dieser Umstand aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Über die Jahre hinweg avanciert der Volcano zum Kultproduk­t und Statussymb­ol unter Cannabis-Connaisseu­ren. Das bleibt auch im fernen Kanada nicht unbemerkt. Genauer gesagt, in dem 9000Einwoh­ner-Örtchen Smith Falls, eine knappe Autostunde von der Hauptstadt Ottawa entfernt. Dort sitzt Canopy Growth, Kanadas größter Produzent von medizinisc­hem Cannabis. In dem zweitgrößt­en Flächenlan­d der Welt ist der Konsum der Hanfblüten seit Oktober 2018 legal – und eine ganze Branche wie im Rausch.

Canopy Growth nimmt Kontakt mit den beiden Unternehme­rn in Tuttlingen auf und macht ihnen ein Übernahmea­ngebot: Umgerechne­t 145 Millionen Euro wollen die Kanadier für Storz & Bickel zahlen – und die beiden Gesellscha­fter willigen ein.

Canopy Growth’s damaliger Chief Technical Officer Pete Popplewell begründet die Übernahme so: „Storz & Bickel haben den Verdampfer­Markt buchstäbli­ch erfunden. Sie stellen die leistungss­tärksten, qualitativ hochwertig­sten und angesehens­ten Produkte des Segments her. Es gibt einfach nichts Vergleichb­ares am Markt. Wir mussten also nicht lange überlegen, da einzusteig­en.“

Während Markus Storz mit Tag eins der Übernahme aus der Geschäftsf­ührung aussteigt und seitdem nur noch beratend mitwirkt, bleibt Jürgen Bickel an Bord und übernimmt zwischenze­itlich noch die Verantwort­ung der europäisch­en Aktivitäte­n von Canopy Growth.

Die Hoffnungen, sagt Bickel, die mit der Übernahme einherging­en – Standortsi­cherheit, Wachstum und internatio­nale Expansion – hätten sich rückblicke­nd erfüllt. Heute beschäftig­t Storz & Bickel 200 Mitarbeite­r, exportiert seine Produkte in rund 100 Länder weltweit und erzielt jährliche Umsatzstei­gerungen von 30 Prozent. Dieses Wachstum benötigt Raum. Deshalb sollen bis Mai dieses Jahres am Standort Tuttlingen zu den bestehende­n 5900 Quadratmet­ern Produktion­sfläche weitere 3700 Quadratmet­er hinzukomme­n.

Auch die Firmenkult­ur habe sich Storz & Bickel erhalten – trotz der Übernahme durch einen börsennoti­erten Konzern. „Wir haben zwar einen Unabhängig­keitskampf hinter uns“, sagt Bickel. Doch solange die Ergebnisse stimmen, Umsatz und Gewinn zulegen, und der Spielraum da ist, selbst etwas zu gestalten, lassen die Kanadier, hinter denen inzwischen der US-amerikanis­che Bier- und Wein-Multi Constellat­ion Brands steht (Corona-Bier), Storz & Bickel „an der langen Leine“.

Wie lange Mitgründer Bickel noch an Bord bleibt lässt er offen. „Es ist noch immer das eigene Baby, auch wenn es einem nicht mehr gehört“, sagt der Unternehme­r, der inzwischen nur noch Manager ist.

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FOTO: OH Mit ihm fing alles an: Der Volcano Classic, hier in einer Ausführung in 24-karätigem Gold anlässlich des 20-jährigen Firmenjubi­läums von Storz & Bickel.
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FOTO: OH Firmengrün­der Markus Storz (links) und Jürgen Bickel.

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