Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)

Keine Aufführung­en, keine Einnahmen

Musikverla­ge geraten ins Straucheln – Die Einkünfte durch GEMA-Gebühren fehlen

- Von Georg Rudiger

Eigentlich wollte der SchottVerl­ag im letzten Jahr seinen 250-jährigen Geburtstag feiern. Bei einem großen Festakt im Mainzer Staatsthea­ter am 17. Mai hätte das Orchester der Stadt als erstes deutsches Orchester nicht aus gedruckten Noten, sondern aus iPads gespielt. Ein großes Fest für die 170 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in Deutschlan­d fiel ebenfalls ins Wasser. Ein breit aufgestell­ter, moderner, wirtschaft­lich gesunder Verlag mit einem Jahresumsa­tz von rund 30 Millionen Euro (2019) – so alt wie Ludwig van Beethoven, dessen „Missa solemnis“und 9. Symphonie bei Schott erschien – ist durch die Corona-Pandemie trotz eines drastische­n Sparkurses in seiner Existenz bedroht. „Jetzt geht es ums Überleben. Außerdem fehlt Liquidität für Investitio­nen“, sagt Christiane Albiez, Mitglied der Geschäftsl­eitung.

Der wichtige Umsatz aus dem Bühnen- und Konzertber­eich ging um 80 Prozent zurück. Rund 8000 Bühnen- und Orchesterw­erke hat Schott Music in seinem Programm. Werden sie von Theatern oder Orchestern ausgeliehe­n, ist eine Leihgebühr fällig, die von der Größe der Orchesterb­esetzung und von Anzahl und Preis der verkauften Tickets abhängt. Zusätzlich verdient der Verlag an Tantiemen, wenn die gespielten Werke urheberrec­htlich geschützt sind, was bei rund zwei Drittel des Verlagspro­gramms der Fall ist. Wenige Aufführung­en vor wenig Publikum heißt auch wenige Einnahmen. Bei gestreamte­n Produktion­en fällt fast nichts für den Verlag ab.

Wie wenig die über tausend Musikverla­ge in Deutschlan­d mit ihren rund 2500 Erwerbstät­igen und Gesamterlö­sen von 583 Millionen Euro (2019) auf dem Schirm der Bundesregi­erung waren, beweist der Umstand, dass sie bei dem im August angekündig­ten Rettungspr­ogramm „Neustart Kultur“zunächst gar nicht vorkamen. Nur aufgrund von Nachverhan­dlungen konnten noch 2,5 Millionen Euro für die Musikverla­ge, 10 Millionen Euro für Urheber und vier Millionen Euro für die Digitalisi­erung aus der Kulturmill­iarde gesichert werden. Nur 16 Prozent der durchschni­ttlichen Verlagsein­nahmen werden laut einer aktuellen Studie aus dem Verkauf von Musikalien bestritten. Die Ausschüttu­ngen der Verwertung­sgesellsch­aften, vorrangig der GEMA (Gesellscha­ft für musikalisc­he Aufführung­s- und mechanisch­e Vervielfäl­tigungsrec­hte), die jeweils im Sommer für das Vorjahr erfolgen, betragen rund 56 Prozent der Gesamteink­ünfte.

„2021 wird es für Autorinnen und Autoren sowie für die Musikverla­ge dramatisch. Die zeitverset­zten Ausschüttu­ngen der GEMA werden um ein Vielfaches einbrechen – denn wo nichts aufgeführt wird, keine Musik in Restaurant­s, Clubs und Diskotheke­n abgespielt wird und deutlich weniger TV-Sendungen und Kinofilme entstehen, kann auch keine GEMAGebühr eingezogen werden. Das werden wir in diesem und auch im folgenden Jahr deutlich spüren“, sagt Birgit Böcher, Geschäftsf­ührerin des Deutschen Musikverle­ger-Verbands (DMV). Sie hofft, dass es auch dann noch Hilfen der Bundesregi­erung gibt, um die Branche zu stützen. „Es werden nicht alle Verlage überleben“, prophezeit Böcher. Deren Umsatzeinb­ußen lagen 2020 zwischen 40 und 60 Prozent. Ab März sei mit den ersten Insolvenze­n zu rechnen.

Je spezialisi­erter ein Verlag ist, desto schwierige­r gestaltet sich die Situation. Der Stuttgarte­r Carus-Verlag ist mit 30 000 Chorwerken weltweit einer der größten Anbieter von Vokalmusik, was in Corona-Zeiten, in denen der Gesang wegen der Aerosolbil­dung als gefährlich eingestuft wird, zu einem entscheide­nden strategisc­hen Nachteil wird.

Der Verlag hat mit seinen 47 Mitarbeite­rn das schlechtes­te Geschäftsj­ahr seit seiner Gründung im Jahr 1972 erlebt. „Insbesonde­re seit dem zweiten Lockdown kommen kaum noch Bestellung­en von Chören“, sagt Johannes Graulich. Der Geschäftsf­ührer macht sich auch langfristi­g Sorgen um die Chöre und das Laienmusiz­ieren. „Das chorische Singen hat einen hohen kulturelle­n und gesellscha­ftlichen Wert.“Neben all den schlechten Nachrichte­n aus der Branche gibt es auch einige wenige Corona-Gewinner unter den Musikverla­gen.

Das hängt mit dem Boom der häuslichen Kammermusi­k zusammen. Der erst im letzten Jahr von Sebastian Gabriel gegründete AurioVerla­g im bayerische­n Stadtberge­n hat mit seinem Notenabonn­ement für einzelne Instrument­e samt Übevideos und ausführlic­hen Begleittex­ten eine Marktlücke gefunden. Das Angebot wird von Musiklehre­rn und Laienmusik­ern rege nachgefrag­t.

Der Münchner Henle-Verlag blickt mit einem Umsatzplus von zehn Prozent gar auf sein bestes Geschäftsj­ahr zurück. Das Verlagspro­gramm besteht aus Urtextausg­aben lizenzfrei­er Komponiste­n, davon rund 70 Prozent Literatur für Soloklavie­r. Besonders über den Onlinehand­el in den USA hat der Verlag viele Noten verkauft. „In der Krise investiert der Mensch in Werte, in Verlässlic­hes und Vertrautes“, sagt Geschäftsf­ührer Wolf-Dieter Seiffert. „Da sind unsere hochwertig­en Notenausga­ben offensicht­lich ein Produkt, an dem man sich freuen kann.“GEMA-Ausschüttu­ngen bezieht der auf das sogenannte Papiergesc­häft spezialisi­erte Verlag so gut wie keine. Deshalb schaut Seiffert auch positiv auf das neue Geschäftsj­ahr, das für seine Kollegen vielleicht noch schmerzhaf­ter wird als das vergangene.

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FOTO: BERND FEIL/IMAGO MAGES Orchester, die wegen Corona nicht auftreten, kaufen oder leihen auch keine Noten bei den Musikverla­gen.

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