Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Wenn eine Schachpartie zu einem Streifzug wird
Vicente Valero und sein neues Buch über europäische Geschichte, Literatur und das Spiel der Könige
Dieses Buch ist eine Reise: in andere Länder, in die Welt des „königlichen Spiels“und in die europäische Geschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts. Denn der jetzt erschienene Band „Schachnovellen“von Vicente Valero ist wie die „Schachnovelle“von Stefan Zweig weit mehr als ein Buch über das Spiel. Auch Valero taucht in die Abgründe deutscher und europäischer Geschichte, bei ihm geht es um Verfolgung und Exil im Nationalsozialismus sowie die ins Verderben führende Begeisterung junger Männer für den Ersten Weltkrieg. Und es ist zugleich ein Streifzug durch die Literaturgeschichte.
Der 1963 auf Ibiza geborene Autor eröffnet mit der Freundschaft zwischen Bertolt Brecht und Walter
Benjamin, die vor den Nazis ins Exil flohen und im Sommer 1934 im dänischen Svendborg vor dem Schachbrett sitzen. Davon gibt es Fotos: der Autor und Philosoph Benjamin mit verschränkten Armen, der Schriftsteller Brecht rauchend.
Der Grund, warum sich Valero mit Brecht und Benjamin befasst, liegt in seinem eigenen Aufenthalt im schwedischen Helsingborg als Gast des Malers Jorge Castillo. Von dort bricht er eines Tages ins dänische Svendborg zu Brechts Haus auf. Doch zuvor zwingt ihn ein Orkan in die Klausur – Valero holt sein „kleines Klappschach in dem abgewetzten Lederfutteral“hervor und spielt mit Castillo.
Es folgen Überlegungen zum Spiel: „Eine Schachpartie ist keine Metapher für die Welt, kann aber zu einer Metapher der Leidenschaften werden, die die Welt bewegen, der grenzenlosen Spannungen, die der Organisation der Gesellschaft innewohnen.“
Valero berichtet auch von seinen Reisen: nach Turin, wo er sich mit dem Philosophen Friedrich Nietzsche beschäftigt, nach Augsburg, der Geburtsstadt Brechts, sowie nach Zürich zu einem Schachturnier, in dessen Umgebung er sich Rilke näher widmet. Das Buch ist ein weiter, oft mit leichter Hand geschriebener Streifzug, mal meditativ, wenn er zu Beginn die Ruhe und Schönheit der schwedischen Natur beschreibt, mal spannend, wenn es um historische Wirrnisse geht.
Auch wer kein Schachspieler ist, dürfte mit der Lektüre der 128 Seiten und diesem Satz etwas anfangen können: „Oft heißt es, Schach stehe stellvertretend für den Krieg, aber dass in dieser Welt ein Krieg mit einem Remis endet, ist ausgeschlossen.“(KNA)
Vicente Valero: Schachnovellen. Berenberg Verlag, 128 Seiten, 22 Euro.