Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Mit Gold und Silber aus der Kiste
Angeführt von Karl Geiger veredeln die deutschen Skispringer ihr WM-Wochenende
OBERSTDORF - Es war eine Gefühlsexplosion: Das deutsche SkisprungMixed-Team um die Oberstdorfer Katharina Althaus und Karl Geiger hat bei seinem Triumph bei der HeimWM im Allgäu die Favoriten Norwegen und Österreich hinter sich gelassen. „Das ist schon extrem überraschend. Wir haben gehofft, um eine Medaille mitspringen zu können. Dass wir Gold gewinnen, ist fantastisch“, sagte Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher. Frauencoach Andreas Bauer fügte an: „Ich bin megastolz auf die Mädels. Mir ist ein Felsbrocken vom Herzen gefallen.“Vor allem die Frauen waren am Sonntag über sich hinausgewachsen.
Im Auslauf der Schattenbergschanze herzten sich Geiger, Althaus, Markus Eisenbichler und Anna Rupprecht nach dem Triumph, den keiner erwartet hätte. „Für uns gab es nur etwas zum Gewinnen, das haben wir gemacht“, sagte Horngacher. Althaus hüpfte in ihrem Heimatort wie ein Flummi durch den Auslauf, Geiger hatte bereits am Vortag Silber geholt. „Es ist wirklich unbeschreiblich. Wir haben uns wirklich alle zusammengerissen, es war unglaublich“, sagte er. Und: „Wir haben abgeklatscht, dass die Handflächen brennen.“
Bereits Geigers Leistung am Samstag hätte großes Publikum verdient gehabt. Unter normalen Bedingungen wären 25 000 Besucher dabei gewesen und hätten ihn mit ohrenbetäubendem Geschrei gefeiert. Stattdessen skandierten nur ein paar Volonteers auf der Tribüne des Schattenbergstadions „Karle, Karle“. Trotzdem genoss Karl Geiger den Moment in vollen Zügen. Zweiter war er beim Springen von der kleinen Schanze geworden. Hinter dem Polen Piotr Zyla.
Es war die erste Medaille für das deutsche Team, zugetraut hatte man sie eher Eisenbichler, nicht Karl Geiger. Ruhig und sachlich blieb der 28Jährige in der Stunde des Erfolgs und klopfte sich nur kurz mit den Fäusten gegen den Helm. Eisenbichler, von dem mehr als Platz 17 erwartet worden war, sprang emotional für seinen Zimmerkollegen in Nicht-CoronaZeiten ein. „Das mit Karl ist voll geil“, freute sich der Siegsdorfer.
Dabei wäre es absolut nachvollziehbar gewesen, wenn sich Geiger überwältigt gezeigt hätte, die Saison war für den Oberstdorfer eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen. Im Dezember hatte er eine Woche im Weltcup pausiert, weil seine Frau Franziska zu Hause auf die Geburt des ersten Kindes wartete. Doch Luisa ließ sich Zeit, bis der werdende Vater aus Planica als Skiflug-Weltmeister zurückgekehrt war. Kaum zu Hause, erhielt er die Nachricht, dass er bei einem Corona-Test positiv getestet worden war. Gerade noch rechtzeitig zur Vierschanzentournee durfte er die Quarantäne verlassen. Und gewann das Auftaktspringen in seinem Heimatort. Platz zwei in der Tourneewertung hinter dem Polen Kamil Stoch war ein weiteres Highlight.
Doch die Topform konnte der 1,85 Meter große Skispringer nicht halten. Den Tiefpunkt erlebte er Anfang Februar in Klingenthal, als er sich zweimal nicht für den zweiten Durchgang qualifizieren konnte. Beim Titelgewinn in Planica hatte Bundestrainer Stefan Horngacher gesagt: „Dann kommt Karl aus der Kiste, holt den
Weltmeistertitel.“Den Titel verfehlte er im Einzel noch um 1,80 Meter, mit dem Team aber glückte der große Coup. „Wenn wir wüssten, wie Karl immer aus der Kiste kommt?“, rätselte Horngacher.
Geiger hat gelernt, sich komplett auf den Wettkampf zu fokussieren. „Der Karl macht schon viel auf Sparflamme“, verriet der Bundestrainer. Er mache seine spezielle Wettkampfvorbereitung, „wo er sich halt extrem herholen kann und extreme Dinge leisten kann“. Dies galt besonders für seinen zweiten Sprung. „Nach dem Tisch habe ich gemerkt: Ui, jetzt hebt es mich noch einmal richtig raus. Und dann über die grüne Linie zu segeln, dann habe ich gehofft: Bitte, bitte, bitte, lass es für etwas reichen“, beschrieb er den Flug auf 102 Meter. Und es reichte. Von Platz vier konnte er sich auf den zweiten Rang verbessern.
Natürlich ist Geiger mittlerweile neben Eisenbichler der Leistungsträger im deutschen Team. Bei den Titelkämpfen 2019 in Seefeld wurde Eisenbichler Weltmeister, Geiger Zweiter.
Dazu gab's noch Gold im Team und Mixed. Doch noch ein Jahr davor hatte Geiger über sich gesagt: „Das große Talent war ich nie. Ich bin von Jahr zu Jahr besser geworden – das war ein ganz langsamer Prozess. Und dieser Prozess ist noch nicht vorbei.“Der nächste Schritt folgte in Pyengchang. „Der Knoten ist bei den Olympischen Spielen geplatzt – drei Einsätze, eine Silbermedaille. Das gab mir Kraft.“
Die schöpft der bodenständige Allgäuer aus seiner Familie. Gattin Franziska und Schwester Lucia helfen bei der Organisation der WM, beide gehören zum Team, das die Siegerehrung vorbereitet. Vor jener am Samstag missachtete die Familie verständlicherweise das strenge Protokoll für einen kurzen Moment. „Wir haben nichts gesagt, uns nur umarmt und ganz feste gedrückt, das hat mich unglaublich gefreut“, sagte Geiger: „Die Unterstützung von zu Hause, das ist das, was zählt und im Endeffekt entscheidet.“Und vielleicht war sie ja auch ausschlaggebend, dass das „Gold dahoam“am Sonntag folgte.