Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Verniedlichen statt fasten
Der Mensch ist nicht nur zur Fastenzeit kreativ, wenn es um das Kleinreden der einen oder anderen Ernährungssünde geht. Er folgt damit dem Beispiel der ehrwürdigen Brüder des Klosters Maulbronn, die der Sage nach die Maultasche nur deshalb erfunden haben, um zur Fastenzeit eine deftige Fleischeinlage in der Teighülle vor den scharfen Augen des lieben Gottes zu verstecken. Offenbar ging der Plan der Zisterzienser auf. Denn das Kloster steht noch heute und ist nicht etwa von einem strafenden Blitz zu Asche verbrannt worden.
Inzwischen sind die Zeiten ja nun weit weniger gottesfürchtig. Fleisch isst auch der Christenmensch zu jeder erdenklichen Tages- und Nachtzeit – wann immer ihm der Sinn danach steht. Kirchliche Fasten- und Bußtage bewältigt der moderne Gläubige automatisch per Smartphone-App. Ansonsten kommentiert er eigenes Über-die-Stränge-Schlagen mit Verniedlichungen. Da wird das veritable Tortenviertel von der Schwarzwälder rasch zum schwäbisch noch putziger klingenden „Stückle“. Überhaupt deutet die Wortendung „-le“auf Kalorienalarm hin – siehe Spätzle, Herrgottsb’scheißerle, Nonnenfürzle oder Saitenwürstle.
Die Liste ließe sich locker bis zur Übersättigung fortführen. Respektive bis zur Einweisung ins Kloster, wo nicht nur gefüllte Teigtaschen erfunden, sondern auch Exerzitien exerziert werden. Schweigen und fasten, statt schlingen und labern. Damals in Maulbronn waren die Kalorien übrigens noch nicht erfunden. Und der liebe Gott schaute gnädig weg, wenn es Maultäschle gab. (nyf )