Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Rechenspiele ums Nitrat
Wasserversorger erheben Vorwürfe gegen die Landesregierung
STUTTGART - Eigentlich sollte die verschärfte Düngeverordnung endlich die seit langem erhöhten Nitratwerte im deutschen Grundwasser senken. Doch die Trinkwasserversorger im Südwesten fürchten, dass die neuen Regeln nicht wirken. Sie werfen der Landesregierung vor, die Belastung kleinzurechnen. Die zuständigen Ministerien widersprechen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum gelangt Nitrat ins Grundwasser?
Als Haupverursacher gilt die Landwirtschaft. 88 Prozent des Nitrats im Grundwasser stammen laut Umweltbundesamt aus landwirtschaftlichen Überschüssen. Landwirte bringen Gülle auf Felder aus, um das Wachstum ihrer Pflanzen zu fördern. Im Boden entsteht aus der Gülle Nitrat. Wenn mehr dieses Düngers auf den Feldern landet, als Pflanzen und Boden verarbeiten und speichern können, landet der Rest im Grundwasser. Verschärft wird das Problem durch den Klimawandel und damit einhergehende heiße, trockene Sommer.
Bis das Nitrat in den Grundwasserschichten ankommt, können viele Jahre vergehen. „Was heute eingetragen wird, kann gut 30 Jahre in der Erde sein“, sagt Frieder Haakh, der Vorsitzende der Grundwasserdatenbank Wasserversorgung. „Es ist unsere Verantwortung gegenüber der Umwelt und kommenden Generationen, heute die Einträge deutlich zu reduzieren.“
Welche Regeln gelten derzeit?
Weil das Grundwasser an vielen Orten in Deutschland vergleichsweise stark mit Nitrat belastet ist, machte die EU-Kommission Druck, klagte Deutschland 2018 beim Europäischen Gerichtshof an und bekam recht. Angesichts drohender Strafzahlungen stimmte der Bundesrat nach langem Streit neuen Regeln zu. In der neuen Düngeverordnung werden unter anderem die Zeiten beschränkt, in denen gedüngt werden darf. Es müssen größere Abstände zu Gewässern eingehalten werden und für manche Flächen gibt es Obergrenzen. In besonders belasteten, den sogenannten roten Gebieten, sollen Landwirte insgesamt 20 Prozent weniger düngen.
Wie stark ist das Grundwasser in Süddeutschland belastet?
Darüber gibt es Streit. Fest steht: Die hoch belasteten roten Gebiete liegen vor allem im nordwestdeutschen „Schweinegürtel“, den mitteldeutschen Trockengebieten und den Gemüseregionen der Rhein-Main-Region. Im eher kleinbäuerlich geprägten Süddeutschland sind die Werte besser. Im Zuge der neuen Düngeverordnung wurde präziser analysiert, wo die Werte zu hoch sind und die belasteten Gebiete kleinteiliger ausgewiesen. Dadurch verkleinerten sich die bei vielen Bauern unbeliebten roten Gebiete: In Bayern ging die Zahl von 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche auf gerade mal zwölf Prozent zurück. In Baden-Württemberg gelten offiziell nur noch 1,5 Prozent der Gesamtfläche als nitratbelastet – statt zuletzt neun Prozent. Wasserversorger und -verbände im Südwesten haben an diesen Werten jedoch Zweifel. Nach Erhebungen der Grundwasserdatenbank Wasserversorgung überschritten im Jahr 2019 noch immer 18 Prozent der Grundwassermessstellen einen Warnwert, bei 8,8 Prozent der Messstellen lagen die Messwerte sogar über dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung (50 Milligramm pro Liter). „Aus unserer Sicht sind die Vorgaben der europäischen Düngerichtlinie nicht umgesetzt“, sagt Thomas Anders, Geschäftsführer der DVGW-Landesgruppe. Die Versorger und Verbände werfen dem Land vor, die Belastung kleinzurechnen und fordern eine Ausweitung der roten Gebiete. Der BUND schließt sich den Vorwürfen an.
Was sagen das Land und die Landwirtschaft?
„Wir können die Aussagen und Vorwürfe der Trinkwasserverbände nicht nachvollziehen“, heißt es vom Landwirtschafts- und dem Umweltministerium auf Anfrage. Das intensive Wassermanagement der vergangenen 20 Jahre habe dazu geführt, dass Baden-Württemberg als einziges Bundesland signifikant fallende Nitratwerte aufweise und so im Vergleich wenige Nitratprobleme habe.
Zwischen dem Anteil der belasteten Messstellen (8,8 Prozent > 50 mg/l) und dem Anteil belasteter Landesfläche (1,5 Prozent) bestehe kein unmittelbarer Zusammenhang. Heißt: Dort, wo die Nitratbelastung niedrig ist, wie etwa im Schwarzwald, gibt es auch wenige Messstellen. Im Oberrheingraben hingegen liegen belastete Messstellen oft dicht beieinander. Die Ausweisung der mit Nitrat belasteten Gebiete in Baden-Württemberg sei konsequent nach den Vorgaben des Bundes erfolgt.
Darauf verweist auch der Landesbauernverband. „Die Landwirte im Land arbeiten weiter daran, den Nährstoffeinsatz zu optimieren“, sagt eine Sprecherin.
Wie gefährlich ist Nitrat?
Für den Menschen ist Nitrat eigentlich unbedenklich. Es kann aber bereits im Lebensmittel oder während der Verdauung durch Einwirkung von Bakterien in Nitrit umgewandelt werden, dem eigentlich gesundheitlich problematischen Stoff. Besonders für Babys kann das gefährlich sein, weil es die Sauerstoffaufnahme im Blut hemmt. Auch Erwachsene sollten die Aufnahme größerer Mengen von Nitrat vermeiden, rät das Bundesinstitut für Risikobewertung. Denn im Körper können sich Nitrosamine bilden, die sich in Tierversuchen als krebserregend erwiesen haben.
Ist das Trinkwasser mit Nitrat verunreinigt?
Trinkwasser ist das bestüberwachte Lebensmittel, heißt es vom Umweltbundesamt. Enthält das Rohwasser zu viel Nitrat, wird es entweder technisch herausgefiltert oder mit weniger belastetem Wasser vermischt. Sofern das Trinkwasser nicht aus privaten Brunnen stammt, kann man in Deutschland also sicher sein, dass der gesundheitlich unbedenkliche Grenzwert von 50 Miligramm Nitrat pro Liter eingehalten wird.