Schwäbische Zeitung (Alb-Donau)
Rechtspopulisten im Fokus der Verfassungsschützer
Was eine Einstufung als Verdachtsfall für die AfD im Wahljahr bedeuten könnte
RAVENSBURG - Es wäre eine politische Bombe in einem Superwahljahr: Das Bundesamt für Verfassungsschutz könnte die gesamte AfD zum Verdachtsfall erklären. Medienberichten zufolge steht eine Entscheidung darüber kurz bevor. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Welchen Status hat die AfD beim Verfassungsschutz derzeit?
Seit gut zwei Jahren behandelt der Inlandsgeheimdienst die BundesAfD als Prüffall. Dabei sucht er nach Anhaltspunkten für „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“. In einem solchen Stadium durchforstet der Bundesverfassungsschutz alle öffentlich zugänglichen Quellen: Reden von Parteifunktionären, Parteiprogramme, Zeitungsartikel, Internetauftritte oder Fernsehbeiträge. Falls der Verfassungsschutz bei dieser Prüfung Belege für eine verfassungsfeindliche Tendenzen findet, stuft er eine Partei zum Verdachtsfall hoch.
Welche Möglichkeiten hat der Verfassungsschutz bei einem Verdachtsfall?
Die Waffen der Verfassungsschützer werden schärfer. Sie dürfen nun auch geheimdienstliche Mittel anwenden. Sie können V-Leute einsetzen sowie Telefone abhören und Mails mitlesen. Für Letzteres brauchen sie allerdings die Erlaubnis einer Bundestags-Kommission.
Warum ist die AfD in den Fokus der Geheimdienste geraten?
„Weil sie wesentliche Kernbestandteile unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung missachtet“, sagt der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Innerhalb der Partei gebe es antisemitische sowie antiislamische Positionen und einen übersteigerten Nationalismus, flankiert von geschichtsrevanchistischen Positionen. Schroeder schränkt jedoch ein, dass sich dies in Aussagen von Mandatsträgern, nicht aber in der Programmatik der ganzen Partei zeige. Auch gebe es zwischen Mitarbeitern der Fraktionen auf Landes- und Bunsungsschutz desebene Überschneidungen zu rechtsextremen Gruppierungen wie den „Identitären“. Diese stuft der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem ein – und sie stehen eigentlich auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD.
Welche Landesverbände und Gruppierungen der AfD gelten bereits als Verdachtsfälle?
Die Verbände in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen werden von den jeweiligen Landesverfassungsschützern als Verdachtsfälle geführt. Eine offizielle Bestätigung aus Sachsen gibt es gleichwohl nicht. Dort dürfen Landes-Innenministerium und der Landesverfassungsschutz nur über erwiesene extremistische Bestrebungen unterrichten. Unter anderem die „Bild“und der MDR hatten über eine mögliche Beobachtung berichtet. Darüber hinaus sieht der Verfas
bei der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“und dem völkisch-nationalistischen „Flügel“Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen.
Was ist der „Flügel“?
Gegründet wurde der „Flügel“2015 als loser Zusammenschluss aus Parteimitgliedern. Im Verfassungsschutzbericht des Landes BadenWürttemberg wird etwa die AfDLandtagsabgeordnete Christina Baum wegen ihrer Aktivitäten für den „Flügel“genannt. Nach der Einstufung als Verdachtsfall hatte die Gruppe 2020 formell ihre Auflösung bekannt gegeben. Die Netzwerke gibt es aber weiterhin. Auch sind die völkischen Positionen der Anhänger nicht verschwunden, rund 7000 sollen es laut Verfassungsschutz sein. Thüringens Parteichef Björn Höcke ist einer der Vordenker des „Flügels“. Wichtig für eine mögliche Hochstufung
ist auch, wie einflussreich der „Flügel“in der Gesamtpartei ist.
Welche Folgen hätte eine Einstufung als Verdachtsfall für die AfD im Superwahljahr?
Sehr unterschiedliche. „Es würde dem Ansehen der Partei natürlich sehr schaden, aber nur in einem bestimmten Teil der Wählerschaft“, erklärt der Konstanzer Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel. „Die AfD wird versuchen, Kapital daraus zu schlagen und sich in der Opferrolle zu stilisieren. Bei einem harten Kern wird das seine Wirkung nicht verfehlen.“Gerade in den ostdeutschen Landesverbänden, die radikaler auftreten als jene im Westen, könnte der Schulterschluss zwischen den extremen Rechten ausgeprägter sein. Schroeder betont, die „Erfolgsformel“der AfD, extreme und weniger extreme, national-konservative und populistische Kräfte zusammenzubringen, könnte ans Ende gekommen sein. Es werde schwieriger, Protestund Nichtwähler und Anhänger anderer Parteien für sich zu mobilisieren. Aber: Die AfD habe das größte Stammwählerpotenzial unter allen Parteien. Umgekehrt bedeutet dies allerdings auch, dass von den Wählern der anderen Parteien kaum noch Wechsel in das Lager der AfD zu erwarten sind.
Was würde eine Einstufung zum Verdachtsfall für die Beamten innerhalb der Partei bedeuten?
Die müssten zum „größten Teil raus, weil sie sonst ihre Positionen verlieren“können, wie Schroeder sagt. Eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst als Polizist, Lehrer, Richter, Staatsanwalt oder Soldat ist mit dem öffentlichen Engagement in und für eine Partei, die als Verdachtsfall für extremistische Bestrebungen geführt wird, nicht vereinbar. Schroeder
Was sagt die AfD zu einer möglichen Beobachtung?
Die sieht darin ein politisches Manöver in einem Superwahljahr. Am 14. März wählen zunächst die Menschen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz einen neuen Landtag. Es folgen Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Am 26. September wird zudem ein neuer Bundestag bestimmt. Markus Frohnmaier, der stellvertretende Landeschef der Südwest-AfD, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wenn mit der AfD die bundesweit stärkste Oppositionspartei zwei Wochen vor einer Landtagswahl geheimdienstlich beobachtet werden soll, ist das nicht nur ein Unrecht.“Die AfD will in zwei juristischen Streitfragen vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Zwei Anträge auf eine Zwischenlösung bis zur endgültigen Entscheidung lehnten Gerichte das Verwaltungsgericht Köln jedoch zunächst ab. Dagegen wolle die AfD Verfassungsbeschwerde erheben, sagte ein Sprecher des Kölner Gerichts. Sollte ein Gericht im Hauptverfahren befinden, dass die Vorwürfe gegen die Partei haltlos sind, könnte es die Entscheidung des Verfassungsschutzes kassieren.
Wie will die AfD eine mögliche Einstufung umgehen?
Vor allem AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen möchte die Partei aus dem Fokus der Verfassungsschützer herausholen. So wurde auf seine Initiative hin im vergangenen Jahr HöckeVertrauter Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen, der eine Mitgliedschaft zu einer neonazistischen Gruppe verschwiegen haben soll. Beim Parteitag Ende November zeigte eine Rede Meuthens, wie gespalten die Partei ist. Er mahnte zur Mäßigung – daraufhin folgten Wutausbrüche von Delegierten. Die Kritik rechtsnationaler Kräfte an Meuthen hält an. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel glaubt jedoch nicht an eine andauernde Spaltung: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Vernunft siegt und der Zwist in der Partei bald keine Rolle mehr spielen wird“, sagte sie der dpa.